Leichtfüßiges Buch zuschwierigem Thema

Verschwunden

Was als eine Art Selbsttherapie in einer Phase der Depression begann, ist nun ein Buch vom Verschwinden geworden. Die Literaturwissenschaftlerin Silvia Bovenschen vermeidet die klassische Romanform und reiht verschiedene Geschichten aneinander.

Die Literaturwissenschaftlerin Silvia Bovenschen beschränkt bei ihren Erzählungen vom Verschwinden nicht auf eine schlichte Handlung - sie geht andere Wege, vermeidet die klassische Romanform und reiht stattdessen verschiedene Geschichten aneinander, die sich ausnahmslos mit dem Verschwinden beschäftigen. Zusammengehalten werden diese Geschichten von einer Rahmenhandlung: Daniela, die an den Rollstuhl gefesselte Protagonistin, lässt sie sich von ihren Freunden erzählen und nimmt diese Erzählungen auf Band auf.

Lose Form
Eigentlich hatte Silvia Bovenschen gar nicht vor, ein neues Buch zu schreiben, aber der Verlag ließ nicht locker und dann rutschte Bovenschen selbst in eine depressive Phase und beschloss, ihrer düsteren Stimmung eine Bühne zu schaffen.

In den Geschichten, die Danielas Freunde erzählen, spiegelt sich daher auch Bovenschens eigener Umgang mit dem Thema, und die lose Form gestattet es ihr, sich mit allen Aspekten des Verschwindens auseinanderzusetzen. Olga beispielsweise erzählt von einem gestohlenen Laptop, auf dem all ihre Texte, Notizen und Adressen gespeichert sind - und der etwas später auf seltsame Weise wieder auftaucht. In anderen Berichten verschwinden Schmuckstücke, Jugendfreunde oder Geliebte, Gefühle oder Ängste, und manchmal verschwinden auch die Erzähler selbst.

Heiter bis ernst
Es ist also nicht alles immer bitterernst, was Silvia Bovenschen ihre Figuren erzählen lässt, aber es kann natürlich bitterernst werden. Denn das Verschwinden hat für Bovenschen auch einen sehr verstörenden Aspekt. "Das radikalste Verschwinden ist natürlich der Tod", sagt Silvia Bovenschen. "es verstört mich, es nimmt einen Teil von mir mit, es hinterlässt mich in einer unglaublichen Fassungslosigkeit."

So kulminiert ihr Buch denn auch in der radikalsten Form des Verschwindens: im Selbstmord einer Freundin, den diese gewissenhaft in ihrem Tagebuch vorbereitet hat, in dem sie sich mit ihrem geplanten Verschwinden aus der Welt auseinandersetzt. Die Passagen aus dem Tagebuch sind denn auch die düstersten Abschnitte in Silvia Bovenschens Buch, aber sogar diese Düsternis kann dem leichten Grundton nichts anhaben.

Witz und Tempo
So genau die Autorin das Thema Verschwinden auch auslotet, so sehr sie an die Grenzen geht, kann sie doch nicht verhehlen, dass ihr die Arbeit in Wahrheit einfach Spaß gemacht hat. Wie nebenbei liefert Bovenschen auch manchmal amüsante, manchmal tiefgehende Charakterstudien ihrer Figuren. Der Freundeskreis ist von Danielas Projekt nicht durchwegs begeistert, manche nehmen die ganze Sache nicht ernst, andere ergehen sich in endlosen Monologen über die Sinnhaftigkeit eines solchen Vorhabens, wieder andere allerdings bemühen sich nach Kräften, ihren Teil beizutragen.

Silvia Bovenschen spielt mit Tempi und Stilrichtungen, kreiert Figuren wie die leicht hysterische Friederike, die schwermütige Celia und Anton, der sich über seinen "ulkigen Märchenton" lustig macht. Mit Witz und Tempo macht sich die Autorin über das Thema "Verschwinden" her und nimmt ihm damit irgendwie seinen Schrecken, ohne es zu banalisieren, aber auch ohne es zu dramatisieren. Es ist ein leichtfüßiges Buch über ein schwieriges Thema, ein Buch, das elegant zwischen Komik und Tragik balanciert und dabei ganz unaufdringlich daherkommt.

Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, jeweils 18:05 Uhr

Buch-Tipp
Silvia Bovenschen, "Verschwunden", S. Fischer

Link
S. Fischer - Verschwunden