Immer auf der Suche
Die Anti-Diva Teresa Stratas
Für Arienplatten war sie nie der Typ. Der auf Effizienz angelegte Musikbetrieb war ihr ein Gräuel. Am Höhepunkt ihrer dennoch beträchtlichen Karriere ging sie für drei Jahre in die Slums von Kalkutta, zu Mutter Teresa. Teresa Stratas, die Anti-Diva.
8. April 2017, 21:58
Die Stratas singt Weill
Schiebermütze im Nacken, Blick zu Boden, Kopf gesenkt - das Foto zur CD "Stratas singt Weill" hat Brecht-Chic und ist zugleich ein Stratas-Psychogramm. Fremd - überall. "Selbstquälerischer, grüblerischer hat sich wohl noch nie eine bedeutende Sängerin dargestellt", schreibt Jens Malte Fischer in seinem Buch über "Große Stimmen".
Eine Sängerin, von der ein mit ihr arbeitender Regisseur einmal sagte: "Du wirst immer leiden. Du suchst das Absolute, aber Du findest es nicht."
Lasziv, hochmütig, abwehrend
Wie ein Emblem wirkt auch das Bild von Teresa Stratas als Alban Bergs Lulu, 1979 in Paris, bei der von Pierre Boulez dirigierten, von Patrice Chéreau inszenierten Uraufführung der von Friedrich Cerha komplettierten dreiaktigen Fassung der Oper: die verächtliche Haltung, in der schon das LP-Cover die Stratas zeigte, lasziv, hochmütig, abwehrend, in sich gekehrt.
Für die ausgelebte Verletzlichkeit, fürs letzte Aufbäumen war sie Spezialistin, seitdem sie sich an der Bayerischen Staatsoper Mitte der 1960er Jahre als Violetta in Verdis "La Traviata" an der Seite von Fritz Wunderlich verzehrt und niemand im Publikum ungerührt gelassen hatte.
Von der Kamera geliebt
Die unvergessliche Kino-"Traviata", fast 20 Jahre später, mit Placido Domingo als Partner, in der Regie von Franco Zeffirelli, dazu Zeffirellis "Bajazzo"-Verfilmung, erneut mit Domingo - für eine Sängerin, der "Vermarktung" so verhasst war wie Teresa Stratas, sind doch etliche Bild-Ton-Dokumente zusammengekommen, in denen sie der "Star" war. Total schonungslos im Spiel und von der Kamera geliebt schon der riesigen Augen und der zerbrechlichen Figur wegen.
Stimmlich am Limit
Karl Böhm und Götz Friedrich konnten an der so kindhaft wirkenden, so verderbten Salome von Teresa Stratas nicht vorbeigehen; heute wirkt das Video auf DVD so stark wie vor fast 35 Jahren. Dazu kamen TV-Übertragungen: aus Paris, wie im Fall der "Lulu", und aus der Metropolitan Opera in New York, die Teresa Stratas' Stammhaus war.
Wer genau hinhörte, stellte vielleicht fest, dass gesanglich vieles ertrotzt war, dass etliche ihrer besten Partien über die stimmlichen Möglichkeiten von Teresa Stratas hinausgingen - an ihrer Überzeugungskraft änderte das nichts.
Vom Nachtlokal zu Karajan
Eine Suche nach "Stratas" im digitalen Archiv der Metropolitan Opera New York fördert fast 400 Einträge zutage: Von 1959 bis 1995 erstreckte sich die MET-Karriere von Teresa Stratas. Sie hat auch an diesem Haus nie ein bestimmtes "Fach" gesungen: Neben der Despina die Lulu, neben Mimi Offenbachs Perichole, neben Marie in der "Verkauften Braut" die Killer-Partie der Lisa in "Pique Dame", und spät in der Karriere dann auch noch Weill, "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny".
Ecken und Kanten
Dieses Dazugehören - und doch nicht, die Ecken und Kanten, das Sich-nicht-einordnen-Lassen, vielleicht hat das alles Lotte Lenya, die Kurt-Weill-Witwe, dazu gebracht, Teresa Stratas am Sterbebett einen Packen bis dato unveröffentlichter Weill-Noten zu übergeben. Der damit verbundene Auftrag war zugleich Bürde und Chance, denn die Beschäftigung auch mit dem "amerikanischen" Weill hat die typischen Sopran-Alters- und -Abstiegs-Rollen für die ohnehin längst opernmüde Teresa Stratas unnötig gemacht.
Und er ließ einen Kreis sich schließen: Denn die halbwüchsige Anastasia Stratakis - so hieß die Tochter griechischer Einwanderer in Kanada ursprünglich - hatte in Toronto im Radio griechische Pop-Songs geträllert und war dann mit Schlagern in Nachtlokalen aufgetreten, bevor bei der ersten Begegnung mit Puccinis "La Boheme" das Opern-Erweckungserlebnis kam. Dass sie einmal mit Herbert von Karajan arbeiten und in einer Menge deutscher Opern- und Operetten-Verfilmungen auf der Anna-Moffo-Welle schwimmen würde, wer hätte es damals prophezeien wollen?
Schutzlos - stark
Jetzt, wo Teresa Stratas 70 wird, bleibt von alldem viel weniger übrig, als sie selbst bei jedem ihrer Auftritte gegeben hat. Ein paar Aufnahmen, ein paar Momente vielleicht, wie in der erwähnten Münchner "Traviata": Wie stark muss eine Sängerin sein, sich so schutzlos zu machen? Oder die um ihr Leben singende Nedda von Teresa Stratas: So klingt es, wenn auf der Opernbühne nicht gelogen wird.
Hör-Tipp
Apropos Oper, Donnerstag, 15. Mai 2008, 15:06 Uhr
Mehr dazu in oe1.ORF.at
CD-Tipps
Giuseppe Verdi, "La Traviata", Bayerisches Staatsorchester, Giuseppe Patane (Leitung), Teresa Stratas, Orfeo
Kurt Weill, "Stratas Sings Weill", Y Chamber Symphony, Gerard Schwarz (Leitung), Teresa Stratas, Nonesuch