Das Ende einer Epoche

Zum Tod von Milan Kangrga

Am 25. April, kurz vor seinem 85. Geburtstag ist in Zagreb der Philosoph Milan Kangrga gestorben. Kangrga war einer der wichtigsten Mitglieder der philosophischen Gruppe Praxis (1964-1974) und einer der Redakteure der gleichnamigen Zeitschrift.

Am 25. April, kurz vor seinem 85. Geburtstag, ist in Zagreb der Philosoph Milan Kangrga gestorben. Kangrga war einer der wichtigsten Mitglieder der philosophischen Gruppe Praxis (1964-1974) und einer der Redakteure der gleichnamigen Zeitschrift.

In einem Artikel der website der Wiener Dokumentationsstelle für ost- und mitteleuropäische Literatur (doml) hat der kroatische Philosoph Lino Veljak unter dem Titel "Die Erbschaft der Praxis-Gruppe und die antithetische Solidarität" die Bedeutung und Probleme um die Gruppe prägnant dargestellt:

Die Marginalisierung der kritischen Philosophie und Sozialwissenschaft in den 70er und 80er Jahren des letztes Jahrhunderts kann man gerade im Licht der 90er Jahren verstehen und deuten, also im Licht der Kriege und der Herrschaft der pathologischen sozialpolitischen und wirtschaftlichen Strukturen.

Dass "die Marginalisierung der kritischen Philosophie und Sozialwissenschaft" nicht die Vergangenheit der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts ist, zeigen die spärlichen Kommentare und Berichte zum Tod von Milan Kangrga.

Philosophie und Fußball

Vielleicht hat der Philosoph Pech gehabt, gerade dann zu sterben, als ein junger kroatischen Fußballer für eine Rekordsumme von 25 Millionen Euro nach England verkauft wurde. Kroatiens Medien, ja die ganze Öffentlichkeit sind froh über den großen Erfolg dieses Ballkünstlers und dessen hohen Marktwert. Ein toter Philosoph, der seine kritischen Einstellungen gegenüber den herrschenden Politiken immer völlig offen geäußert hatte, scheint seinem Land nicht so viel gebracht zu haben, wie ein Sportler.

Machthaber damals und heute
In dem bereits zitierten Artikel über die Gruppe Praxis schreibt Lino Veljak weiter:

Die von den Protagonisten der Praxis proklamierte radikale Kritik alles Bestehenden provozierte eine Reaktion von der Seite der Machinhaber, mit doppelter Wirkung: die Schule und die Zeitschrift wurden abgeschafft und die dort kultivierte Denkweise marginalisiert.

Die realsozialistischen Machthaber haben trotz des international hohen Rufs der Gruppe mehrfach ihre gleichnamige Zeitschrift "Praxis" verboten, bis sie 1974 endgültig jede weitere Arbeit unterbunden haben. Wie wichtig die Zeitschrift war, kann man an einigen Namen des Redaktionsrats sehen: Kostas Axelos, Ernst Bloch, Erich Fromm, Leszek Kolakowski, Herbert Marcuse, Erich Heintel, Karel Kosik, David Reisman, Georg Lukacs… - um nur einige bekannte Denker zu erwähnen.

Im Gerichtsprotokoll anlässlich eines dieser Zeitschriftenverbote kann man lesen:

Milan Kangrga aus Zagreb hat unser gesellschaftliches System fälschlich angegriffen, besonders in Hinblick auf die für uns charakteristische sozialistische Selbstverwaltung.

Im Artikel unter dem Titel "Phänomenologie des ideologisch-politischen Erscheinens der jugoslawischen Mittelschicht" hat Kangrga schon in den 1970er Jahren über die Gefahr des wieder erwachenden Nationalismus innerhalb der jugoslawischen Gesellschaft geschrieben und es sei nur am Rande erwähnt, dass gerade dieser Nationalismus das Ende des Projekts Jugoslawien bedeutet hat.

Nach der Wende und dem Zerfall Jugoslawiens hat Kangrga seine Einstellungen und seine philosophische Praxis nicht geändert, was ihn auch bei den neuen Machthabern unbeliebt gemacht hat. Noch einmal dazu Lino Veljak:

Deswegen wurde die Praxis von beiden Seiten als etwas Gefährliches eingeschätzt.

Sich selbst treu geblieben
In einem größeren Interview, das Kangrga vor einem Jahr, anlässlich seines 84. Geburtstags, der kroatischen website "H-Alter" gegen hat, stand zu lesen:

Ich wünsche mir, nicht mit einer Unwahrheit zu leben und noch dazu möchte ich diese Unwahrheit nicht philosophisch als etwas Verständliches und Ertragbares bestätigen. Ich möchte bis ans Ende meines Lebens anständig zu mir selbst bleiben und ich will als solcher mit Charons Kahn den Styx überqueren. Vielleicht werde ich dort, am anderen Ufer des Styx, mit meiner Lebensnaivität Erlösung finden.

In einem Nachruf schrieb der kroatische Philosoph Zarko Puhovski mit Milan Kangrga sei der letzte Mohikaner gestorben und es schließe sich eine Epoche der nationalen kulturellen Geschichte.

Buch-Tipp
Milan Kangrga, Anselm Böhmer, "Praxis - Zeit – Welt", Königshausen und Neumann (2004)

Links
doml - Die Erbschaft der Praxis-Guppe
H-Alter - Milan Kangrga