Peter Schneider und "sein 68"
Rebellion und Wahn
In einer sehr persönlichen Weise setzt sich Peter Schneider mit der 68er-Bewegung auseinander. Herausgekommen ist ein ebenso humorvolles wie kluges Buch, das die Aufbruchszeit vor 40 Jahren auch für spätere Generationen zu einem spannenden Thema macht.
8. April 2017, 21:58
Mit der 68er-Bewegung beschäftigt sich Peter Schneider in seinem neuen Buch. "Rebellion und Wahn" heißt das Werk, aber Schneider fügt noch einen Zusatz an, nämlich: "Mein 68". Dadurch macht er schon im Titel klar, dass es sich hier nicht um eine abstrakte Aufarbeitung handelt, sondern um zutiefst persönliche Erinnerungen.
Die wichtigste Errungenschaft der 68er-Bewegung in Deutschland bleibt, dass sie massenhaft - und vielleicht für immer - mit der Kultur des Gehorsams gebrochen hat. Ihre größte Sünde war, dass ihre Anführer nach einem basisdemokratischen und freiheitlichen Aufbruch am Ende einer im Kern antidemokratischen Doktrin erlagen und vor den Verbrechen ihrer revolutionären Vorbilder - in Kuba, in Vietnam, in Kambodscha und in China - die Augen schlossen. Ich glaube nicht, dass sich der spezifisch deutsche Wahn einer Weltrevolution unter der Rubrik "notwendige Kosten" abbuchen und rechtfertigen lässt. Aber ich würde lügen, wenn ich nicht hinzufügte, dass es ohne eine gewisse Portion Wahnsinn und Selbstüberhebung diese Rebellion nicht gegeben hätte. Ohne Wahn keine Rebellion.
Der 68er und der 68-Jährige
Schneider, damals selbst Teil der Bewegung, blickt zurück auf eine Zeit des Aufbruchs und versucht dabei, sich und dem Leser einige Fragen zu beantworten: "Wie kam es überhaupt zu diesem Aufbruch, warum gab es diesen Aufbruch, was war eigentlich so gut daran?", fragt sich der Autor. "Das zweite war, dass ich aus der Zeit noch sehr viele Aufzeichnungen hatte und dachte, es könnte spannend sein, sich mit diesen Aufzeichnungen auseinanderzusetzen. Und in der Tat habe ich ja dann eine Art Zwiegespräch veranstaltet, zwischen mir, dem 68-jährigen, und dem 68er vor 40 Jahren. Und das war eigentlich spannend."
Schon in diesen Zwiegesprächen wird deutlich, dass Schneider nicht vorhat, sich todernst mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen. Oft reagiert er befremdet auf die Ansichten seiner jungen Jahre, und er schreckt auch nicht davor zurück, sich selbst zu maßregeln.
Protest hilft
Dabei spielten politische Debatten in Schneiders Jugend nur eine untergeordnete Rolle. Erst als Student in Berlin nähert er sich der gerade entstehenden Bewegung an, freilich ohne konkrete Vorstellungen und eher zufällig. Irgendwie steht er selbst nie in der ersten Reihe, aber er ist doch dabei, bei den Demonstrationen und Diskussionen. Vor gewalttätigen Aktionen schreckt er zurück, aber er fühlt sich wohl im umfassenden Wir-Gefühl der Zeit und hat eine wichtige Erkenntnis aus diesen Jahren mitgenommen:
"Das Gefühl und sogar die Erfahrung, dass man widersprechen kann und dass es lohnt, zu protestieren, dass man also nicht ohnmächtig ist. Das halte ich für eine sehr gute Erfahrung, von der zehre ich bis heute und das gibt man auch den Kindern weiter."
