Talking Balkans - Teil 4

Der Blick auf den Balkan

Mit der Expansion in den Balkan hat die österreichische Wirtschaft ihren Heimmarkt von acht auf hundert Millionen erweitert. Junge Menschen aus Osteuropa sollen Führungskräfte werden. Für ihre Ausbildung brauchen sie vor allem mehr Bewegungsfreiheit.

"Der österreichische Blick auf den Balkan - freundlich oder skeptisch?" war das Thema der vierten und letzten Diskussionsrunde von "Talking Balkans". Eines der Ergebnisse: Es gibt es nicht nur den einen, sondern viele österreichische Blickwinkel auf den Balkan. Freundliche und skeptische.

Wirtschaftsnachteile ausgleichen
In der Wirtschaft haben mittlerweile wohl die meisten Leute die Vorteile erkannt, welche der vor der Haustür befindende Balkan seit dem Ende des kalten Krieges für Österreich brachte.

Bevor der eiserne Vorhang fiel, war Österreich in einer wirtschaftlich sehr nachteiligen Position. Das Land stand eingezwängt zwischen den großen westlichen Wirtschaftssystemen wie z.B. Deutschland auf der einen Seite, und der politischen Grenze auf der anderen Seite. International agierende Unternehmen gab es damals fast keine, meint Wolfgang Ruttenstorfer, CEO der österreichischen Mineralölgesellschaft OMV.

Heimmarkt umfasst 100 Millionen
"Für uns war klar: nach dem Fall der Mauer wollten wir diesen Nachteil ausgleichen." Der "Heimmarkt" hat sich durch die Expansion in den Balkan von 8 Millionen Menschen auf über 100 Millionen Menschen vergrößert. Österreichische Unternehmen haben seit dieser Zeit international stark aufgeholt.

Dass der Markt immer noch weiter wächst liegt daran, dass auch die Menschen in dem Balkanländern "in allen Bereichen aufzuholen haben:
Heute gibt es in Osteuropa pro 1.000 Einwohner 100 Autos. In Österreich sind es pro 1.000 Einwohner 500 Autos. Da ist noch vieles machbar."

Auch um die menschlichen Ressourcen geht es Ruttenstorfer: in den aufstiegsorientierten jungen Menschen am Balkan sieht er Führungskräfte von morgen, die auch Kompetenzen in Regionen wie der Türkei oder Ukraine mitbringen.

Gekappte Märkte für Kultur
Eher skeptisch sahen österreichische bildende Künstler ihre osteuropäischen Kollegen: "Es gab eine große Voreingenommenheit gegenüber dieser sehr ausdrucksstarken Kunst aus dem Osten." Man fühlte sich in der künstlerischen Entwicklung überlegen, ohne zu sehen, dass die osteuropäische Kunst etwas war, das nach vier Kriegen entstanden ist, also etwas völlig Einzigartiges, meint Erhard Busek, Sonderkoordinator des "Stabilitätspakts für Südosteuropa".

Im Gespräch mit Künstlern auf dem Balkan sei ihm immer wieder deren Anti-Haltung zu den neu gezogenen nationalen Grenzen begegnet, so der Moderator und ORF-TV-Kulturchef, Martin Traxl. Verleger, die Filmwirtschaft und andere Kulturbereiche leiden stark unter den dadurch verkleinerten Absatzmärkten.

Doch auch im Westen steigt das Interesse an Kunst und Literatur aus dem Balkan, was sich in den vermehrten Übersetzungen zeigt. Die EU sollte hier unterstützen und sich auf die Finanzierung von Synchronisationen und Übersetzungen konzentrieren, findet Busek.

Barrierefreiheit
Der Markt im Westen bleibt den meisten Künstlern aber oft aus einem einfachen Grund verschlossen: sie können ihre Werke im Westen nicht präsentieren - wegen der Visapflicht. "Das raubt Perspektiven", meint der Moderator.

"70 Prozent der Serben waren noch nie im Ausland", sagt der Botschafter Franz-Josef Kuglitsch. "Man nimmt unsere Realität nur unzureichend wahr. Genau das wäre aber wichtig für die Einschätzung des eigenen Landes."

"Ich wäre für Visafreiheit für alle diese Länder", so Busek, und räumt mit den Ängsten der österreichischen Bevölkerung auf: "Ein guter Krimineller bekommt sowieso immer ein Visum."

Dass die Visabestimmungen zumindest liberalisiert gehören, findet auch Albert Rohan, UN-Kosovo Beauftragter. "Wie sollen sich die Menschen ein Bild von ihrer Situation machen, wenn sie nie aus dem Land kommen?" Die Diskussion um Visafreiheit sei "ein ständiger Kampf zwischen Innen- und Außenminister aller Länder."

Helfersyndrom
Mit dem Visaproblem eng verbunden ist jenes des interkulturellen Austausches, der im Bildungsbereich neue Perspektiven eröffnen würde.

Langfristig sinnvolle Unterstützung gehört in den Bildungsbereich, so Kuglitsch. Den Firmen fehle es an Facharbeitern, die Universitäten brauchen Austauschprogramme, Stipendien im Ausland müssten ermöglicht werden. Das durch die Visapflicht zu unterbinden sei unmenschlich, meint Busek.

Statt großherzigen Geldgeschenken helfe man den Kosovaren immer noch am meisten, wenn der eigene Arbeitsmarkt geöffnet werde: "das meisten Geld, das die bei uns verdienen, geht sowieso zurück in den Kososvo", so Busek.