Ein Stück indischer Realität

Nur Weiber-Bücher? Nicht doch!

Es ist schon wahr: Chitra Banerjee Divakaruni schreibt eher für Frauen als für Männer. Und sie spielt in ihrer neuen Heimat, den USA, geschickt den Exoten-Bonus aus: Viele ihrer Geschichten haben mit Indien zu tun. Oder mit Inderinnen in den USA.

Es hat etwas Befremdliches, wenn eine renommierte, mit Preisen überschüttete Bestsellerautorin erzählt, dass sie nie im Leben Schriftstellerin werden wollte. Dass sie eigentlich "nur", wie schon ihre Mutter, unterrichten wollte. Und dass sie sich aus diesem Grunde aufgemacht hat, in den USA Englische Literatur zu studieren.

So verließ sie mit neunzehn Jahren ihre Heimatstadt Kalkutta und zog zu ihrem Bruder nach Dayton, Ohio. Und lernte ein Land kennen, auf das sie weder "die Werke von Tennessee Williams oder Arthur Miller oder gar Hollywood" vorbereitet hatten: Auf einem ihrer ersten Spaziergänge durch das Land der Freiheit wurde sie von "Nigger"-kreischenden Jugendlichen mit Schlamm beworfen.

Benachteiligung und Aggressionen

Das war nur die erste Begegnung mit Brutalität und Gewalt. Denn als Dunkelhäutige war sie beliebtes Opfer nicht nur für kleine Sticheleien oder gröbere Anpöbeleien, sondern auch für Geschubse und Gedrängel, für Benachteiligung und ähnliche Aggressionen.

Fast unerträglich nah erfuhr sie Gewalt, als sie ihr zweites Studium als Helferin in einem Gemeindezentrum finanzierte. Eigentlich sollte sie nur Frauen bei Behördengängen unterstützen. Die meisten Frauen, die in das Zentrum kamen, suchten aber ganz andere Hilfe. Da waren Vergewaltigungsopfer, Frauen, die ihren prügelnden Männern davonzulaufen versuchten, Flüchtlingsfrauen, die vor administrativer Willkür flohen. Und dann waren da die Betrogenen, Unglücklichen und Verzweifelten der "besonderen Art": junge und ältere Asiatinnen, die mit einem Heiratsversprechen ins Gelobte Land USA gelockt worden sind, um dann ihren Männern wie Sklavinnen zu dienen.

Effektives Anti-Gewalt-Zentrum gegründet

Das war wahrlich eine ganz neue Welt für die in behüteten Verhältnissen aufgewachsene junge Frau. Es war ihr klar, dass etwas geschehen musste, nur was? Individuelle Hilfe organisieren, Hilfskräfte anwerben, Aufklärungsarbeit betreiben - dabei lernte sie Gleichgesinnte kennen. Und 1991 schließlich gründete Chitra Banerjee Divakaruni den Verein Maitri, der sehr schnell zum effektivsten Anti-Gewalt-Zentrum in der Gegend um San Francisco wurde.

Sehr gezielt wurden freiwillige Helfer gefunden, die nicht nur Englisch, sondern auch eine der folgenden Sprachen beherrschten: Bengali, Gujarati, Hindi, Kannada, Kashmiri, Konkani, Malayalam, Marathi, Marwari, Oriya, Punjabi, Sindhi, Sinhalese, Tamil, Telugu und Urdu. Nach diesem Vorbild ist auch AADA, "Asians against Domestic Abuse" in Houston, Texas, entstanden, der Stadt, in der Chitra heute lebt.

Weg zur Schriftstellerei

Nach Abschluss ihres Studiums unterrichtete Chitra an einem College - und wollte immer noch nichts mit der Schriftstellerei zu tun haben. Und dann starb ihr Großvater. Das erschütterte sie. "Ich spürte, dass ich meine Erinnerungen an ihn aufschreiben musste. Dass ich schreiben musste, um ihn nicht zu vergessen. Um nicht zu vergessen, wie er in Indien gelebt hat. Um nicht zu vergessen, wie die Menschen in Indien denken, wie ich aufgewachsen bin. Und um meine Erlebnisse loszuwerden und die Geschichten derer, die wie ich in und zwischen zwei Kulturen leben."

Ihre ersten Bücher waren Lyrikbände, wurden hoch gelobt und hochwertig ausgezeichnet, sind aber längst vergriffen und nicht ins Deutsche übersetzt. 1995 erschien "Der Duft der Mangoblüten", eine Sammlung von elf Erzählungen, die auf eine sehr zurückhaltende Weise das Leben indischer Frauen in Indien und in den USA schildern. Sie setzt sich mit der keimenden Auflehnung der Frauen gegen das traditionelle Frauenbild der Unterwürfig Duldenden auseinander, mit der Last und Lust eigener Entscheidungen und der Bürde der Tradition.

Roman verfilmt

1997 folgt ihr erster und bislang erfolgreichster Roman "Die Hüterin der Gewürze", der 2005 auch verfilmt wurde. Darin erzählt sie die Geschichte der Magierin Tilo, die auf geheimnisvolle Weise nach Kalifornien gekommen ist und in Oakland eine Gewürzhandlung betreibt. Geistige Paten waren Gabriel Garcia Marquez und Isabelle Allende, sagt Chitra. "Sie haben mir Mut gemacht, mein eigenes magisches Universum zu erfinden."

Dennoch blieb sie literarisch gesehen auch in der Realität verwurzelt. Die beiden Bücher, die sie für Kinder geschrieben hat, spielen in beiden Welten: Ganz real schlägt sich die kleine Neela durch die Wirren des Kampfs um Indiens Unabhängigkeit ("Neela: Victory Song", bislang nicht in deutscher Sprache erschienen, 2002), während Anand auf seinem Weg aus der Armut Kolkatas in ein verstecktes Tal im Himalaya durchaus mit magischer Hilfe rechnen darf - eine dreiteilige Fantasy-Geschichte mit dem Titel "Die Muschelbrüder". Ist das Chitras Kapitulation vor der Unbesiegbarkeit der Armut in der realen Welt?

Gefühlswelt der Frauen

Ihr jüngstes Buch ist vor kurzem in den USA erschienen: "The Palace of Illusions" führt die Leser zurück in die mythisch-magische Zeit des Mahabharata, des großen indischen Epos rund um die Geschichte Nordindiens, in der die sagenhaften fünf Brüder Pandava eine Hauptrolle spielen.

Chitra lässt Panchaali erzählen, die Gemahlin von einem der Fünf, und übersetzt somit dieses große, für das indische Selbstverständnis wichtige Buch in die Gefühlswelt der Frauen.

Hör-Tipp
Terra incognita, Donnerstag, 24. April 2008, 11:40 Uhr

Buch-Tipps
Chitra Banerjee Divakaruni: Der Duft der Mangoblüten. Diana Verlag

Chitra Banerjee Divakaruni: Die Hüterin der Gewürze. Diana Verlag

Links
Chitra Banerjee Divakaruni
Maitri
AADA - Asians Against Domestic Abuse