Manche Sprüche waren nur Sprüche
Gleichzeitig ist der Autor offenherzig genug, um die Motive für seine damalige Begeisterung einer kritischen Betrachtung zu unterziehen. Auch dies tut er zwar ohne seine frühere Einstellung in Bausch und Bogen zu verurteilen, aber mit hinreißender Ironie. Aber nicht nur über sich selbst macht sich Schneider lustig. In der Beschreibung vieler kleiner und oft komischer Ereignisse spiegelt er eine Bewegung, die im Grunde selbst nicht so genau wusste, wohin die Reise nun eigentlich gehen sollte - und die oft recht planlos agierte. So etwa, als Rudi Dutschke und ein Kompagnon einen Sendemast in Frankfurt sprengen wollten, und das Vorhaben letztlich daran scheiterte, dass sie das Anschlagsziel nicht fanden. Und auch die großen Sprüche, die damals die Runde machten, sind für Schneider wenig mehr als eben große Sprüche:
"Dieser Spruch zum Beispiel: 'Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment' war reine Angeberei. Natürlich hat sich die ganze Presse, und so war es ja auch gemeint, das war ja als Provokation gemeint, hat sich darauf gestürzt und gesagt: Was sind das für verluderte Leute, die pennen ja jede Nacht mit einer anderen und so weiter. Es war reine Angeberei, nichts davon hat stattgefunden."
Was Schneider aus eigener Erfahrung bestätigen kann: Er selbst war gefangen in einer schwierigen und leidenschaftlichen Beziehung zu einer Frau, und gerade diese wechselhafte Liebesgeschichte bildet so etwas wie die Basis seiner Erinnerungen: "Diese Liebesgeschichte konnte nur in diesen Jahren stattfinden."
Wie konnte die RAF passieren?
Aber was lief am Ende schief mit der Bewegung? Wie konnte daraus eine RAF entstehen, die die ursprünglich friedlichen Ziele der 68er konterkarierte - und dabei durchaus Unterstützung fand? Gerade diese Frage ist für Schneider besonders wichtig, und er hat auch eine Antwort gefunden:
"Ich will nicht beschwören, dass wir das hätten verhindern können, aber es gab sozusagen eine Feigheit vor dem Freund, vor der Gruppe. Man sagte: Die Revolution wird an irgendeinem Punkt zur Gewalt führen, aber Gewalt ist immer eine Sache der Massen und nicht Einzelner. Es darf nicht sein, dass da jetzt fünf Leute beschließen, wir fangen den bewaffneten Kampf an. Diese Unterscheidung hat man immer getroffen, auch die radikalsten, und einige haben sich eben davon gelöst. Baader, Ulrike und so weiter. Jetzt hätten eigentlich, egal wer, die an die Revolution glaubten, die jetzt nur sagten, das ist ein Proteststurm und weiter nichts, die hätten doch mit aller Kraft von Anfang an sagen müssen, ihr seid verrückt geworden. Wir entziehen euch jede Solidarität. Wir gehen zur Polizei, wenn ihr zu mir an die Tür kommt. Es hat niemand diesen Mumm gehabt. Es hat eine verklebte, beklommene Scheiß-Solidarität gegeben mit diesen Leuten, die natürlich von denen ganz anders interpretiert wurde, nämlich als "wir schwimmen wie Fische im Wasser", keiner hat ihnen im Grunde die Tür zugemacht und das muss man sagen das ist eines der großen Versagen derer, die die Verantwortung damals hatten."
Aus Fehlern lernen
Fehlende Zivilcourage als Hauptursache für das schlimme Ende der 68er Bewegung: Peter Schneider ist ehrlich, sich selbst und seinen damaligen Mitstreitern gegenüber. Er hat eine aufrichtige Bilanz gezogen, hat zurückgeschaut, ohne die Vergangenheit zu verurteilen, aber auch ohne sie zu glorifizieren, hat die Fehler der 68er ebenso verdeutlicht wie ihre Verdienste.
Herausgekommen ist ein ebenso humorvolles wie kluges Buch, das die Aufbruchszeit vor 40 Jahren auch für spätere Generationen zu einem spannenden Thema macht, ein Buch, das Privates und Politisches zu verbinden weiß und das sich damit aus der Masse anderer 68er-Biografien abhebt. Ein ganz besonderes Werk also, unterhaltend, mutig, witzig und offenherzig, das nicht nur ein Kapitel der deutschen Geschichte gleichzeitig würdigt und hinterfragt, sondern das auch für mehr Ehrlichkeit und Mut sich selbst und anderen gegenüber plädiert, um die Fehler der Vergangenheit künftig zu vermeiden.
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Buch-Tipp
Peter Schneider: "Rebellion und Wahn - Mein 68", Kiepenheuer und Witsch
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Kiepenheuer und Witsch - Rebellion und Wahn - Mein 68