Ein aktives Verhältnis

Karajan und seine Zeitgenossen

Es scheint gänzlich vergessen: Herbert von Karajan und sein aktives Verhältnis zur Musik seiner Zeitgenossen. In Berlin und Salzburg dirigierte er Uraufführungen von Henze und Krzysztof Penderecki, von Gottfried von Einem und Gerhard Wimberger.

Karajan im Interview und als Webern-Dirigent

Herbert von Karajans aktives Verhältnis zur Musik seiner Zeitgenossen scheint gänzlich vergessen. In Berlin und Salzburg dirigierte er Uraufführungen von Hans Werner Henze und Krzysztof Penderecki, von Gottfried von Einem und Gerhard Wimberger.

Karajans Engagement für Schostakowitsch, Schönberg und die Zweite Wiener Schule war die Grundlage dafür.

Von Selbstinszenierung überstrahlt

Karajan und die Moderne, das ist ein irgendwie seltsames Kapitel. Einerseits war Musik von Zeitgenossen durchaus präsent in seinem Dirigentenleben, aber zugleich von der Selbstinszenierung ganz anderer Inhalte so überstrahlt, dass es gewissermaßen wieder unsichtbar wurde.

Dabei hat Karajan nicht wenige Uraufführungen dirigiert, schon seit den 1930er Jahren und, wie soeben zu hören war, diese Gepflogenheit über Jahrzehnte in Maßen beibehalten.

Brittens "War Requiem"

Karajan dirigierte nicht nur immer wieder auch Uraufführungen von Werken bekannter und weniger bekannter Komponisten, er widmete sich auch hin und wieder den großen neuen Würfen des jeweils Zeitgenössischen. Sechs Jahre nach seiner Entstehung, 1951, dirigierte er beispielsweise Béla Bartóks "Konzert für Orchester", zwei Jahre nach der Entstehung, 1964, das "War Requiem" von Benjamin Britten. Aber auch Pendereckis "Polymorphia", Luigi Nonos "Incontri" und - 1969 - "Atmosphére" von György Ligeti wurden von ihm dirigiert.

Das ist einerseits alles nichts Sensationelles, und ist dennoch mehr als Dirigenten der damaligen internationalisierten Klassik-Szene an Zeitgenössischem dirigierten. Der Karajan-Biograph Richard Osborne fertigte Tabellen an mit Überschriften wie "Von Karajan zwischen 1936 und 1968 dirigierte Werke, die nicht älter als zehn Jahre waren". Und kommt dann zur nüchternen Schlussfolgerung: "Wie die Tabellen zeigen, führte Karajan weniger neue Musik auf, als er gekonnt hätte, aber mehr als oft angenommen".

Warum nicht mehr Zeitgenössisches?

Und wenn Karajan in Interviews gefragt wurde, warum er nicht mehr zeitgenössische Musik dirigiere, dann rekurriert er bezeichnenderweise auf die Aufführungsqualität und die dafür notwendige Probenzeit.

Hören Sie dazu unser Audio am Beginn der Seite. Karajans Antwort stammt aus dem Jahr 1972 und er bereitete gerade seine Webern-Aufnahmen in Berlin vor und hatte Strawinskys "Apollon Musagete" exzessiv aufgeführt. Ein Jahr später nahm er die zu Beginn des Statements erwähnten Webern-Werke mit den Berliner Philharmonikern auf - hören Sie davon einen Ausschnitt in unserem Audio.

Webern dirigieren gesehen

Karajan hatte als Student in Wien Webern selbst seine Musik dirigieren sehen. Und er war gar nicht der damals gängigen Meinung, das sei eine sperrige, kalte Angelegenheit. Karajan über Webern: "Seine Hingabe war immens". Er fügt allerdings hinzu, dass die Interpretation durch die technisch nicht genug versierten Musiker dennoch miserabel gewesen sei.

