Schreiben gegen das Schweigen

Die Schriftstellerin Cécile Wajsbrot

Die gebürtige Pariserin, Cécile Wajsbrot, nimmt in ihrem literarischen Werk die Auseinandersetzung mit der Geschichte ihrer Familie auf, die vom Holocaust dominiert wird. Ihre Romane sind ein fast verzweifeltes Ankämpfen gegen die "Nicht-Kommunikation".

Cécile Wajsbrot wurde 1954 in Paris geboren und wuchs in einer jüdischen Familie auf. Ihre Familien waren in den 1930er Jahren aus Polen nach Frankreich emigriert.

Als zweite Sprache, neben Englisch als erster Fremdsprache lernte sie in der Schule deutsch, studierte Literaturwissenschaft, arbeitete einige Jahre als Lehrerin und als Radiojournalistin. Daneben hat sie immer schon geschrieben - seit 1982 hat sie in Frankreich neun Romane, fünf Erzählbände und mehrere Essays veröffentlicht. Vier Bücher sind von ihr bis jetzt ins Deutsche übersetzt worden. Seit Anfang der neunziger Jahre arbeitet Cécile Wajsbrot als freie Schriftstellerin und Übersetzerin aus dem Englischen und dem Deutschen.

Literatur als Rettungsanker
Ihre Familie hatte Polen im sicheren Glauben verlassen, in Frankreich sicher und gerettet zu sein. Aber: Cécile Wajsbrots Großvater wurde 1941 in Richtung Oswiecim, Auschwitz, deportiert und kehrte nicht mehr zurück. Ihre Mutter und Großmutter wurden von der französischen Polizei abgeholt und sind der berüchtigten Razzia im Juli 1942 in Paris nur knapp entgangen. Nach dem Krieg war die Situation für die Familie sehr schwierig. Hin- und Her gerissen zwischen den Welten hat sich Cécile Wajsbrot ihre eigene Welt geschaffen. Das Lesen, die Literatur wurde für sie zum Rettungsanker.

In ihrem Buch "Der Verrat" wird die Romanfigur Louis Mérian - ein erfolgreicher, alt gedienter Radiojournalist - von einer jungen Kollegin interviewt, die ihm die folgenschwere Frage stellt, was er eigentlich während des Krieges getan hätte. In diesem Interview entsteht ein Dialog, der - im Sinne Cécile Wajsbrots - als paradigmatisch für den Umgang mit der Vergangenheit gesehen werden kann. Dabei antwortet Louis Mérian auf die Frage, an welche Vergangenheit er gedacht hätte, wenn er sich alte Aufzeichnungen angehört hatte:

'Man kann Erinnerungen haben, ohne in der Vergangenheit zu leben.'
'Und vor dem Rundfunk?' Er verstand nicht, worauf sie hinauswollte. 'Denken Sie manchmal daran?'
'Mein Leben begann mit dem Radio.'
'Und was haben Sie davor gemacht?'
'Vorher war nichts Besonderes.'
Er hatte das Gefühl, sie versuche ihn in eine Zeit zurückzuversetzen, die in den Kriegsjahren lag. Jahre, von denen nicht viel in Erinnerung geblieben war, und dass die äußeren Umstände - Studio, Interview, Sendung - nur eine Inszenierung waren, um ihn zum Sprechen zu bringen.


Denn Louis Mérian hatte seine jüdische Freundin in Stich gelassen, er hatte nicht gewagt, sie zu verstecken. Am Ende des Romans bringt er sich wegen seiner Feigheit und der Erinnerung daran um.

Literarische Erinnerungsarbeit
In ihren Büchern geht es immer wieder um die Frage des Umgangs mit der Vergangenheit. Cécile Wajsbrots Schreiben ist ein Schreiben gegen das Vergessen, gegen das Schweigen. Ihr Romanheld Louis Mérian fühlt, dass er etwas sehr, sehr lange verdrängt hat:

Ob am späten Nachmittag, am Abend oder in der Nacht, irgend etwas ließ ihn nicht zur Ruhe kommen, als wollte eine Stimme in ihm etwas Unaussprechliches sagen, nachdem sie jahrelang geschwiegen hatte. Ich höre dich, sagte er zu der Stimme, was willst du, wer bist du?

Ankämpfen gegen die Nicht-Kommunikation
Das Schicksal ihrer eigenen Familie und der vielen anderen und die nicht oder sehr spät aufgearbeitete Vergangenheit des kollaborierenden französischen Regimes mit dem nationalsozialistischem Deutschland sind immer wiederkehrende Themen in ihrem Werk.

Cécile Wajsbrot ist davon überzeugt, dass Literatur mehr können muss, als die Unmöglichkeit der Kommunikation darzustellen - ihre Streitschrift "Pour la littérature" fasst sie so zusammen: "Der Nouveau Roman und alles, was danach in Frankreich geschah, verdeckt ein Schweigen. Die écriture ist wesentlich narzisstisch. Die Literatur dagegen bezieht Andere in ihre Darstellung ein" und dementsprechend sind ihre Romane ein fast verzweifeltes Ankämpfen gegen die "Nicht-Kommunikation".

Die Hüterin des Tempels
Für Cécile Wajsbrot ist das Schreiben auch ein Weg, um mit dem "Erbe" der Familie umzugehen und sich schreibend von den Lasten der Familie auch zu befreien. Als ihr erstes Buch erschienen war, hat sie ihren bisherigen Beruf, sie war Lehrerin, aufgegeben, um sich ganz dem Schreiben zu widmen. Das unabhängige Leben als Schriftstellerin hat Cécile Wajsbrot als befreiend erlebt. Aber auch die Erinnerungen an die journalistische Arbeit für den Rundfunk sind positiv.

"Aus der Nacht" ist das vierte ins Deutsche übersetzte Buch Cécile Wajsbrots, im französischen Original trägt das Werk den Titel "Mémorial" - auf Deutsch "Denkmal" aber auch "Mahnmal". Sie hatte den Titel zuerst festgelegt und dann das Buch geschrieben. Es ist die Geschichte einer Frau, die mit dem Nachtzug nach Polen fährt, um das Land zu sehen, aus dem ihre Familie kommt. Ihr Vater und ihre Tante sind an Alzheimer erkrankt, so dass sie ihr nichts mehr erzählen können, alle anderen Familienmitglieder, die nicht nach ausgewandert sind, sind umgekommen. Die Ankunft am Ziel der Reise - am Friedhof - beschreibt sie so:

Ich hatte den Schlüssel zum Friedhof in der Hand, obwohl ich nichts dergleichen besaß, keine Ahnenreihe, die zerstört werden konnte, und keine, die aufgestellt werden konnte, auch keine Tradition, auf die ich mich hätte stützen können, aber ich stieß die Tür auf, als wäre ich aus einem bestimmten Grund gekommen, als wäre ich die Hüterin des Tempels.

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Hör-Tipp
Menschenbilder, Sonntag, 11. Mai 2008, 14:05 Uhr

Buch-Tipps
Cécile Wajsbrot, "Im Schatten der Tage", aus dem Französischen von Holger Fock und Sabine Müller, Liebeskind 2004

Cécile Wajsbrot, "Mann und Frau den Mond betrachtend", Aus dem Französischen von Holger Fock und Sabine Müller. 2. Auflage, Liebeskind 2006

Cécile Wajsbrot, "Der Verrat", Aus dem Französischen von Holger Fock und Sabine Müller, Liebeskind 2006

Cécile Wajsbrot, "Aus der Nacht", Aus dem Französischen von Holger Fock und Sabine Müller, Liebeskind 2008

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