Wünsche für die Zukunft Tibets

Freiheit für Tibet

Aus Anlass der jüngsten Ereignisse hat der Verlag Hugendubel eine Sammlung von Aufsätzen und Reden des Dalai Lama aus den letzten 20 Jahren veröffentlicht. Der jüngste dieser Texte, die "Botschaft an alle Tibeter", ist gerade einmal fünf Wochen alt.

Im 20. Jahrhundert hat die Welt sich vollkommen verändert. Auch Tibet wurde Teil dieser Veränderungen. Kurz nach Gründung der Volksrepublik China im Jahr 1949 marschierte die Volksbefreiungsarmee in Tibet ein, was schließlich zum 17-Punkte-Abkommen führte, das im Mai 1951 zwischen China und Tibet geschlossen wurde. Als ich von 1954 bis 1955 in Peking weilte und am Nationalen Volkskongress teilnahm, hatte ich die Gelegenheit, viele erfahrene politische Führer Chinas, darunter auch den Großen Vorsitzenden Mao, kennen zu lernen, ja eine freundschaftliche Beziehung zu ihnen aufzubauen. Der Große Vorsitzende Mao beriet mich in vielen Fragen und gab mir im Hinblick auf die Zukunft Tibets persönliche Garantien.

Heute wissen wir, dass sich die Geschichte Tibets anders entwickelte, als sie sich der junge XIV. Dalai Lama Tenzin Gyatso damals gewünscht hatte. Vier Jahre danach, im Frühjahr 1959, marschierte die chinesische Volksbefreiungsarmee in Tibet ein und schlug den Aufstand des tibetischen Volkes gewaltsam nieder. Der Dalai Lama musste ins indische Exil fliehen und wurde, dank seines unermüdlichen Einsatzes für die tibetische Sache, zu einer Symbolfigur für das Land am Dach der Welt.

"Gefühl tiefer Verbitterung"

Vor wenigen Wochen, fast 50 Jahre nach der Flucht des Dalai Lama über den Himalaya, spitzte sich die Situation in Tibet erneut zu: Es kam zu Demonstrationen, die von der chinesischen Armee und Polizei gewaltsam beantwortet wurden. Niemand weiß bislang, wie viele Menschen dabei ihr Leben lassen mussten oder sonst zu Schaden kamen. Die chinesische Führung machte überdies die sogenannte "Dalai Lama Clique" für die Ausschreitungen verantwortlich.

Aus Anlass dieser jüngsten Ereignisse hat der Verlag Hugendubel schnell reagiert und im vorliegenden Buch "Freiheit für Tibet" eine Sammlung von Aufsätzen und Reden des Dalai Lama aus den letzten 20 Jahren veröffentlicht. Der jüngste dieser Texte, die "Botschaft an alle Tibeter", ist gerade einmal fünf Wochen alt und wurde unter dem unmittelbaren Eindruck der Geschehnisse niedergeschrieben

Seit dem 10. März dieses Jahres sind wir Zeuge von Protesten und Demonstrationen in fast allen Teilen Tibets geworden. Sogar in einigen Städten Chinas protestierten Studenten - all das ist der Ausbruch der seit langem angestauten äußeren und inneren Qualen der Tibeter und ihres Gefühls tiefer Verbitterung aufgrund der Unterdrückung der Rechte des tibetischen Volks, dem Mangel an religiöser Freiheit und des Versuchs, die Wahrheit bei jeder nur möglichen Gelegenheit zu entstellen.

Keine Feindbilder

Abseits einer Einschätzung der aktuellen Geschehnisse gibt das Buch einen guten Überblick über die Positionen des Dalai Lama als politischem Oberhaupt der Tibeter und seine Wünsche für die Zukunft Tibets. Außerdem erfährt man darin einiges über die Philosophie eines buddhistischen Mönchs, sein vehementes Eintreten für absolute Gewaltlosigkeit und seine Wertschätzung für alle Lebewesen. Ein Schwarz-Weiß-Denken in Feindbildern hat in seiner Weltsicht keinen Platz, wie er in seinem eingangs zitierten "Appell an das chinesische Volk" deutlich macht.

Meine chinesischen Brüder und Schwestern, wo immer Sie sich auch aufhalten mögen, ich appelliere an Sie, die Missverständnisse zwischen unseren Völkern ein für alle Mal ausräumen zu helfen, damit wir in einem von Verständnis und Einigungswillen geprägten Dialog eine friedliche und dauerhafte Lösung für die Tibetfrage finden. Mögen meine Gebete mit Ihnen sein.

Zu wenig Hintergrundinformationen

Das Buch "Freiheit für Tibet" ist eine durchaus interessante Zusammenstellung von Zeitdokumenten. Leider fehlt dem Buch aber ein roter Faden, der die einzelnen Texte verbinden und zueinander in Bezug setzen könnte. Es wäre überdies nützlich gewesen, auch Hintergrundinformationen mitzuliefern, denn das Buch setzt stillschweigend voraus, dass der Leser oder die Leserin bereits über einschlägiges Vorwissen über die Geschichte und das politische System Tibets verfügt. Für jemanden, der sich prinzipiell über die Tibetfrage und Möglichkeiten zu ihrer Lösung informieren möchte, ist es daher leider nur bedingt zu empfehlen. Jemand, der sich aber dafür interessiert, welche Meinungen der Dalai Lama selbst vertritt, wird darin auch Antworten finden.

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Buch-Tipp
Dalai Lama, "Freiheit für Tibet. Eine Botschaft für Menschlichkeit und Toleranz", Diederichs Gelbe Reihe, Verlag Hugendubel

Link
Hugendubel - Freiheit für Tibet