Ein Leben in Palästina

Es war einmal ein Land

Der palästinensische Philosophieprofessor Sari Nusseibeh hat eine sehr persönlich gehaltene Geschichte der letzen 60 Jahre von Israel veröffentlicht. Die Hoffnung auf Frieden ist der Ausgangspunkt dieses beeindruckenden Buches, und sie steht am Ende.

In Israel gibt es eine besondere Friedensinitiative, die "Volkskampagne für Frieden und Demokratie". Sie geht auf den Israeli Ami Ayalon und auf den Palästinenser Sari Nusseibeh zurück. Ayalon ist ein ehemaliger Geheimdienstchef, Nusseibeh der Präsident der Al-Quds-Universität in Ost-Jerusalem. Der palästinensische Philosophieprofessor hat nun gemeinsam mit dem Autor und Übersetzer Anthony David selbst ein Buch geschrieben. Es ist weit mehr als nur eine Autobiografie: "Es war einmal ein Land. Ein Leben in Palästina".

Der Titel lässt Melancholie anklingen. Auch etwas Märchenhaftes und eine Prise Spiritualität schimmern hier durch. Die gemeinsame Initiative von Nusseibeh und Ayalon im Jahr 2002 hatte hingegen ganz nüchterne politische Ziele:

Es sollte zwei Staaten für zwei Nationen in den Grenzen geben, wie sie vor dem 4. Juni 1967 bestanden hatten. Arabische Flüchtlinge sollten nur in palästinensisches Gebiet, Juden nur in israelisches Gebiet zurückkehren können."

Das war aus palästinensischer Sicht ein Tabubruch, denn es bedeutete eine Abkehr von der Forderung nach einem Rückkehrrecht für die palästinensischen Flüchtlinge. Schon früher hat Sari Nusseibeh für seine Tabubrüche Prügel bezogen.

Bereitschaft zum Dialog

Auch für viele israelische Rechte ist er ein besonders schlimmer Feind - gerade wegen seines Plädoyers für einen gewaltfreien Widerstand und wegen seiner Bereitschaft zum Dialog. Denn dadurch fällt jeder Vorwand fort, die Besatzung aufrechtzuerhalten. Ein Mitarbeiter des israelischen Inlandsgeheimdienstes Shin Bet meinte zu Nusseibeh:

"Sie sind der gefährlichste Palästinenser, den wir haben", sagte er, als wäre er Zoodirektor und redete über seine Tiere. "Sie sind ein Wolf im Schafspelz".

Kritik auch an Palästinensern

Sari Nusseibehs Lebensmittelpunkt ist Jerusalem. Hier wurde er 1949 geboren. Nach Jerusalem kehrte er nach dem Studium in Oxford und Harvard zurück. Er ist Spross einer berühmten Familie: Die Nusseibehs sind die Wächter des Schlüssels zur Jerusalemer Grabeskirche.

Durch das Brennglas dieser Stadt lässt Nusseibeh die Geschichte des hundertjährigen Konflikts Revue passieren. Dabei spart er nicht mit Kritik auch an der palästinensischen Seite. Nach der Besetzung Ostjerusalems durch die israelische Armee im Jahr 1967 wurde der arabische Ostteil immer mehr zu einer Enklave in der israelisch dominierten Stadt. Nusseibeh erlebte als Dozent an der Universität Bir Zeit im Westjordanland die Unterdrückung durch die Besatzungsmacht:

Einige meiner Studenten verschwanden jahrelang ohne Gerichtsurteil in dieser ausgedehnten Strafkolonie. Einfach so. Wie vom Erdboden verschluckt.

Extremisten auf beiden Seiten

Während des ersten palästinensischen Aufstandes Ende der 1980er Jahre schrieb er selbst Flugblätter. Die Osloer Vereinbarung zwischen der PLO und Israel von 1993 begrüßte Nusseibeh enthusiastisch, aber die Begeisterung wurde bald von Ernüchterung abgelöst. Nicht nur in Jerusalem spitzten sich die Auseinandersetzungen zu: hier Landenteignungen und die Zerstörung palästinensischer Häuser mit Bulldozern der Marke Caterpillar. Und dort Attentate auf israelische Zivilisten.

Extremisten auf beiden Seiten, die einen mit Bomben, die anderen mit Caterpillars, machten bald jede Hoffnung zunichte, die der Händedruck zwischen Clinton, Arafat und Rabin auf dem Rasen vor dem Weißen Haus geweckt hatte. Die Siedlungen, die im Abkommen von Oslo ausgeklammert geblieben waren, wuchsen schneller denn je.

Die Zahl ihrer Bewohner verdoppelte sich von 100.000 auf 200.000. Und vom Jahr 2000 an nahm die Gewalt auf beiden Seiten noch weiter zu.

Gewaltfreie Kampagne

Im Jahr 2003 gründete Nusseibeh eine eigene Organisation mit dem Namen "Volkskampagne für Frieden und Demokratie". In den letzten Jahren engagierte er sich gegen die Mauer, die den Campus seiner Universität zu teilen drohte.

Unsere neue Option war, entweder durch Dialog zu einer Zwei-Staaten-Lösung zu gelangen oder in einer gewaltfreien Kampagne volle Bürgerrechte in Israel zu verlangen. Wenn Israel die Besatzung nicht beendete, würden wir mit einer Kampagne im Stil der Antiapartheidbewegung reagieren und einen vereinigten arabisch-israelischen Staat nach dem demokratischen Gleichheitsgrundsatz "one man, one vote" verlangen.

Hoffnung auf Frieden

Schockiert hat Nusseibeh der Sieg der Hamas bei den Wahlen zum Palästinensischen Legislativrat im Jahr 2006. Dennoch baut er auf die Tradition eines kosmopolitischen und toleranten Islam. Er setzt die Vielfalt Jerusalems den einfältigen Ideologien entgegen, die aus Europa importiert wurden:

Auf einer tiefen metaphysischen Ebene sind Juden und Araber "Verbündete", und jeder Versuch, sie zu trennen – zum Beispiel Scharons Mauer -, ist das Produkt des modernen europäischen Mythos' von einer "reinen", von Fremden gesäuberten Nation.

Die Hoffnung auf Frieden ist der Ausgangspunkt dieses beeindruckenden Buches, und sie steht an seinem Ende. Der Autor macht deutlich, dass er sich weiterhin wirkungsvoll und undogmatisch dafür einsetzen wird: mit Fantasie, einer brillanten politischen Analyse und auch mit etwas Melancholie.

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Buch-Tipps
Sari Nusseibeh, Anthony David, "Es war einmal ein Land. Ein Leben in Palästina", aus dem Englischen übersetzt von Gabriele Gockel, Katharina Förs und Thomas Wollermann, Verlag Antje Kunstmann

Stephen Walt, John Mearsheimer, "Die Israel-Lobby. Wie die amerikanische Außenpolitik beeinflusst wird", Campus Verlag

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Idith Zertal und Akiva Eldar, "Die Herren des Landes: Israel und die Siedlerbewegung seit 1967", aus dem Englischen übersetzt von Markus Lemke, DVA Verlag

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Kunstmann Verlag - Es war einmal ein Land