Über Risiken und Nebenwirkungen von Migration

Parallelgesellschaften

Spätestens seit den Londoner Terroranschlägen und den Unruhen in den Pariser Vorstädten gelten Parallelgesellschaften von Einwanderern als gefährlich. Parallelgesellschaften sind aber auch Schutzraum und erleichtern das Leben in den Einwanderungsländern.

Von Parallelgesellschaften, so der Göttinger Sozialwissenschafter Franz Walter, könne man dann sprechen, wenn es sich, erstens, um eine ethnisch, kulturell oder weltanschaulich homogene Gruppe handelt, die sich, zweitens, freiwillig von der Mehrheitsgesellschaft abschließt und dabei, drittens, über eine eigenständige Infrastruktur ziemlich autark versorgt.

Parallelgesellschaften hat es zum Beispiel im Wien der Zwischenkriegszeit gegeben: Im Roten Wien konnte man von den Kinderfreunden bis zum Bestattungsverein "Die Flamme" fast das ganze Leben in der Arbeiterkultur abseits der verhassten bourgeoisen Kultur verbringen. Und auch die Alternativszene der 1970er und 80er Jahre hatte mit ihren Kinderläden, Alternativschulen, Alternativmedien und Biogeschäften Ansätze einer Parallelkultur.

Vom Nutzen der Parallelgesellschaft

Parallelgesellschaften können Migranten den Wechsel in eine kulturell anders geprägte Gesellschaft erleichtern: Sie machen die Ankunft im anderen Land leichter erträglich, sie stellen soziale Beziehungen her und sind Refugium und Schutzraum. Das kann man an Hand der vielen Chinatowns und Little Italys quer über den Erdball sehen.

Parallelgesellschaften sind, schreibt Sozialwissenschaftler Walter, keineswegs von vorneherein eine Bedrohung: "In historischer Perspektive haben die meisten von ihnen, oft gegen ihre ursprüngliche Absicht, eine beachtliche Integrations- und Stabilisierungsleistung hervorgebracht - je sozial offener die herkömmliche Kerngesellschaft sich verhielt, desto stärker konnte dies gelingen."

Clash of Cultures
Parallelgesellschaften können sich aber auch abkapseln und der Integration verweigern. Ihre Mitglieder leben oft so, als wären sie immer noch in ihrer alten Heimat. Am Beispiel Kopenhagen. Die jährliche Schwulen- und Lesben-Parade heißt dort "Copenhagen Pride". Sie findet im August statt und hat ihre Route immer durch das Stadtviertel Nörrebro genommen. Doch seit die Teilnehmer des Umzuges dort mit Steinen beworfen worden sind, muss die Parade in der dänischen Hauptstadt einen Umweg machen. Denn in Nörrebro leben viele muslimische Zuwanderer, und die schätzen Homosexuelle nicht gerade.

Oder Paris: Französische Ärztevereinigungen beklagen, dass immer mehr Zuwanderer aus dem Maghreb den männlichen Spitalsärzten verbieten wollen, ihre Frauen medizinisch zu untersuchen. Oder Berlin: Von dort kommt die Meldung, dass in der deutschen Hauptstadt immer mehr Kinder auf private Schulen geschickt werden, weil in öffentlichen Schulen die Migrantenkinder mit ihren Sprachproblemen überwiegen.

Pros und Kontras
Die Integration von Zuwanderern erfolgt nicht so reibungslos, wie sich das viele gewünscht haben. Vordergründig entzünden sich die Konflikte an der Sprache, der Kultur, der Religion. Soll es eine Leitsprache geben, die alle beherrschen müssen? Was tun, wenn muslimische Mädchen nicht an Schulausflügen oder am Sportunterricht teilnehmen dürfen? Ist ein aus dem Sudan stammender Lehrer, der Frauen nicht die Hand geben will integrationsunwillig, haben die Kärntner Behörden daher recht, wenn sie ihm die Staatsbürgerschaft verweigern? Ist Assimilierung wirklich, wie das der türkische Ministerpräsident Erdogan vor kurzem bei einem Staatsbesuch in Deutschland gesagt hat, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit? Oder ist sie nicht eine Voraussetzung zum Beispiel dafür, dass aus dem Sohn eines ungarischen Zuwanderers namens Sarközy ein französischer Staatspräsident werden kann, mit Namen Sarkozy?

