Jon Savage über Punk

No One Is Innocent

Jon Savage, britischer Musikjournalist, beschäftigt sich schon seit seinen Jugendtagen mit dem Phänomen Punk. Sein Buch über Sex Pistols und Co. ist 2003 erschienen. 2008 hat er die Kunsthalle Wien beim Ausrichten einer Ausstellung unterstützt.

Jon Savage gilt zu Recht als journalistische Kapazität in Sachen Punk. 1976 begann er seine distinguierte Schreiberkarriere mit einem im Alleingang verfassten, selbstkopierten Punk-Fanzine namens "London's Outrage". 1991 veröffentlichte er sein weithin als definitive Chronik des Punk angesehenes Buch "England's Dreaming". Für die Kunsthalle hat er nun tief in seinen privaten Archiven gekramt:

"In der Ausstellung in Wien habe ich einige Bilder verwendet, die ich im Jänner 1977 in North Kensington in der Nähe meines Elternhauses aufnahm", erzählt er. "Alles ist leer, nichts als Bombenlöcher. Und ganz am Schluss ist da ein Foto der Stelzenautobahn, des Westway, mit einem Graffiti drauf: 'The Clash' steht da. Das erinnerte mich daran, wie eng sich alles zuspitzte, sobald ich den Punk für mich entdeckt hatte: Da waren die Sex Pistols, The Clash, The Damned, und was immer."

Punk lag in der Luft

1977. Jon Savage war damals 24 und Punk erfüllte eine Sehnsucht, die desillusionierte Rock-Fans wie er schon die längste Zeit mit sich herumgetragen hatten: "Ich wusste schon im Vorhinein, dass Punk passieren würde, denn so um 1970/71 herum, als ich 17/18 war, wollte ich rocken, und damals gab es fast keine guten Rockbands", so Savage. "Ich war ein besessener Fan des Westcoast-Sound, aber ab 1972 machten Grateful Dead schreckliche Musik und Jefferson Airplane auch. Der ganze Boom war vorbei. (...) Ende 1975 war 'Horses' von Patti Smith eine große Sache, und als ich im April 1976 das erste Album der Ramones hörte, wusste ich, was es geschlagen hatte."

Danach, sagt Savage, sei alles Schlag auf Schlag gegangen. Im Herbst desselben Jahres erwischte er den ersten Schub Londoner Punk-Bands: die Sex Pistols, The Clash und The Damned, genau das, worauf er gewartet hatte. In seinem 2007 erschienenen dicken Wälzer "Teenage" greift Jon Savage noch 100 Jahre weiter zurück und dokumentierte Ansätze von Jugendkultur von 1875 bis 1945, also der Zeit vor dem populären Gebrauch des Teenager-Begriffs, und er stößt dabei auf allerhand Momente des nihilistischen jugendlichen Zorns, die seinen Studien des Punk immer wieder erstaunlich nahe kommen - was Savage selbst nicht sonderlich überrascht.

"England und Amerika, wo ein großer Teil der Geschichte der Jugendkultur herstammt, sind furchtbar verklemmte puritanische Orte", meint Savage. "Das ist einer der Gründe, warum sie diese unglaublichen Zornausbrüche hervorgebracht haben."

Nihilistisch und hoffnungsvoll zugleich

Interessanterweise ordnet Jon Savage dem Punk an beiden Enden dieses angelsächsischen Tauziehens zwischen Zurückhaltung und Ausbruch eine Rolle zu. Aus der Pornografie-saturierten Perspektive der Gegenwart betrachtet, wirken etwa die Sado-Maso-Referenzen der Punk-Mode, die damals der aktionistische Sex-Pistols-Manager Malcolm McLaren und die Modeschöpferin Vivienne Westwood in ihrem Geschäft an der King's Road ausbrüteten, wie die pure Koketterie. Jon Savage sieht darin aber eher das Gegenteil:

"Ich habe an Malcolm McLaren und Vivienne Westwood immer ein Element des Puritanismus gewittert. Ich glaube, dass sie ihre Fetischkluft nicht des Sex, sondern der Idee wegen verkauften. Sie versuchten auf jede erdenkliche Weise zu schockieren. Daher auch die radikalen politischen Referenzen, ob rechts oder links. (...) Sie taten alles, was sie konnten, um die Leute zu ärgern. Das ist nicht unbedingt eine besonders sexy Vorgangsweise."

"Ich glaube, Punk war eigentlich sehr kompliziert", so Savage weiter. "Was nihilistisch und zynisch erschien, war in Wahrheit oft sehr energetisch und hoffnungsvoll. Die Punks waren auf gewisse Weise das Spiegelbild der Hippies. Die Hippies stellten sich gern als utopisch, wohltuend und friedliebend dar, obwohl viele von ihnen eigentlich ziemlich zynisch und unliebsam waren. Und die Punks gaben sich zynisch und unliebsam und waren tatsächlich oft sehr idealistisch. Es war nihilistisch und idealistisch zu gleich, und diese Spannung musste dazu führen, dass es dann auch bald zerbrach."

Immer noch ein Schlachtfeld

Die von Jon Savage beschriebenen Spannungen haben sich auch 30 Jahre nach Punk nicht aufgelöst. Punk ist immer noch kompliziert und immer noch ein Schlachtfeld. Nachdem Autoren wie er oder Greil Marcus in ihren Büchern die historischen Verbindungslinien zu Lettristen, Situationisten und Dada aufgezeigt hatten, hat sich in letzter Zeit im Zuge diverser Jubiläen und Sex-Pistols-Comeback-Tourneen ein revisionistisch anti-intellektuelles Klischee des Punk als proletarischer Rock'n'Roll-Fundamentalismus breitgemacht.

"Die Leute haben einen sehr dummen Begriff von Popkultur", meint Savage. "Sie glauben, sie ist die authentische Ausdrucksform der innerstädtischen Arbeiterklasse, und das ist sie nicht. Das heißt, sie ist es zum Teil, aber sie ist vor allem ein Ort, wo die Klassen und die Altersschichten aufeinander treffen. Die Sex Pistols selbst waren zwar die Band, aber ein Haufen älterer Leute versorgte sie mit Material. Erst wenn es so eine Mischung gibt, wird es interessant."

Und spätestens hier verlässt Jon Savage die Rolle des neutralen Chronisten.

Service

Buch-Tipps
Jon Savage, "England's Dreaming. Anarchie, Sex Pistols, Punk Rock", Bittermann Verlag

Jon Savage, "Teenage: The Prehistory of Youth Culture: 1875-1945" (englisch), Penguin Books

Veranstaltungs-Tipp
Ausstellung "Punk. No One Is Innocent", 16. Mai bis 7. September 2008, Kunsthalle Wien,
Ö1 Club-Mitglieder erhalten ermäßigten Eintritt (10 Prozent).

Link
Kunsthalle Wien - Punk