Eine ganz und gar untypische Familiengeschichte
Zaira
Zaira gibt es wirklich. Catalin Dorian Florescu traf sie in seiner Heimat Rumänien und sie erzählte ihre bunte Lebensgeschichte. Diese hat Florescu mit fantasievollen Nebengeschichten verwoben. Herausgekommen ist ein Buch, das verführt und verzaubert.
8. April 2017, 21:58
Schon wieder ein Familienroman!, ist man versucht zu seufzen, aber dieser Familienroman hat es in sich. Schon der erste Absatz macht klar, dass Zaira eine unzuverlässige Erzählerin ist, wenn sie behauptet, sich ganz genau an die Gespräche der Verwandten bei ihrer Geburt erinnern zu können, und so bewegt sich der ganze Roman in einer phantastischen Realität. Und das, obwohl es Zaira tatsächlich gibt. Florescu ist ihr begegnet, in einem Kaffeehaus in Temesvar:
"Ich war auf der Jagd nach Geschichten in Rumänien und hatte von einem Mann gehört, ein Dichter, ein 'poem odi', also einem verfluchten Dichter, in Temesvar, in meiner Heimatstadt, ein Säufer, der seit Jahrzehnten stadtbekannt ist dafür, dass man ihn von der Straße auflesen muss, und dieser Mann, erzählten mir meine guten Literatenfreunde in Temesvar, sei im Krankenhaus und seine große Liebe, seine amerikanische Geliebte sei aufgetaucht, auf mirakulöse Art und Weise und würde ihn gesund pflegen. Das klang spannend, ich traf diesen Traian morgens um zehn in einem Kaffeehaus im Temesvar, er kam besoffen hin, hatte schon zwei Wodka getrunken, wusste nichts zu erzählen, teils weil seine Erinnerungen sehr flach waren, teils weil er eingeschüchtert war. Eine Stunde später kam Zaira, setzte sich hin, fing an zu reden und hörte nach drei Tagen auf. Und nach einer Stunde wusste ich eigentlich, Zaira ist die Hauptperson in ihrem Roman und Traian ist eigentlich ein Kapitel."
Als Puppenspielerin in Bukarest
Zaira wächst auf dem Landgut ihrer Großeltern im Dorf Strehaia auf. Ihr Vater ist Offizier, die Mutter zieht es in die Großstadt, nach Paris oder wenigstens nach Bukarest, wo sie einen jüdischen Liebhaber hat. In Zairas Kindheit spielt vor allem ihr Cousin Zizi eine große Rolle, der so gern schauspielert und nach dem Vorbild der Commedia dell'arte verschiedene Typen kreiert, den grausamen Spavento etwa oder den weinerlichen Pantalone. Damit legt Zizi den Grundstein für Zairas spätere Karriere in Bukarest, wo sie als Puppenspielerin berühmt wird.
Weniger erfolgreich ist Zaira im Privatleben: Ihre erste Ehe mit einem Jugendfreund scheitert, ihre große Liebe, der Marionettenspieler Traian, entpuppt sich als Alkoholiker und Zaira verlässt ihn, als sie schwanger wird. All dies unterlegt Florescu mit Geschichten und Episoden, die manchmal glaubwürdig sind und manchmal auch nicht. Er hat seiner Fantasie freien Lauf gelassen und Zairas Erzählung nach eigenem Gutdünken umgeformt:
"Vieles, was ich im Buch beschreibe, ist zwar vielleicht so erlebt, aber von mir wie ein Stück Teig, das man zu einem schönen Brot formt und nachher in den Backofen steckt", erklärt Florescu. "Alles, was Zaira mir erzählte, ist durch den Fleischwolf meiner Fantasie hindurch oder durch meine Bäckerhände hindurch."
Begegnung mit seltsamen Charakteren
Dabei vernachlässigt Florescu auch den politischen Hintergrund nicht. In Strehaia wird die Familie von den Kommunisten drangsaliert; in Bukarest erlebt Zaira ein Intermezzo mit einem Minister, der sie benutzen will, um seine Homosexualität zu verbergen. Schließlich muss sie mit ihrer Tochter fliehen, über die Tschechoslowakei nach Österreich und weiter in die USA. Dort baut sie sich mit vielen Mühen ein neues Leben auf und begegnet einer Reihe von seltsamen Charakteren: Da ist etwa Eugene, der nie sein Auto verlässt, oder der von seinen Eltern verstoßene Donovan. Gerade diesen Abschnitt des Buches schmückt Florescu mit besonders vielen Geschichten aus, weil "in Amerika die Magie auch möglich ist".
Dennoch: Dieser Teil des Buches hat Längen, wirkt stellenweise ein wenig gewollt und vermittelt den Eindruck, als sei der Autor in den USA eben doch nicht ganz so zuhause wie in Rumänien. "In Rumänien bin ich in meinem Saft", sagt Floescu. "Da kann ich erzählen, dass das Zeug kracht, ja, da kann ich einfach loslegen. Ich weiß wie es riecht, ich weiß wie die Straßen sind, ich weiß wie die Teufel heulen, ich weiß wie man sich liebt, wie man sich hasst, ich weiß wie man sich fürchtet in Rumänien."
Angezapfter Geschichtenreichtum
Zairas lange und schwindelerregende Reise führte sie schließlich wieder an den Ausgangspunkt zurück: nach Rumänien, wo sie sich ihrer Vergangenheit stellen will. Hier bringt der Puppenspieler Florescu die einzelnen Erzählstränge zusammen und sorgt dafür, dass der Roman - ganz untypisch für eine Familiengeschichte - mit einer Überraschung aufwartet, die alle vorhergegangenen Ereignisse in einem anderen Licht erscheinen lässt: Es ist das furiose Finale eines Buches, aus dem die Geschichten nur so herauszuquellen scheinen - Geschichten, die Florescu zu einem großen Teil seinen rumänischen Wurzel verdankt.
"Es ist ein Reichtum, den ich anzapfe. Überall an den Randzonen Europas haben sich Geschichten erhalten mit dem Preis der Armut. Das ist ganz klar", erkennt Florescu. "Ich hebe Schätze auf, ja, und ich stecke sie in meinen Sack und komme zurück in die Schweiz und mache daraus Geschichten."
Ein vielschichtiges Buch also, das Werk eines begeisterten Erzählers, ein Buch, das trotz gelegentlicher Schwachstellen verführt und verzaubert, und das nicht zuletzt auch den ständigen Balanceakt des modernen Menschen zwischen nationaler Identität und globalen Anforderungen thematisiert.
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"Das Buch der Woche" ist eine Aktion von Ö1 und Die Presse.
Hör-Tipps
Kulturjournal, Freitag, 16. Mai 2008, 16:30 Uhr
Ex libris, Sonntag, 18. Mai 2008, 18:15 Uhr
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Buch-Tipp
Catalin Dorian Florescu, "Zaira”, C. H. Beck Verlag
Links
Catalin Dorian Florescu
C. H. Beck - Zaira