1973 nimmt Karajan dann in Berlin in der Philharmonie dieses Webern-Programm für die Deutsche Grammophon auf. Im März 1973 sind die "Sechs Orchesterstücke" opus 6 an der Reihe, und Karajan scheint sich zu bemühen, einer Anmerkung von Hans Heinz Stuckenschmidt zu folgen, die sich später im Booklet finden wird: "Neben der Kürze und dem Verzicht auf Wiederholung und thematisch-motivische Arbeit fällt die formende Funktion der Klangfarben auf.

Unstimmigkeiten über das Repertoire
Selten erwähnt wird in diesem Zusammenhang, dass der Plattenfirmenwechsel Karajans in den 1960er Jahren von EMI zur Deutschen Grammophon nicht zuletzt in Unstimmigkeiten über das Repertoire seinen Grund hatte.

Auch Karajan hatte es sich von nämlich von seiner Plattenfirma sagen lassen müssen, dass er nicht das von ihm gewünschte Repertoire Strawinsky, Prokofjev und Schostakowitsch produzieren dürfe, sondern die "Scheherazade" von Rimsky-Karsokov machen solle. Daraufhin wechselte Karajan zur Konkurrenz.

Henze uraufgeführt
Mehrmals dirigierte Herbert von Karajan Musik von Hans Werner Henze. 1964 berichten manche Annalen von einer ganzen Serie von Henze-Symphonie-Dirigaten, Am 20. Jänner 1962 brachte Karajan das viertelstündige Stück "Antifone" von Henze in Berlin zur Uraufführung und dirigierte das Werk in Folge mehrmals.

Selten hat Henze sich strenger serieller Techniken bedient, hier aber verknüpft er seine Vorliebe für filigrane Klangschönheit mit diesen strukturalistischen Kompositionsmethoden. Es ist schon wie eine ironische Volte der Musikgeschichte, dass Herbert von Karajan von einem Komponisten, der sonst oft fast wie post-Richard-Strauß klingen konnte, ausgerechnet dieses Werk gewidmet bekommt und auch uraufführt.

Zeitgenössisches in Salzburg
Karajan dirigierte auch bei den Festspielen hin und wieder Zeitgenössisches. 1957 beispielsweise gab es im Mozarteum ein Konzert mit Karajan und den Berliner Philharmonikern mit dem schön schlichten Titel "Konzert für zeitgenössische Musik Nr. 1". Auf dem Programm stand unter anderem das Konzert opus 20 für Klavier und Orchester von Gottfried von Einem, als Solistin spielte Gerty Herzog.

Im selben Konzert stand auch noch eine Uraufführung auf dem Programm, die "Sinfonia parabolica" von Theodor Berger. Karajan setzte dieses Stück übrigens auch noch in anderen Konzerten aufs Programm.

Karajan-Tag auf Ö1
Am Samstag, 5. April 2008 jährt sich ja Karajans Geburtstag zum hundertsten Mal und angefangen von der Klassik-Nacht auf den 5. April ist der ganze Tag auf Ö1 dem Dirigenten gewidmet: Der Schwerpunkt zieht sich über den "Klassik-Treffpunkt" mit Wiener Philharmonikern als Gästen, einem "Ö1 bis 2", einem aus dem Salzburger Archiv bestückten "Apropos Musik", einem "Diagonal" zum Thema "Klassik-Kommerz. Karajan und die Folgen" und einem Operntermin mit einer soeben restaurierten "Fidelio"-Aufnahme aus 1962 bis in die Abendstunden.

Hör-Tipps
Zeit-Ton, Freitag, 4. April 2008, 23:05 Uhr

Österreich 1 Klassik-Treffpunkt, Samstag, 5. April 2008, 10:05 Uhr

Apropos Klassik, Samstag, 5. April 2008, 15:06 Uhr

Diagonal, Samstag, 5. April 2008, 17:05 Uhr

Beethoven: "Fidelio", Samstag, 5. April 2008, 19:30 Uhr

Matinee am Sonntag, Sonntag, 6. April 2008, 11:03 Uhr

Gedanken, Sonntag, 6. April 2008, 13:10 Uhr

Link
Karajan 2008