Der Philosoph als Querdenker - Teil 2

Gegen den reinen Rationalismus

Philosophische Querdenker riefen häufig zu einer radikalen "Umwertung aller Werte" auf. Dabei priesen sie Sinnlichkeit, Lust und Genuss und bestanden auf eine visionäre, halluzinatorische Sicht der Welt - eine Synästhesie der Sinne.

Radiokolleg, 6. Mai 2008

Kaum ein anderer Philosoph der Aufklärung hatte solch einen schlechten Ruf wie Julien Offray de La Mettrie. Als radikaler Vertreter des Materialismus bestritt er die Existenzberechtigung von rationalistischen und metaphysischen Systemen.

Der 1709 geborene Philosoph, der auch als Arzt arbeitete, wurde durch sein Buch "L'homme machine" - "Der Mensch als Maschine" berühmt. Darin wird der Mensch als organische, sich selbst steuernde Einheit beschrieben.

Die Maschinenmetapher diente als Modell, das die Materialität des Menschen aufzeigen sollte. In seinem Hauptwerk wandte sich La Mettrie auch gegen die Autonomie des menschlichen Denkens. Den Geist betrachtete er als die abhängige Funktion körperlicher Vorgänge.

Recht auf Glück

Neben seinen materialistischen Untersuchungen befasste sich La Mettrie auch mit dem Glücksanspruch des Menschen. Äußere Bedingungen wie Reichtum oder Besitz sind keineswegs dafür erforderlich, viel wichtiger ist das innere Glück. Um glücklich zu sein, ist es unbedingt notwendig, den vor allem von Philosophen und Theologen geführten Krieg gegen die Sinnlichkeit zu beenden.

Den Krieg zu beenden, bedeutet, endlich Lust und Sinnlichkeit zuzulassen und dabei noch zu genießen. La Mettrie nahm somit Sigmund Freuds Einsicht vorweg, dass die Manifestationen des Es - also die Triebe und die Phantasie - nicht verdrängt werden sollten.

Recht auf Visionen

Gegen das Korsett eines reinen Rationalismus stellte sich auch der englische Künstlerphilosoph William Blake, der von 1757 bis 1827 lebte. "Wer richtig sieht, sieht visionär!" - so lautete Blakes Überzeugung. Er war ein Denker, der sich mit allen Phänomenen des menschlichen Lebens auseinander setzte und sie philosophisch und künstlerisch darstellte. Dabei nahm er keine Trennung von Rationalem und Irrationalem vor. Schon seit seiner frühen Kindheit bewegte sich der Philosoph, Schriftsteller und Maler in einer Welt von Halluzinationen und Ekstasen.

In seinen Schriften und Bildern bekämpfte Blake den Geist des Rationalismus, der in der anarchischen Welt der Phänomene eine intellektuelle Ordnung installieren wollte. Den neuzeitlichen Rationalismus interpretierte er als "Wille zum Messen", als Sucht nach Begrenzung. Als Inbegriff des Rationalismus verstand Blake die Gestalt von Isaac Newton, den er dafür verantwortlich machte, "die klirrenden Ketten des Geistes geschmiedet" zu haben.

Verschmelzung mehrerer Sinneseindrücke
Die visionäre Sicht bestand für Blake in einer Synästhesie der Sinne - in einer Verschmelzung mehrerer Sinneseindrücke. Sie ermöglichte einen Einblick in bisher unbekannte Sphären des Göttlichen. In zahlreichen Schriften beschrieb er - so der amerikanische Beat-Lyriker Allen Ginsberg - " die psychedelischen Blitze, die alle Seelen ermutigen, dass sie auf ihr eigenes Genie und ihre Inspiration vertrauen".

So bestimmten Visionen, Poesie und revolutionäre Aufrufe das Leben von Blake, der sich nicht als passiver Mystiker verstand. Er verfolgte das Projekt, sämtliche Ketten zu sprengen, um eine neue Lebensqualität zu erschließen.