Wie amerikanisch ist Dvoraks Neunte?
Aus der alten Welt
Antonin Dvoraks berühmte Symphonie in e-Moll ist ein Stück bewegende, europäische Musikgeschichte an der Schwelle zum 20. Jahrhundert. Die "Symphonie aus der Neuen Welt" löste wegen ihres Untertitels unzählige Legenden aus.
8. April 2017, 21:58
Bernstein über Dvorak
Die neunte Sinfonie des tschechischen Komponisten Antonin Dvorak markiert zugleich den Endpunkt und Höhepunkt in seinem absoluten sinfonischen Schaffen. Das populärste Werk des Meisters, entstanden zwischen Dezember 1892 und dem 24. Mai 1893, uraufgeführt am 16. Dezember 1893 in der Carnegie Hall in New York, löste jedoch wegen seines Untertitels "Aus der neuen Welt" unzählige Legenden aus.
Manche meinen, die Sinfonie sei im Wesentlichen durch Melodien geprägt, welche Dvorak in Amerika kennengelernt habe. Dabei ist die Überschrift keinesfalls als programmatische Erklärung der Musik zu verstehen, vielmehr als ein von Dvorak spontan hinzugefügter Titel, der laut Aussage seines Freundes Kovarik, nichts weiter bedeutet als "Eindrücke und Grüsse aus der neuen Welt."
Bernsteins Analyse
Antonin Dvoraks Symphonie in e-Moll ist ein Stück bewegende, europäische Musikgeschichte an der Schwelle zum 20. Jahrhundert. Leonard Bernstein hat 1956 mit prägnanten Beispielen demonstriert, wie sehr europäisch und wie gar nicht amerikanisch geprägt die Neunte Dvoraks ist.
Zwar kann man pentatonische Wendungen und Synkopierungen antreffen, aber die lassen sich genauso gut in der deutschen, englischen und tschechischen Folklore finden.
Nachhilfe für das Komponieren mit Nationalbewusstsein
In die "Neue Welt" kam Dvorak erstmals im September 1892. Er folgte einer Einladung der New Yorker Millionärin Jeanette Thurber, die 1885 das National Conservatory for Music gegründet hatte. Die musikbegeisterte Dame wollte ihrer Schule mit einem berühmten Lehrer zum Durchbruch verhelfen und gleichzeitig junge amerikanische Komponisten motivieren, bei Dvorak, dem bekennenden Verfechter nationaler Schulen, Unterricht zu nehmen. 1890 unterbreitete sie dem Böhmen einen finanziell und künstlerisch verlockenden Zweijahresvertrag bei jährlich achtmonatiger Tätigkeit als Kompositionslehrer und Orchesterdirigent. Nach längerem Zögern nahm der Komponist ein Jahr später das Angebot an.
Die vielseitige Tätigkeit in New York, die vielen Besuche bei einflussreichen Leuten und die zeitraubende Arbeit als Lehrer hielten ihn zu seinem Unmut zuerst einmal von der Kompositionstätigkeit fern. Erst um die Weihnachtszeit des Jahres 1892 fand er die dazu notwendige Ruhe. Rasch entwarf er die Skizzen zu einer neuen Sinfonie.
Auslösendes Moment für die Komposition war dabei das Versepos "The Song of Hiawatha" von H. W. Longfellow, beziehungsweise dessen tschechische Übersetzung. In diesem Werk finden sich Beschreibungen und Bilder des Dvorak unbekannten amerikanischen Binnenlandes. Diese Naturschilderungen faszinierten Dvorak und regten seine Fantasie mit Sicherheit an.
Erfolgsdruck
Zugleich stand Dvorak unter gewaltigem Erfolgsdruck, da die Sinfonie sein erstes in Amerika komponiertes Werk darstellte, und er seine Fähigkeiten erst zu beweisen hatte. Tatsächlich kann die Sinfonie als Auseinandersetzung eines böhmischen Komponisten mit Eindrücken eines fremden Landes bezeichnet werden.
"Amerikanisch" ist dabei nicht das verwendete melodische Material, sondern lediglich die Atmosphäre der amerikanischen Schwarzen- und Indianermusik, die Dvorak durch spezifische Charakterzüge in seinem Werk lebendig werden ließ.
Hör-Tipp
Ausgewählt, Mittwoch, 14. Mai 2008, 10:05 Uhr
CD-Tipp
"The 1953 american decca recordings", Leonard Bernstein, New Work Stadium Symphony Orchestra, DG 477 0002
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