Fata Morgana oder Übermorgenstadt?

Die Marke Dubai

Dubai war die am schnellsten wachsende Stadt der Welt. Durch die weltweite Finanzkrise sind die Immobilienpreise mittlerweile um etwa 30 Prozent eingebrochen. Zahlreiche Bauprojekte, wie zum Beispiel das Harbour &Tower Project, sind gestoppt.

Gerade mal zehn Prozent seiner Visionen seien verwirklicht, ließ Sheikh Mohammed Ibn Raschid Al Makthum, Herrscher über die Vereinigten Arabischen Emirate, erst im Vorjahr verlautbaren. Und fürwahr: Visionen haben die Emiratis en masse.

Dubai - einst Fischerdorf und Schmugglerbucht - war die am schnellsten wachsende Stadt der Welt. Dort, wo bis vor kurzem die Zukunft gebaut wurde, war vor weniger als 15 Jahren noch Wüste. Dubai ist dabei allerdings nicht das alleinige Zukunftsprojekt auf der Arabischen Halbinsel. Auch die Nachbar-Emirate wie Abu Dhabi, Schardscha oder Ra’s al-Chaima stellen zusammen punkto Wachstumsraten die Wachstumsgiganten China und Indien in den Schatten.

Auch wenn die internationale Finanzkrise den Plänen nun einen Strich durch die Rechnung gemacht hat, zahlreiche Projekte werden doch verwirklicht.

Ausweg aus der Ölfalle

Erdöl - zehn Prozent der Weltreserven liegen am Persischen Golf - ist endlich und nicht mehr das Maß aller Energie-Dinge. Die Ölscheichs verfielen der Panik, schrieb die Schweizer "Weltwoche", wollten nun also fortschrittlich sein und das mit aller Gewalt. Am Persischen Golf sollte ein internationales Zentrum für saubere Energie geschaffen werden - als Vorsorge für die Zeit nach dem Öl.

Während Bahrain, Qatar, Kuwait oder Dubai den Finanzsektor forcierten, weist Abu Dhabi, Hauptstadt des gleichnamigen Emirats und der Vereinigten Arabischen Emirate, einen anderen Ausweg aus der Ölfalle, von dem nicht nur die Emirate selbst, sondern in Zukunft auch die ganze Welt profitieren sollte.

Die Stadt der Zukunft

"Masdar", zu Deutsch "Quelle" oder "Ursprung", heißt das Zukunftsprojekt und kostet 15 Milliarden Dollar, und sein Zentrum ist die umweltfreundliche Masdar City. In den nächsten Jahren soll die CO2-neutrale Stadt - vorgesehen für 50.000 Bewohnerinnen und Bewohner und mastergeplant vom britischen Architekten Norman Foster - aus dem Boden gestampft sein. Erneuerbare Energien werden sie und die Emirate am Leben erhalten.

Besonderes Charakteristikum: kein Verkehr innerhalb der Stadtgrenzen, Klimaanlagen gespeist aus Wind- und Fotovoltaik-Aggregaten, kombiniert mit Passiv-Energie-Architektur.

Anspruch und Wirklichkeit

Dubai, die 1,5 Millionen Einwohner-Glitzermetropole (rund 80 Prozent Ausländer) und "Über-Morgenland", wie sie sich selbst gerne sieht, präsentiert sich indes eher als Energieschleuder, denn als Stadt mit Öko-Bewusstsein.

Schon jetzt, noch bevor die Stadt den größten Flughafen der Welt (World Central International), das größte Entertainment-Center der Welt (zweimal die Größe Disneylands), das größte Gebäude der Welt (zweimal so hoch wie das Empire State Building) und die größte Shoppingmall der Welt (mehr als 1.000 Geschäfte) fertiggestellt hat und jährlich 15 Millionen Touristen, Glücksritter und Business-Leute und somit Autofahrer anziehen wird, steht der Verkehr auch außerhalb der Stoßzeiten schon jetzt.

Der holländische Architekt Rem Koolhaas und sein Team machten einen ökologischen Fußabdruck dieser Traumwelt - die Ergebnisse spotten der globalen, ökologisch orientierten Nachhaltigkeitsdebatte. Im Vergleich damit kommt Las Vegas gut weg. Allein um einen Dubaier Golfplatz ein Jahr am Leben zu erhalten, braucht es die Niederschlagsmenge von 20.000 Jahren - gemessen an der Fläche der Anlage.

