Der Fall "Magyar Hirlap"
Antisemitismus in Ungarns Medien
In Ungarn wird Antisemitismus zunehmend salonfähig. Schuld daran ist nicht zuletzt die rechtskonservative Partei Fidesz, die das Klischee vom Juden als hinterhältigem, profitorientierten Verräter der Nation hochhalten. Auch in den Medien.
8. April 2017, 21:58
Was antisemitische Äußerungen betrifft, gibt es in Ungarn traditionell eine niedrige Hemmschwelle. Das schlägt sich auch in den Medien nieder. Mit ihrer Hasstirade gegen "Budapester jüdische Journalisten", deren "bloße Existenz den Antisemitismus rechtfertigt" hat sich die rechtskonservative Tageszeitung "Magyar Hirlap" jedoch jüngst selbst diskreditiert.
Der Vorfall ist die groteske Übertreibung dessen, was für die ungarische Medienlandschaft üblich ist: Die eng parteigebundenen Medien versuchen, die Bevölkerung fast ausnahmslos für die eine und gegen die andere politische Seite zu gewinnen. Politischer Antisemitismus ist das Mittel der rechtspopulistischen Fidesz-Partei von Ex-Ministerpräsident Viktor Orban.
Demonstration in Budapest
Dass längst nicht alle Ungarn rechtsradikal gesinnt sind, zeigte die Demonstration im 13. Budapester Bezirk am letzten Freitag: 3.000 Menschen protestierten gegen jüngste Ausschreitungen rechtsextremistischer Gruppen gegenüber einem dortigen Ticketbüro nach einem lapidaren Streit um Konzertkarten. Die ebenfalls eingetroffenen 1.000 Rechtsradikalen sahen sich in der Minderheit.
Auch György Szabo, Fidesz-Abgeordneter des 13. Bezirks, organisierte eine vorangehende Kundgebung gegen die extremistischen Übergriffe.
Hetzartikel in Magyar Hirlap
Etwas paradox wirkt die Solidarität des Abgeordneten vor dem Hintergrund des am 19. März 2008 erschienenen antisemitischen Hetzartikels in der rechtskonservativen Tageszeitung "Magyar Hirlap": Der Publizist und enge Parteifreund der Fidesz, Zsolt Bayer, veröffentlichte dort eine bisher in Ungarns Medien einmalige antisemitische Diffamierung der jüdischen Bevölkerung, die der Schriftsteller Peter Esterhazy im Intellektuellenblatt "Elet es Irodalom" als den "verabscheuungswürdigsten Text der vergangenen Jahre" bezeichnete.
Eine Protestwelle von ungarischen Intellektuellen und ausdrückliche Distanzierungen linksliberaler wie konservativer Politiker, mit Ausnahme der Partei Fidesz, ging durch die Medien.
"Der Artikel hat wegen seiner klar antisemitischen Ausrichtung diesmal deutlich Wellen geschlagen", meint Jan Mainka, Chefredakteur der "Budapester Zeitung". Antisemitismus sei zwar erstaunlich verbreitet und akzeptiert in Ungarn. Gegenüber der rechtsradikalen Szene, mit der sich niemand identifiziere, gäbe es jedoch eine klare Grenze.
Latenter Antisemitismus
Dass Antisemitismus jedoch zunehmend salonfähig wird, ist auch Schuld des Fidesz. Mit seinen politischen Parolen und einfachen wie absurden Feindbildern schürt er indirekt auch vorhandene Vorurteile vom Juden als hinterlistigem Kapitalisten und Verräter der Nation.
Ungarische Medien treten fast ausnahmslos als Sprachrohr für eine der beiden großen Parteien, des rechten Fidesz, oder der amtierenden linken MSZP, auf.
Parteinahe Medienbesitzer
Mit dem Aufkauf der einst liberalen Zeitung "Magyar Hirlap" nahm der neue Besitzer Gabor Szeles einen extremen, rechtskonservativen Kurswechsel vor, mit dem sie an Glaubwürdigkeit stark einbüßte.
"Man vermutet, dass der Besitzer sich durch diese Investition nach einem Regierungswechsel Vorteile erhofft", meint Mainka: "Der Fidesz will partout an die Macht". Mit rechtsradikalen Parolen versucht man, eine möglichst breite Wählerschaft anzuziehen, so weit als möglich auch von rechts.
Judenhass gesellschaftlich verankert
Ob jüdisch oder nicht, Klischees werden bedient: "'Jüdischer Journalist' bin ich wahrscheinlich in deren Augen auch", meint Mainka. "Jude" gilt als Beschimpfung für alle, die nicht nationalpatriotisch gesinnt sind.
Auch ihn, der vor zwanzig Jahren aus Ostdeutschland nach Ungarn zog, haben die latent vorhandenen Ressentiments gegenüber Juden in der Bevölkerung immer wieder erstaunt. Natürlich geschehe das "verklausuliert": In der Öffentlichkeit geht kaum einer so weit wie Zsolt Bayer, der aus seinem Antisemitismus keinen Hehl macht.
Intellektuelle protestieren
Hunderte ungarische Intellektuelle protestierten in einem offenen Brief an den Großindustriellen und Zeitungsbesitzer Gabor Szeles, der sich auch als Bewunderer des Fidesz-Chefs Viktor Orban zu erkennen gibt, gegen die publizistische Grenzüberschreitung seiner Zeitung und die politische Geiselnahme der Medien.
György Vari von der linksliberalen Zeitung "Nepszabadsag" verspricht sich wenig Erfolg von dieser Aktion: "Die Geste einer Petition setzt einen gesellschaftlichen Konsens voraus, aufgrund dessen man auf den Normverstoß hinweisen kann. Dieser Konsens (gegen Antisemitismus) ist in Ungarn derzeit nicht gegeben."
Kein Wunder: Laut Lehrplan sind für die Aufarbeitung des Holocaust an Ungarns Schulen genau 45 Minuten vorgesehen.
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