Leben auf Pump - Teil 2

Ursachen und Folgen

Die private Überschuldung nimmt zu. Fachleute sehen mehrere Ursachen, wie geringe Einkommen und die hohe Bereitschaft von Banken Kredite an Einkommensschwache zu vergeben. Projekte zur Verbesserung der Situation gibt es in vielen europäischen Ländern.

In Holland haben sich die Banken 2007 darauf geeinigt, keine Kredite an Menschen unterhalb einer bestimmten Einkommensgrenze zu vergeben. Das kann deshalb gut funktionieren, weil es in Holland eine große Zahl von Volkskreditbanken gibt, die - dem social banking verpflichtet - spezielle Bankprodukte für Menschen mit geringem Einkommen anbieten. Eine weitere Selbstbeschränkung haben sich die holländischen Banken schon vor einiger Zeit auferlegt, was die Höhe von Hypotheken betrifft.

Sozial verträgliche Kreditvergabe

Der deutsche Wissenschaftler Udo Reifner, Leiter des Hamburger Instituts für Finanzdienstleistungen, iff, propagiert derartige Modelle, indem er durchaus an die Analyse von Bankensyndikus Herbert Pichler anknüpft: soziale Probleme wie Scheidung, Arbeitslosigkeit oder schwankende Einkommen seien Ursachen für Überschuldung.

Doch laut Reifner läge es in der Macht der Banken, zum Wohle ihrer Klientel damit umzugehen: ein "angepasstes Kreditsystem" brauche es, neue Produkte, die auf die veränderten sozialen Bedingungen Rücksicht nähmen.

Den von der EU geprägten Begriff der "verantwortlichen Kreditvergabe", wie er in der Verbraucherrichtlinie der Europäischen Kommission steht, hat Reifner umdefiniert: verantwortliche Kreditvergabe heiße nicht, den Verbraucher an seine Verantwortung zu erinnern, sondern die Kreditvergabe sozial verträglich zu gestalten.

"Finanzielle Allgemeinbildung"

In diesem Sinne arbeitet auch das european comsumer debt net, ein europäisches Netzwerk, das im Sommer 2007 gegründet wurde und unter Leitung von Michaela Moser, Öffentlichkeitsarbeiterin des Dachverbands der österreichischen Schuldnerberatungen, versucht, Antworten auf Fragen der Überschuldung national wie international, auf Ebene der EU, zu diskutieren.

Ziel des Netzwerkes: die finanzielle Eingliederung aller Menschen einer Gesellschaft zu garantieren. Voraussetzung dafür sei, so Moser, unter anderem die Schaffung von spezifischen Finanzdienstleistungen für Menschen mit niedrigem Einkommen, zum anderen Aufklärung, "finanzielle Allgemeinbildung".

Letzterem hat sich in hervorragender Weise Österreich gewidmet: in fast allen Bundesländern betreiben die Schuldnerberatungsstellen Projekte zur Aufklärung von Menschen über finanzielle Belange, vorwiegend in Schulen.

Finanzführerschein und Finanzscout

So kann man in Oberösterreich als Schüler einen "Finanzführerschein" erwerben, den die Schuldnerhilfe in Linz ausgearbeitet hat, oder kann sich in Niederösterreich zum "Finanzscout" ausbilden lassen, eine Initiative der Schuldnerberatung in St. Pölten.

Bei diesen Projekten geht es hauptsächlich um Prävention, um die Vorbereitung auf den Umgang mit heiklen Dingen wie Handy oder Auto. Noch ist Verbraucherbildung in Österreich "nur" ein Unterrichtsprinzip, vonseiten des Ministeriums für Konsumentenschutz drängt man jetzt aber darauf, ein verpflichtendes Schulfach einzurichten.

