Was Schriftsetzern so unterkommt

Jungfrauen und Hurenkinder

Jede Zunft hat ihre eigenen Fachausdrücke. So auch die Zunft der Buchverleger und Schriftsetzer. Bei diesen sind Hurenkinder, Witwen und Zwiebelfische alles andere als willkommen, Jungfrauen sind allerdings gern gesehen.

Die Hurenkinder sind vielfach zu Witwen geworden, abgenommen hat ihre Anzahl aber dennoch nicht. Im Gegenteil: Kenner der Situation meinen, dass sie heutzutage sogar häufiger anzutreffen sind als früher.

Keine Sorge: Hier geht es nicht um eine politisch höchst unkorrekte Gesellschaftsanalyse, sondern um typographisch korrekte Buchgestaltung. Und gemäß den traditionellen Regeln der Schriftsetzerei - formuliert in deren hin und wieder recht deftiger Fachterminologie - sind Hurenkinder und Witwen absolut unerwünscht.

Ein Wort mehr oder weniger

Der Begriff "Hurenkind" bezeichnet in der Setzersprache einen Fehler beim Seitenumbruch. Dieser entsteht dann, wenn die letzte Zeile eines Absatzes am Beginn einer neuen Seite steht. Heutzutage wird dies allerdings meist nicht als Hurenkind, sondern als Witwe bezeichnet.

"Und wenn diese Ausgangszeile noch sehr kurz ist und nur aus einem Wort besteht, dann ist es überhaupt eine Todsünde", weiß Franz Hanns, gelernter Schriftsetzer und seit langem als Buchgestalter für österreichische Verlage tätig.

"Es gibt auch das Gegenstück dazu, den Beginn eines Absatzes am Ende einer Seite", erklärt Hanns. "Das ist der sogenannte Schusterjunge, aber der wird in der heutigen Zeit toleriert und akzeptiert. Diese Dinge zu vermeiden ist mühsam, das ist mit Lektoratsarbeit verbunden, weil: Wie soll ich eine Zeile, wenn sie am Seitenende keinen Platz mehr hat, unterkriegen, da muss dann ein Wort gestrichen werden, dass dieses Wort dann wieder auf der letzten Zeile der vorigen Seite Platz findet."

Das Fleisch zusammenrücken

In der elektronischen Zeit ist es ein bisschen einfacher, ein Wort einzubringen, etwa durch das sogenannte "Unterschneiden". Dabei wird der Abstand zwischen den Schriftzeichen - in der Setzersprache "das Fleisch" genannt - verringert. Bei einem längeren Absatz lässt sich so durchaus eine ganze Zeile einbringen, ohne dass es im Schriftbild auffällt.

Hin und wieder bleibt dennoch keine andere Möglichkeit, als Wörter zu streichen, um ein der klassischen Setzerästhetik entsprechendes Seitenlayout zu erhalten. Dann steht im ersten Korrekturausdruck eines Manuskriptes am Ende eines Absatzes etwa: minus 6, minus 10, minus 13 - je nachdem, wie viele Zeichen entfernt werden müssen; Anweisungen, die zu heftigsten Diskussionen zwischen Lektoren und Autoren führen können, denn wer will auch nur eine einzige Silbe seines Textes opfern - nur um Witwen, Hurenkinder oder Schusterjungen los zu werden?

Übersehene Leichen

Für den Buchgestalter aber sind diese bei weitem nicht die einzigen, die Probleme machen. Ganz schlimm wird es, wenn eine Leiche übersehen wird. Der Ausdruck "Leiche" bezeichnet einen fehlenden Buchstaben oder ein fehlendes Wort im gedruckten Text.

Genauso unangenehm wie ein derartiger Leichenfund ist - typographisch gesehen - auch eine Hochzeit. Mit "Hochzeit" wird ein Satzfehler bezeichnet, bei dem zwei gleiche Wörter hintereinander stehen.

Ungeliebte Zwiebelfische

Eine gefürchtete Erscheinung im Bestiarium der Schriftsetzer ist der Zwiebelfisch. Bekannt geworden ist er in letzter Zeit vor allem durch eine Sprachkolumne im Online-"Spiegel", in der Setzersprache aber handelt es sich um einen einzelnen Buchstaben in einem Text, der in einer anderen Schriftart gesetzt ist als der übrige Text.

Als Bücher noch händisch gesetzt wurden, entstand der Zwiebelfisch meist dadurch, dass ein Buchstabe, eine Letter, nach Gebrauch in einem falschen Setzkasten abgelegt wurde - und dieser "Fisch", so der Fachterminus, beim neuerlichen Setzen übersehen wurde. Im Text wurde er dann zum "Zwiebelfisch".

Auch im Computerzeitalter, beim Desktop Publishing, ist diese Spezies noch nicht ganz ausgestorben und taucht manchmal dann auf, wenn etwa fremdsprachliche Zeichen in der gewählten Schriftart fehlen und Sonderzeichen eingefügt werden.

Ausgestorbener Männerberuf

Hoch willkommen hingegen ist eine Jungfrau: Als "Jungfrau" wird eine Seite ohne jeglichen Setzfehler bezeichnet.

Soziolinguistisch verweisen diese Ausdrücke - von der "Jungfrau" bis zum "Hurenkind" - darauf, dass es über Jahrhunderte ausschließlich Männer waren, die den Beruf des Schriftsetzers ausübten - einen Beruf, der gesellschaftlich sehr geachtet war und mit dem es sich auch gut verdienen ließ. Frauen waren in diesem Metier allerdings erst ab Mitte der 1960er Jahre zu finden - als es mit der Setzerherrlichkeit allerdings schon fast vorbei war. Denn die technische Entwicklung machte den Handsatz obsolet, die Letternkästen landeten beim Altwarenhändler und die Schriftsetzerei auf der Liste der "ausgestorbenen Berufe".

Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr