Zeitgemäße Scherze

Ist Beethovens Musik komisch?

Der Dirigent Roger Norrington ist der Ansicht, dass Ludwig van Beethovens Musik sehr viel Komik enthält - vor allem seine erste Symphonie. Ein Vergleich von Norringtons Interpretation mit anderen, "ernsten" Beethoveninterpretationen.

Beethovens erste Symphonie im Vergleich

Beim Europäischen Musikfest Stuttgart 2002 hielt der Dirigent Roger Norrington (seit 1998 Chefdirigent des Radiosymphonieorchesters Stuttgart) Einführungsvorträge zu den neun Symphonien Beethovens. Gleich bei seinem ersten Vortrag stellt er fest, dass Symphonien am Ende des 18. Jahrhunderts (Beethovens Erste entstand 1800) noch nicht den gewaltigen, erhabenen Gestus von Beethovens Neunter, Berlioz' "Symphonie fantastique" bis zu Mahlers Achter hatten.

Im späten 18. Jahrhundert, bei Mozart und Haydn, war Musik hauptsächlich gedacht, um Menschen zu unterhalten, zu begeistern, zu "packen", wie Norrington sagt. Die wichtigsten Mittel dafür: Lied, Tanz und Komik in die Musik beziehungsweise Symphonie. Vergessen wir nicht: Es wurde zur Musik damals mehr getanzt als zugehört, meint Norrington. (Na ja. Zu Symphonien eigentlich nicht - aber Norrington liebt die Zuspitzung.)

Esprit und Humor

Alles in allem: Esprit und Humor sind für Norrington die bezeichnendsten Charakteristika des klassischen Stils.

Vier Methoden in der Musik komische Wirkungen zu erzeugen stellt Norrington vor: eine komische Dynamik und "unsanfte Stellen" (wie im dritten Satz der ersten Symphonie).

Zweitens "zeitgemäße Scherze", das heißt das bekannte bis zur Lächerlichkeit zu übertreiben (langsamer Beginn des vierten Satzes). Drittens mit der Erwartung des Hörers spielen, also mit Unerwartetem überraschen (Beginn des ersten Satzes, wo Beethoven so tut, als "wüsste er nicht, wie er anfangen soll"). Eine weitere, vierte Methode, komische Wirkungen zu erzielen, bestehe in der Verwendung banaler, ironischer Melodien. Eine solche findet Norrington im Andante con moto, dem zweiten Satz aus Beethovens erster Symphonie (höre Sie den ersten Teil unseres Audios). Ist das ernste Musik, fragt er provokant.

Eine ironische Melodie?
Interessant: Norrington versteht dieses Andante als komische, ironische Melodie - darüber kann man sicher streiten. Er nimmt das Tempo sehr "con moto", also sehr bewegt, das heißt viel schneller als meistens zu hören.

Hören Sie den Kontrast: dasselbe Andante, aber nicht als komische Melodie, sondern schwer, ernst, viel langsamer im Tempo, mit zartem Schmelz und viel Vibrato (das Norrington den Stuttgartern weitgehend verbietet) im zweiten Teil unseres Audiofiles.

Hör-Tipp
Ausgewählt - Abenteuer Interpretation, Mittwoch, 21. Mai 2008, 10:05 Uhr

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