Die Welt im Kleinen

Am verrückt-imposantesten ist wohl der Anflug auf Dubai. Man traut seinen Augen nicht, selbst wenn man es vorher in der Weltpresse gesehen hat. Denn da unten ist nicht nur, wo vor wenigen Jahren noch Wüste war, eine Metropolis im Entstehen, sondern auch auf dem Meer, im Meer ein sechzig Quadratkilometer großer Archipel korallenfarbener Inseln, der die Form eines nahezu fertigen Puzzles der Welt ergibt - "The World". Daneben im türkisfarbenen Wasser drei weitere Inselgruppen, dieses Mal in der Form von Palmen mit Halbmonden. Hoteltürme, Vergnügungsparks und Tausende Villen stehen da auf Stelzen über dem Wasser.

Dubai gewinnt durch diese Inseln mehr als 50 Kilometer zusätzliche Küste. Um das Geschäft mit dem neu erworbenen Boden und darauf errichteten Immobilien anzukurbeln, lockerten die Emirate die Gesetze. Erstmals in der Geschichte der Region dürfen Ausländer auch Grund und Boden kaufen und nicht nur für 99 Jahre pachten.

Ausbeutung und Rechtlosigkeit

Neben den Enklaven relativ großer medialer und wirtschaftlicher Freiheit duldet Dubai in den paradiesischen Unterhaltungswelten, in den Hotels, deren Bars und Discos, westliche Laster - Drogen ausgenommen. Dubai ist als "Bangkok des Mittleren Ostens" bekannt, in dem Tausende russische, armenische, indische und selbst iranische Prostituierte arbeiten. Die Menschenrechtsorganisation "Human Rights Watch" spricht in ihren Berichten von einer "üblen Sexindustrie", die auf Entführungen, Sklaverei (hier erst 1963 abgeschafft) und sadistischer Gewalt gründet.

Freiheit im westlichen Sinne bedeutet in Dubai aber nicht etwa das Recht, eine Gewerkschaft zu gründen, öffentlich eine kritische Meinung äußern zu dürfen oder gar einen Streik abzuhalten. Schon gar nicht für die Tausenden Arbeiter auf den Megabaustellen Dubais - die meisten kommen aus Indien, Pakistan und Sri Lanka. Viele von ihnen, so "Human Rights Watch", wären gar so etwas wie "Leibeigene", ohne Rechte und zumeist schlecht bezahlt. Fronarbeiter, deren Reisepässe oder Visa bei Einreise in die Emirate von den Behörden eingezogen und erst wieder bei Ausreise - nach beendetem Dienstverhältnis - herausgegeben werden. Ganz zu schweigen von den Arbeits- und Wohnverhältnissen in der brütenden Hitze der Wüste.

Bis vor kurzem waren überhaupt keine eigenen Unterkünfte für sie vorgesehen. Sie schliefen auf den Baustellen. Doch der Druck internationaler Menschenrechtsschützer war in den letzten Jahren zu groß. Der Emir ließ also Unterkünfte errichten, und jetzt schlafen sie, versteckt hinter hohen Mauern, in Ghettos am Rande der Stadt.

Faktum ist: Wie seine Nachbarn ignoriert auch Dubai nach wie vor die Regeln der Internationalen Arbeitsorganisation und hat die Wanderarbeiter-Konvention nicht ratifiziert. Dubais Kapital ist also nicht nur das Erdöl, sondern auch die billigen Arbeitskräfte aus dem vor allem asiatischen Ausland.

Die postglobale Stadt

Eigentümer, nationale und internationale Investoren hören es natürlich gerne, wenn Stadtplaner wie George Katodrytis Dubai als Speerspitze einer neuen Entwicklung beschreiben. Er macht Dubai in einem Internet-Blog noch berühmter - täglich. "Dubai ist der Prototyp einer neuen postglobalen Stadt, die Begierden schürt", schreibt er. "Wenn Rom die ewige Stadt und Manhattan der Höhepunkt der überfüllten Innenstädte war, dann kann Dubai als Vorreiter eines absolut neuen Stadttyps gelten: prothesenartige, nomadische Oasen als isolierte Städte, die sich über Land und Wasser erstrecken."

Betrachte man, so der kalifornische Soziologe und Autor Mike Davies, die monströse Karikatur des Futurismus als ein Konjunkturprogramm, erweise sich Dubai tatsächlich als ein gelungener Versuch, zum ersten Mal in der Geschichte des City- Marketings, eine Stadt in unfassbar kurzer Zeit als "Brand" auf die Weltkarte zu setzen.

Mehr zu Dubai in oe1.ORF.at

Mehr zum Bauboom am Golf in ORF.at

Hör-Tipp
Diagonal, Samstag, 31. Jänner 2009, 17:05 Uhr

Mehr dazu in oe1.ORF.at

Links
Human Rights Watch - Building Towers, Cheating Workers
George Katodrytis
Radical Urban Theory - Metropolitan Dubai and the Rise of Architectural Fantasy