"Ja, Migration ist auch eine Zumutung, für die Einheimischen wie für die Zugewanderten", meint der in Kiel lebende und deutsch schreibende Schriftsteller Feridun Zaimoglu.

Österreich ist ein Einwanderungsland
Das ist es natürlich, auch wenn das von der Politik nur selten offen ausgesprochen wird. Der Anteil der Zuwanderer ist im landesweiten Durchschnitt mit elf Prozent genauso hoch wie im klassischen Einwanderungsland, den USA. Ohne Migration würde die Bevölkerung schrumpfen, würden manche Wirtschaftszweige wie die Bauwirtschaft oder das Gesundheitswesen wohl zusammenbrechen. Ohne Zuwanderung stünde es um die Finanzierung der Pensionssysteme noch schlechter als es ohnehin schon steht.

Neue Qualität der Debatte
Die Zuwanderung bringt aber nicht nur bunte Straßenmärkte und kulinarischen Mehrwert zu uns, sie kann auch Probleme schaffen, politisch und gesellschaftlich. Lange Zeit galt es als eher unfein, sich damit näher zu beschäftigen - denn damit würde man Gefahr laufen, billige Klischees zu bedienen und die Geschäfte der Ausländerfeinde zu betreiben. Doch mittlerweile sind es auch Migranten, die sich diesen Themen stellen, und, wohl nicht zufällig, meist Frauen. Denn vor allem an den Frauenrechten hat sich die Debatte entzündet, am Kopftuch, an Zwangsheirat, an Gewalt gegen Frauen, die die vermeintliche "Familienehre" beschmutzen.

Die schwedische Integrationsministerin möchte Mädchen unter 15 Jahren das Kopftuch verbieten und sie will in den Schulen gynäkologische Untersuchungen durchführen lassen, um Genitalverstümmelungen zu verhindern. Diese schwedische Ministerin ist keine ausländerfeindliche Rassistin, sie heißt Nyamko Sabuni, ist schwarz und wurde im Kongo geboren.

Die Berliner Anwältin Seyran Ates, eine gebürtige Türkin, schreibt:

Ehrenmorde zu kritisieren, sie zu ächten und das Strafrecht zu ändern, hat nichts mit Rassismus zu tun. Die Leidtragenden dieser besonderen Empfindsamkeit der Gutmenschen dem Islam gegenüber sind wir Frauen. Der sogenannte Minderheitenschutz dient in Bezug auf Islam und Religionsfreiheit letztlich nur dazu, veraltete archaisch-patriarchale Strukturen aufrechtzuerhalten und zu verfestigen. Sind Frauenrechte keine Menschenrechte?

In ihrem Buch "Die fremde Braut" kritisiert die in Istanbul geborene deutsche Autorin Necla Kelek, dass die Anhänger des Multikulturalismus Verstöße gegen die Menschenwürde zu kulturellen Eigenheiten umdefinieren würden und somit verharmlosen. Wenn akzeptiert werde, dass Eltern ihre Kinder von der neuen Heimat fernhalten, wenn zwangsweise Verheiratungen mit dem Hinweis relativiert würden, dass schließlich auch bei uns Ehen von Heiratsinstituten arrangiert werden - dann sei das falsch verstandene Toleranz.

Die Bücher von Necla Kelek und Seyran Ates sind verächtlich als "Schleierliteratur" bezeichnet worden. Einzelne Erlebnisse würden darin zu einem gesellschaftlichen Problem aufgeblasen und so nur die herkömmlichen Vorurteile bedient werden.

Eberhard Seel in der Berliner Tageszeitung taz schwingt die Rassismuskeule:

Der neue Rassismus ist kein völkischer, er verkleidet sich in kulturalistische und essentialistische Diskurse über Ehrenmorde, Zwangsheirat und Islam. Getreu dem Motto: Wir, die aufgeklärten Pluralisten und ihr, die rückständigen antidemokratischen Troublemaker.

Die Fronten verlaufen bei dieser Debatte durchaus ungewöhnlich: auf der einen Seite die sogenannten Anti-Rassisten Hand in Hand mit patriarchalen Machos und muslimischen Traditionalisten, die alle vermeintlich kulturelle Eigenheiten der Zuwanderer verteidigen. Auf der anderen Seite die Feministinnen, kämpferische Liberale - und jene, die überhaupt keine Ausländer und schon gar keine Muslime im Land haben wollen.