Zum 50. Todestag von Theodor Kramer

Der Asphaltdichter

Theodor Kramer, der Arztsohn aus Niederhollabrunn, verkörperte als Jude, Sozialist und Heimatdichter eine in der polarisierten Zwischenkriegszeit seltene Mischung. Er sang sein "Lied am Rand" und sprach ganz bewusst "für die, die ohne Stimme sind".

Beim Stromwirt
Lass, Liebste, von neuem dir füllen das Glas
und koste vom Hecht, er ist frisch.
Du bist noch jung, wie im Stromland das Gras,
aber ich, ich bin alt wie ein Fisch".


Alle guten Gedichte Theodor Kramers sind sinnlich. In meinen Lieblingsgedichten aber wird besonders eindringlich gegessen und getrunken, geschmeckt und gerochen. Von Anfang an hat mich diese Wahrhaftigkeit des Körpers angezogen, die Schärfe und Vielgestaltigkeit der Wahrnehmung, die Kramer auch der Landschaft zuteil werden lässt. Wie kommt es, dass selbst ein menschenleeres Gedicht nicht langweilig ist? Vielleicht, weil der Leib des Beobachters auf rätselhafte Weise in die Natur diffundiert. So wie in den Körpern der Liebenden "Nach einem Wandertag" das tagsüber Erlebte handgreiflich gespeichert scheint:

Mit den Schläfen, mit den Wangen
schweigsam nahe deinem Hauch,
halt ich schläfrig dich umfangen
und Gesträuch und Rasen auch.

Das Lebensnotwendige

Theodor Kramer, der Arztsohn aus Niederhollabrunn, verkörperte als Jude, Sozialist und Heimatdichter eine in der politisch polarisierten Zwischenkriegszeit seltene Mischung. Propaganda war seine Sache nicht, er pflegte das Rollengedicht, versetzte sich in die Außenseiter, sang sein "Lied am Rand" und sprach ganz bewusst "für die, die ohne Stimme sind". In seiner Lyrik definiert er das Lebensnotwendige nicht als das Überlebensnotwendige: Das Menschsein beginnt erst mit einem kleinen Überfluss. So ist das Schrebergartenglück nicht lächerlich, nicht für einen, der nach zehn Jahren seinen Grund aufgeben muss.

Der kleine Mann sieht die nicht, die die Fäden ziehen, die ihn einst in den Krieg geschickt haben, die ihn jetzt um seinen bescheidenen Besitz bringen. Glauben kann er an nichts mehr, nur an das Unumstößliche:

Ich glaube, dass der Rotwein bitter ist,
dass im September die Tomaten rosten,
dass jeder Herbst des Sommers Schnitter ist
und dass die Tage uns die Nächte kosten.

Auf der Verliererseite

Die Arbeit, der tägliche Überlebenskampf zur Zeit der Massenarbeitslosigkeit, droht das, was den Menschen in seiner innersten Existenz bestimmt, zu verschütten. Kramers Gedichte holen es immer wieder ans Tageslicht.

Seine Gestalten stehen auf der Verliererseite, sie sind - auch ganz wörtlich wie "Der Bäckerbub", der in Kramers Erstling "Die Gaunerzinke" (1929) den Brotkarren zieht - eingespannt in ein System, von dem andere profitieren. So ist der Freitod für sie wirklich ein Ausweg ins Freie, eine verzweifelt würdevolle Reaktion auf die zeitlose Erkenntnis, "dass uns die Dinge heute über sind".

Gedichte wie ein Blues-Song

Kramers Figuren würden einem Blues-Song alle Ehre machen: Niederlage und Betrogensein, Sehnsucht und Aufbegehren, Monotonie und Melancholie, Überschwang und Untergang klingen nach im leeren Rauschen der Kammer, im leeren Rauschen der zu Ende gespielten Schallplatte.

Nicht fürs Süße, nur fürs Scharfe
und fürs Bittre bin ich da;
schlag, ihr Leute, nicht die Harfe,
spiel die Ziehharmonika


Im Musikanten, der staunend entdeckt, was er kann, spricht der Dichter von sich. Sein eigener Ton schafft eigene Stimmungen, obwohl die Form dieser gereimten Strophen alles andere als revolutionär ist. Das Besondere ersteht bei Kramer aus der Fülle konkreter Details, anschaulicher Beschreibungen und altertümlicher Ausdrücke des ländlichen Arbeitslebens. Da finden sich die Weite der Welt, das Locken und Drohen des Nichts: in der Tiefe der Ziehbrunnen, im Geschmack der Nüsse, im Geruch ihrer schwarzen Schalen, im Bitteren, Herben und im süßen "Duft der Maische". Die Erde zwischen den Fingern und das Überirdische zwischen den Verszeilen. Existenzlyrik, an der nichts Erbauliches ist.

Im Exil nie heimisch geworden

Theodor Kramer, der bodenständige "Asphaltdichter" (so er selbst), der skeptische Patriot, in den 1930er Jahren im ganzen deutschen Sprachraum berühmt und in Österreich gründlich verwurzelt, emigrierte nach dem Anschluss nach England, fristete sein Dasein als Bibliothekar nahe London, wurde dort nie heimisch. Er schrieb Neues wie ein Süchtiger und schrieb das früher Geschriebene ein zweites Mal, täglich ein Gedicht. 12.000 sind es geworden.

Die Heimat erfand er sich so neu, zur Rückkehr konnte er sich, krank und nervlich zerrüttet, lange nicht aufraffen. Sie gelang erst 1957, ein halbes Jahr nur war ihm in Wien noch vergönnt; zu Hause fühlte er sich dort nicht mehr, begriff angesichts von Ringturm und Espresso-Kultur: "Erst in der Heimat bin ich ewig fremd."

Auch heute, 50 Jahre nach Theodor Kramers Tod, ist der Suchtfaktor bei der Lektüre seiner Gedichte nicht zu unterschätzen. Ich jedenfalls kann mich nicht satt lesen.

Hör-Tipps
Gedanken für den Tag, Freitag, 4. April und Samstag, 5. April 2008, 6:57 Uhr

Tonspuren, Freitag, 4. April 2008, 22:15 Uhr

Buch-Tipp
Daniela Strigl, "Solange der Atem uns trägt: Gedichte von Theodor Kramer", Theodor Kramer Gesellschaft

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Theodor Kramer Gesellschaft