Kriegerische Erinnerung hinter den schwarzen Bergen

Kusturica gegen "Monitor"

Der Cannes-Preisträger Emir Kusturica will nicht an alte Zeiten erinnert werden: Jene montenegrinische Zeitung, die Kusturicas Haltung im während des Kriegs und seine Unterstützung für Milosevic portraitierte, muss nun zahlen. Das ist kein Einzelfall.

Ein weltberühmter Regisseur verklagt Montenegros seriöseste Wochenzeitung "Monitor", die ihn mit seinen eigenen Aussagen aus Kriegszeiten konfrontiert: Wenn es um die eigene Rolle in der Vergangenheit geht, ist die Elite des Landes mit Klagen nicht zimperlich. Die Medien sind eingeschüchterter denn je - ein Demokratiedefizit, für dessen Bewältigung die EU mehr Druck ausüben müsste, klagt "Monitor".

Kusturica verklagt "Monitor"
Emir Kusturica, in Sarajevo geborener orthodoxer Serbe mit französischer Staatsbürgerschaft, machte sich als Regisseur in Westeuropa vor allem durch Auftritte in Cannes einen Namen. Zwar kritisierte man immer wieder seine all zu pro-serbische Sichtweise. Von seiner politischen Nähe zu Milosevic während des Krieges möchte er heute allerdings in der Öffentlichkeit nichts mehr hören.

Montenegros wichtigstes unabhängiges Nachrichtenmagazin, "Monitor", bekam das nun zu spüren: Für einen im Jahr 2004 veröffentlichten Text, der sich kritisch mit Kusturicas Rolle während der 1990er Jahre und seiner öffentlichen Unterstützung für Slobodan Milosevic beschäftigt, verurteilte der Oberste Gerichtshof in Podgorica die Zeitung und den betreffenden Journalisten im April zu 12.000 Euro Entschädigung wegen persönlicher Beleidigung und Rufschädigung.

Vermehrt Gerichtsurteile
Noch vor zwei Jahren hatte die Vorinstanz die Klage abgelehnt und den Fall als Beispiel einer öffentlichen Debatte bezeichnet, bei der keinerlei journalistische Standards überschritten wurden. Zitiert wurde Kusturica zum Beispiel mit: "Die Serben griffen Sarajevo an, um den Muslimen dort einen kleinen Schrecken einzujagen."

Laut "Monitor" ist die Entscheidung des Höchstgerichtes nicht korrekt begründet. Für "Monitor" ist es eine Bestätigung dessen, was auch die EU-Kommission feststellte: das Rechtssystem ist in Montenegro nicht unabhängig. Gerade Medien mit dem Ansatz, die Bevölkerung zu informieren und die Beschäftigung mit der Vergangenheit anzuregen, würden systematisch bestraft und verängstigt.

Mediensituation verschlechtert sich
"Monitor", gegründet 1990, stand gegen Krieg und Nationalismus, und daher auch für die Unabhängigkeit von Serbien, die 2006 erfolgte. Doch obwohl das Land heute in vielen Dingen als Vorbild der gesamten Balkanregion gilt - der Tourismus und die wirtschaftliche Entwicklung blühen, das friedliche Zusammenleben der verschiedenen Bevölkerungsgruppen verläuft harmonisch - ist die Freiheit der Medien heute gefährdeter als früher.

Anti-Kriegs-Medien bedroht
"Schuld sind vermehrte Gerichtsurteile, in denen Medien mit viel Geld für angebliche Beleidigungen bestraft werden", erzählt "Monitor"-Redakteurin Milka Tadic Mijovic.

Während die elektronischen Medien "indirekt unter der Kontrolle der Machtelite" stehen, gibt es im Printbereich immerhin noch "Monitor" und die unabhängige Tageszeitung "Vijesti" - aber auch diese schlägt sich gerade wieder mit einem Strafverfahren herum. Eine Million Euro wegen Verleumdung fordert der Premier und ehemalige Kriegsbefürworter Milo Djukanovic.

Als tragische Ironie bezeichnet die Zeitschrift in einer Aussendung, "dass die wenigen Anti-Kriegs-Medien während der dunklen 1990er Jahre nicht so angegriffen wurden wie heute unter Milo Djukanovic - früher Partner von Milosevic, heute Verbündeter der EU und Amerika."

Kritik an Umgang mit Vergangenheit
Es ist die politische und wirtschaftliche Elite, die hier immer wieder Anzeigen ins Spiel bringt, und von den zentralen Problemen Montenegros profitiert: Korruption und mangelnde Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. "Es gibt eine Erinnerungslücke in der Gesellschaft, für die Zeit zwischen 1993 und 1996", so Mijovic.

Korruption
Daneben sei auch Korruption und organisierte Kriminalität ein Thema, das konsequent verschwiegen würde, meint Mijovic, deren Zeitung immer wieder für derartige Aufdeckungen unter Druck gerät.

"Monitor" beschäftigt zehn Redakteure und finanziert sich über den Verkauf der 5.000 Exemplare und Werbung. Gelesen wird sie dank Internet im gesamten Balkanraum.

Appell an EU
Die EU habe bisher viel zu wenig Druck auf die politische Führung ausgeübt, kritisiert Mijovic: "Europa schert sich nicht um uns!" Man sollte dort nicht nur das "Positivbeispiel Montenegro" sehen, sondern die Demokratieentwicklung in Richtung EU- Standards aktiv unterstützen: "Wir sind auf dem Weg nach Europa".

2004, als jener Text im "Monitor" Emir Kusturica verärgerte, trösteten ihn die europäischen Kulturschaffenden: Sie verliehen ihm in Cannes den Preis für wertvolle pädagogische Inhalte "Prix de l'Education Nationale" für seinen Film "Das Leben ist ein Wunder".

Links
Monitor
Human Rights Point - Protestschreiben von Monitor
Wikipedia - Emir Kusturica

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