England betreibt die "finanzielle Alphabetisierung"

In England hat die Regierung vor acht Jahren zu einer weit umfassenderen Maßnahme ausgeholt: sie hat die "finanzielle Alphabetisierung" der Bevölkerung ins Auge gefasst und die Finanzmarktaufsicht damit betraut, eine nationale Strategie zur finanziellen Allgemeinbildung auszuarbeiten und umzusetzen.

150 Millionen Euro sind in den letzten drei Jahren in diesen Auftrag geflossen, der unter anderem auch in Betrieben umgesetzt wird: Teams von "Finanzpädagogen" kommen in Unternehmen und klären vor Ort über Umgang mit Geld und Finanzprodukten auf - mit hohem Erfolg, wie begleitende Studien belegen.

Auffällig sei dabei, so Experte Howard Gannaway, dass Finanzprobleme fast ausnahmslos dort aufträten, wo Menschen armutsgefährdet oder arm seien, was dazu anhalten solle, die Forschung stärker der Frage der Verquickung von Überschuldung und Einkommensarmut zu widmen.

Finanzielle Allgemeinbildung in Holland

In Holland gehört finanzielle Allgemeinbildung zum Programm der Sozialbanken, der Volkskreditbanken, unter denen sich das Modell in Appingedam einen besonderen Namen gemacht hat. Volkskreditbanken sind gleichzeitig Schuldnerberatungsstellen, Schuldenregulierungseinrichtungen, Banken mit speziellen Finanzprodukten und pädagogische Einrichtungen.

In Appingedam gelingt es, Menschen innerhalb von zwei Jahren schuldenfrei zu machen, der volkswirtschaftliche Nutzen der - wie überall - weitgehend von der örtlichen Gemeinde finanzierten Bank ist konkret errechnet: er ist nahezu doppelt so hoch wie die Investition ins Projekt, da die Sozialkosten für entschuldete Menschen geringer sind.

Sozialbank-Projekt in Österreich

2006 hat auch die Erste Bank in Österreich ein "Sozialbank"-Projekt gestartet und die "Zweite Österreichische Sparkasse" eröffnet - mit mittlerweile Filialen in Wien, Tirol und Salzburg. Dort erhalten Menschen, die aufgrund von Überschuldung von ihrer Bank das Konto entzogen bekommen haben, wieder einen Bankzugang, ein Girokonto, allerdings ohne Überziehungsrahmen und diverse weitere Bankprodukte.

Die Zweite Sparkasse arbeitet dabei mit Partnern wie Schuldnerberatungen, Caritas, Hilfswerk, MA 40 oder Neustart zusammen, die Klienten zuweisen. Die Mitarbeiter des Projekts rekrutieren sich aus der Belegschaft der Ersten Bank oder ehemaligen Angestellten, die sich ehrenamtlich engagieren.

Beratung alleine ist zuwenig

Michaela Moser vom Dachverband der Schuldnerberatungen Österreichs goutiert derlei Initiativen, möchte aber im Blick behalten, dass es für eine wirksame Bekämpfung der Überschuldung darauf ankommt, verschiedenste Politikfelder zusammenzuführen: Sozial-, Arbeitsmarkt-, Wirtschafts-, Konsumentenschutzpolitik seien gleichermaßen gefragt. Finanzielle Allgemeinbildung allein nütze wenig, wenn Kredite zu Wucherzinsen vergeben würden oder Einkommen zu gering seien, um den Lebensunterhalt zu fristen.

Schulden machen sei Ausdruck einer gesellschaftlichen Verarmungsbewegung, erklärt der Rechtssoziologe Nikolaus Dimmel von der Universität Salzburg. Deshalb gelte für die untersten 20 Prozent der Population als wichtigste Maßnahme die Vermeidung von Einkommensarmut. Für jenen Teil der Bevölkerung, der Schulden mache, um im Statuswettbewerb Schritt zu halten, gelte es, die antreibenden Ideologien zu hinterfragen und die Frage zu diskutieren, welche Zugänge man Menschen zum Schuldenmachen eröffne.

Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 31. März bis Donnerstag, 3. April 2008, 9:05 Uhr