Neue Biografie füllt eine Lücke

Joseph Keilberth

Joseph Keilberth gehörte zu den großen Dirigenten seiner Zeit. Kaum ein Künstler, der mit Keilberth gearbeitet hat, wird sich nicht mit allergrößter Hochachtung an den Vielseitigen erinnern. Nun ist eine große Keilberth-Biografie erschienen.

"Keilberth war mindestens ebenso bedeutend wie andere Große seiner Zeit. Nur hat Keilberth das von der Pike auf gelernt. Und die Demut, die er dadurch gehabt hat, die hat ihn leider nicht dazu befähigt, so berühmt mit Reklame und allem Drum und Dran zu werden, wie, sagen wir einmal, Karajan. Er war zu bescheiden, viel zu bescheiden. Und hat viel, viel gekonnt, manchmal mehr als die anderen" - so die Erinnerung der legendären Sängerin Martha Mödl an den Dirigenten Joseph Keilberth.

Joseph Keilberth gehörte zu den großen Dirigenten seiner Zeit. In seiner Heimatstadt Karlsruhe hatte seine Laufbahn begonnen, hier stieg er vom Korrepetitor bis zum Generalmusikdirektor auf. Ab 1940 war er Leiter des Deutschen Philharmonischen Orchesters in Prag, nach dem Krieg eine der maßgeblichen Figuren beim Wiederaufbau des Musiklebens in Dresden und Berlin. Ab 1951 leitete er die Hamburger Philharmonie, von 1950 bis zu seinem Tod die Bamberger Symphoniker, die aus dem Deutschen Philharmonischen Orchester in Prag hervorgegangen sind. In den 1950er Jahren war er einer der wichtigsten Dirigenten der Bayreuther Festspiele - und schließlich ab 1959 Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper München.

Hochachtung für den Dirigenten

Kaum ein Künstler, der mit Keilberth gearbeitet hat, wird sich nicht mit allergrößter Hochachtung an den vielseitigen Dirigenten erinnern - eine große Joseph Keilberth-Biografie hat aber bisher gefehlt. Doch nun ist auch diese Lücke geschlossen: Im Apollon Musikoffizin Austria, ist, herausgegeben von Herman Dechant, ein mit fast 800 Seiten äußerst umfangreiches Buch über den Dirigenten erschienen - geschrieben vom Sohn Thomas Keilberth, seines Zeichens Doktor der Germanistik.

Er hat die von 1926 bis 1968 geführten Tagebücher seines Vaters ausgewertet, im Grunde weniger Tagebücher als vielmehr Arbeitsdokumentationen, in denen der Dirigent mit großer Akribie alle seine Auftritte mit Programmen und Mitwirkenden verzeichnet hat - und mit persönlichen Kommentaren versehen hat, die auch viel von den besonderen Zeitumständen, namentlich während des Krieges, aber auch in den schwierigen Jahren danach aufzeigen.

Genaue Dokumentation

"Joseph Keilberth - ein Dirigentenleben im 20. Jahrhundert" ist keine Biografie im üblichen Sinn: Man kennt sie, die vielen Bücher über Künstler, die nur Einzelaspekte wiedergeben und von einem Erfolg der betreffenden Person zum nächsten eilen. Hier ist ganz im Gegenteil zu solchen Veröffentlichungen quasi jeder Auftritt, jedes Konzertprogramm, das Joseph Keilberth bestritten hat, jede Opernvorstellung, die er dirigiert hat, genauestens dokumentiert - aus der persönlichen Sicht des Dirigenten, denn auf Kritiken wurde ganz verzichtet.

Man erlebt den Maestro - ein Wort übrigens, das er gar nicht geschätzt hätte - in der Auseinandersetzung mit seinen Arbeiten, mit den Problemen, die ihm manche Werke aufgegeben haben - als mit sich selbst äußerst strenger Arbeiter, der sogar seine eigenen Fehler genauestens dokumentiert hat. Ein Problem liegt dabei eindeutig in der Konzentration auf die eigene Meinung des Dirigenten: Wenn er anmerkt, dass er dieses oder jenes Werk noch nicht ganz beherrsche, dass er improvisiert habe, so wüsste man doch fallweise gerne, wie die Presse darauf reagiert hat. Dieser Aspekt bleibt in diesem Buch leider ausgeklammert.

Gnadenloses Urteil
Einige Künstler, so sie noch leben, werden es wahrscheinlich gar nicht gerne haben, wenn man hier beispielsweise lesen kann - in Bezug auf einen "Rosenkavalier" 1965 in München mit den Damen Hertha Töpper, Erika Köth und Lisa della Casa: "Nur die Töpper 1a, Köth gut, Casa vorbei", oder in Bezug auf eine "Meistersinger"-Vorstellung ebenfalls in München mit Hans Hopf und Ingrid Bjoner: "Viel Schwung und Stimmung, Hopf im 1.Akt mäßig, aber sehr gut auf der Festwiese, Bjoner geht das B im Quintettschluss daneben".

Aber es ist eben diese Ehrlichkeit, mit der hier eine außerordentliche Dirigentenlaufbahn nachvollzogen wird, die begeistert. Angesichts der schieren Fülle ist man vielleicht undankbar, wenn man sich manche Anmerkungen zu Zeitumständen mehr vertieft wünscht, wenn man überhaupt gerne wüsste, wie ein solches Pensum am Aufgaben - insbesondere während der Kriegsjahre und danach - mit weiten Reisen und Tourneen überhaupt zu bewerkstelligen war.

Keine Beschönigungen
Und dennoch hebt sich dieses Buch so wohltuend von anderen Erfolgszusammenstellungen ab, weil es genauer und umfassender dokumentiert und weil es nicht beschönigt, sondern auch menschliche und künstlerische Probleme aufzeigt, statt diese elegant zu übergehen.

Wenigstens auf den letzten Seiten kommen dann auch noch Zeitgenossen über Joseph Keilberth zu Wort, beispielsweise Theo Adam, Brigitte Fassbeander, Dietrich Fischer-Dieskau, Martha Mödl, Ingrid Haebler, Ludwig Hoelscher und andere - die zumindest ein wenig die zuvor genauestens belegte Innenschau auch mit Wirkung nach außen auffüllen. Ein großes Register und eine umfangreiche Phonographie runden dieses außergewöhnliche Buch ab.

Hör-Tipp
Apropos Oper, Dienstag, 15. April 2008, 15:06 Uhr

Buch-Tipp
Thomas Keilberth, "Joseph Keilberth - Ein Dirigentenleben im XX. Jahrhundert", Herausgegeben von Hermann Dechant, Phonographie von Edeltraut Schneider, Apollon Musikoffizin Austria