Reformieren, nicht eliminieren

CIA. Die ganze Geschichte

Sein Buch sei das Beste, das jemals über die CIA geschrieben wurde, loben zahlreiche Kritiker. Autor Tim Weiner hat dafür Zehntausende Dokumente gesichtet und zehn CIA-Direktoren interviewt. Er versteht die Liste der Pleiten und Pannen als Aufruf zur Reform.

Vor 21 Jahren fuhr Tim Weiner im Auftrag der New York Times zu ersten Mal nach Afghanistan. Es folgten noch viele Reisen in die Region.

Jeder Reporter und jeder Diplomat verliebt sich in seiner Jugend in das Land, in das er geschickt wird. Ich war 31 und wollte mir ansehen, was die CIA in Afghanistan im Namen der USA tut. Amerika lieferte damals Waffen an die Mujaheddin, was letztlich zum Sieg über die Sowjetunion führte. Aber es führte auch zu einer globalen Universität des Jihad.

Pleiten, Pech und Pannen
Das Vakuum in Afghanistan nach dem Abzug der Sowjets wurde von einem Mann namens Osama bin Laden genutzt. Ihm hatte, wie er sagte, Gott befohlen, Amerikaner zu töten. Von 9/11 wurde die CIA dann genau so überrascht wie der Rest der Welt. Man betrachtete die Bilder auf CNN.

Es war nicht der einzige Fehlschlag des amerikanischen Auslandsgeheimdienstes. Vom missglückten Abenteuer in der Schweinebucht über die gescheiterten Versuche, Fidel Castro zu ermorden, vom Vietnamkrieg bis zum Aufstieg des Ayatollah Khomeini (damals hatte die CIA nur einen einzigen Mann in Teheran, und der war mit der Gestaltung von Briefmarken beschäftigt): die Geschichte der CIA liest sich wie eine Abfolge von Pleiten, Pech und Pannen. Die größte Katastrophe in der Geschichte des CIA aber, so Tim Weiner, waren die Berichte über Massenvernichtungswaffen im Irak.

Vor fünf Jahren hielt der amerikanische Außenminister Colin Powell, der damals höchst geachtete Amerikaner in der Welt, vor den Vereinten Nationen eine Rede. Unmittelbar hinter ihm, quer über seine Schulter zu sehen, saß der Direktor der CIA, George Tenet. Powell erklärte der Welt: der Irak sei voller chemischer und biologischer Waffen und habe die Fähigkeit, Menschenleben massenweise in Sekunden zu vernichten.
Powell behauptete: "Dies sind harte Fakten. Dies ist unser bestes Geheimdienstwissen." So zogen wir in den Krieg. Und das war falsch, absolut falsch. Unser Geheimdienst war in die Irre gegangen und schuf mit falschen Informationen die moralische Basis, um einen Präventivkrieg zu beginnen.

Akribische Recherche

Über zwanzig Jahre hat Tim Weiner die Fehler der US-Außenpolitik und der CIA recherchiert, 50.000 Dokumente gelesen, mit zehn ehemaligen Direktoren der Agency Interviews geführt. Eine kaum glaubliche Fleißarbeit, weit entfernt von den mythisch-legendären und filmreifen Allmachtsphantasien der CIA mit ihren abenteuerlichen Einsätzen, Umstürzen und Verschwörungen. Jetzt berichtet Weiner in ruhigem Ton ohne Häme, aber in kräftiger, mal bildhafter, mal philosophischer Sprache über die Wirklichkeit des weltgrößten Geheimdienstes.

Unzählige Male war der Mann mit den schwarzen krausen Locken und den dunkel funkelnden Augen in Afghanistan, in Indien und Pakistan, als Reporter für die "New York Times". Sein Urteil ist kristallklar.

Die Fehler, meint Weiner, liegen vor allem in der Kultur des CIA. Der sei viel zu technisch ausgerichtet. Intelligence, also nachrichtendienstliche Erkenntnisse, bekomme man nicht durch Satelliten, durch gigantische Abhöranlagen, sondern dadurch, dass man Menschen zuhört.

Genau das tue eine Supermacht wie die USA, die über ein unfassbares Arsenal an militärischen und Aufklärungsmitteln verfügt, viel zu wenig. Von 20.000 Mitarbeitern der CIA sind nur etwa 2.000 im Ausland stationiert, und die meisten können nicht einmal die Sprache des Einsatzlandes.

Bestürzende Expertise
Kann man Islamisten ausspionieren? Kann man Terroristen finden, gefangen nehmen oder auch töten, dank geheimdienstlicher Erkenntnisse? Man könne nur damit gewinnen, meint Tim Weiner. Und die Tatsache, dass Osama bin Laden noch am Leben sei, zeige, dass die USA in diesem Teil der Welt nicht über hinreichend gute Spione verfügten.

Tim Weiner, Kind deutscher Einwanderer aus Fürth, hat Pashtu, Dari und Urdu gelernt und ist damit weiter gegangen als die meisten Geheimagenten. Sein Buch, von dem viele sagen, es sei das Beste, das jemals über die CIA geschrieben wurde, versteht der Autor als Warnruf. Die CIA stehe zurzeit vor der Auflösung, dem freien Fall. (Schon 2005 habe Präsident Bush der CIA die Koordinierung der 16 amerikanischen Geheimdienste weggenommen.) George Taylor, Direktor der CIA von 1997 bis 2004, beschreibt die Organisation als eine "brennende Ölplattform" in der Nacht.

Die Hälfte der heutigen CIA-Mitarbeiter haben weniger als fünf Jahre Erfahrung. Das heißt, nach den Standards der CIA sind das Praktikanten. Sie sind nicht gut genug, um zu reisen. Noch nie waren die CIA-Mitarbeiter so unerfahren wie heute. Das ist nicht die allmächtige, alles sehende, allwissende Organisation, die Berge bewegen und Regierungen stürzen kann. Es dauert Jahre, bis man daraus einen Geheimdienst für das 21. Jahrhundert gemacht hat.

Den Geheimdienst ernst nehmen
Weiner sieht durchaus Chancen, den "langen" Krieg gegen den Terrorismus zu gewinnen. Allerdings müsste sich der zukünftige amerikanische Präsident - ganz gleich, ob er Obama, Clinton oder McCain heiße - anders verhalten als seine Vorgänger.

Bisher waren die Beziehungen zwischen CIA und Präsident immer gespannt. Die Präsidenten forderten den CIA auf, unliebsame Dinge einzufädeln wie die Anschläge auf Fidel Castro oder den Staatsstreich in Chile - bis hin zur Folter in Staatsgefängnissen wie Guantanamo, deren Methoden schon zum Arsenal der spanischen Inquisition gehörten.

Wenn aber die Informationen der CIA den US-Präsidenten nicht in den Kram passten, dann lauschten die Präsidenten nicht den Erkenntnissen der Dienste, sondern setzten die CIA unter Druck, genau die Nachrichten zu beschaffen, die sie hören wollten und die zu ihrer Politik passten - so wie Bush im Irak.

Aufruf zur Reform
Der Geheimdienst aber müsse reformiert werden, sich auf die neuen Herausforderungen einstellen. Terroristen könnten Amerika nicht besiegen. Amerika könne nur sich selbst besiegen, so Weiner - indem es aus Furcht und Unwissenheit das zerstört, was es liebt.
Und so nimmt Tim Weiner eine eigentümliche Perspektive ein: die eines Kritikers der CIA als liberaler Patriot. Er will die CIA nicht zerschlagen, sondern verbessert sehen. Ein neuer Präsident müsse die CIA erst in die Lage versetzen, ihrer Aufgabe adäquat nachzukommen.

Ich bin für Spionage. Ich will, dass mein Land weiß, was in der Welt vorgeht. Denn wenn ein Geheimdienst erfolgreich ist, kann er Kriege verhindern.

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Buch-Tipp
Tim Weiner, "CIA. Die ganze Geschichte", S. Fischer

Link
S. Fischer - CIA