Die Fotografin Herlinde Koelbl
Blickwechsel
Die deutsche Fotografin Herlinde Koelbl gehört zu den bekanntesten Fotokünstlerinnen der Gegenwart. Erst im Alter von 37 Jahren wechselte sie vom Modedesign zur Fotografie. Die Ausstellung zum Bildband "Im Schreiben zu Hause" ist derzeit in Wien zu sehen.
8. April 2017, 21:58
Die schöne, schwierige Kunst des Porträtierens
In ihren Fotografien sind sie spürbar, die Emotionen und die innere Kraft. Sie schafft Bilder, die im Gedächtnis bleiben. Die deutsche Fotografin Herlinde Koelbl gehört zu den bekanntesten Fotokünstlerinnen der Gegenwart.
Herlinde Koelbl bereitet sich oft jahrelang auf eine neue fotografische Arbeit vor. "Man darf die Nähe des anderen nicht fürchten. Menschen sind unberechenbar. Das macht sie so spannend", sagt Herlinde Koelbl. "Man muss sich dem anderen aussetzen, sich Zeit lassen", so Herlinde Koelbl über ihre Arbeit mit der Kamera.
1939 wurde Herlinde Koelbl in Lindau geboren. "An ein frühes Gefühl der Bedrohung, der Angst kann ich mich erinnern", sagt Herlinde Koelbl, "da haben mir ein paar Besatzungssoldaten Angst gemacht, ich war ja noch ein kleines Kind, ich war sechs Jahre alt, als der Krieg zu Ende war".
Ein Studium stand damals - nach dem Krieg - gar nicht zur Diskussion. Sie besuchte Modeschulen in München und Zürich, wurde Modedesignerin. Eine frühe Ehe und die Gründung einer eigenen Familie beendeten dann bald die Karriere in der Modebranche. Erst als ein Bekannter ihr eine Kamera schenkt, ihr zeigt, wie man Bilder selbst entwickelt und ausarbeitet, entdeckt sie die - bis heute - ungebrochene Begeisterung für die Fotografie. 1976 beginnt Herlinde Koelbl als Fotografin für Zeitschriften und Magazine zu arbeiten, da ist sie bereits 37 Jahre alt.
Jüdische Persönlichkeiten im Porträt
1980 erscheint der Bildband "Das deutsche Wohnzimmer". Bildbände über "Männer" und "Starke Frauen" folgen, mit mutigen Aktporträts von Menschen, die sich - oft erstmals - vor einer Kamera nackt und ungeschützt zeigen. 1989 stellt Herlinde Koelbl eine Arbeit vor, mit der sie international bekannt wird und die inzwischen weltweit - in vielen namhaften Museen - zu sehen war, zuletzt auch in Wien.
Die Serie "Jüdische Porträts" zeigt großformatige Aufnahmen von deutschsprachigen, jüdischen Persönlichkeiten, die der Shoah entkommen sind. Zu den Bildern stellt Herlinde Koelbl ausführliche Interviews mit den Porträtierten, eindringliche Gespräche über Religion und Heimat, über Verlust und Exil, über das Leben in Österreich, Deutschland, Israel, über das Verständnis von jüdischer Tradition. Drei Jahre lang, von 1986 bis 1989, hat Herlinde Koelbl an der Serie "Jüdische Porträts" gearbeitet.
Teddy Kollek, Marcel Reich-Ranicki, George Tabori, Grete Weil, Bruno Kreisky, Simon Wiesenthal und viele andere finden sich unter den Porträtierten. Von den jüdischen Persönlichkeiten, die Herlinde Koelbl fotografiert und interviewt hat, sind heute nur mehr wenige am Leben. Ihre Arbeit ist somit auch als historisch aufschlussreiches Zeitdokument zu lesen. Was Herline Koelbl bei den Begegnungen faszinierte war der Humor und die geistige Vitalität ihrer Gesprächspartner.
Langzeitstudie von Politikern
Herlinde Koelbl ist als Fotografin dafür bekannt, sich ausführlich und intensiv mit einer gewählten Thematik zu beschäftigen, da gibt es mitunter Projekte, die durchaus einige Jahre dauern können. Parallel zu ihren Büchern und Ausstellungen veröffentlicht sie häufig auch themenbezogene Dokumentarfilme. Ihr bislang größtes Projekt ist eine Langzeitstudie, für die sie in den Jahren 1991 bis 1998 jährlich 15 Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft fotografierte und interviewte.
1999 erschien unter dem Titel "Spuren der Macht. Die Verwandlung des Menschen durch das Amt" ein Bildband, der unter anderem die Veränderungen von Joschka Fischer, Gerhard Schröder und Angela Merkel zeigt, dazu erschien auch ein Dokumentarfilm, der im Fernsehen gezeigt wurde.
"Mit der normalen Verwundbarkeit des Menschen könnten Sie in solchen Jobs nicht überleben. Sie müssen verdrängen, müssen eine Brutalität an den Tag legen im Abstoßen und Bekämpfen von anderen", sagt einer der Gesprächspartner im Buch, Karlheinz Blessing, der für kurze Zeit als SPD-Geschäftsführer das politische Spiel kennengelernt hat. Joschka Fischer formuliert es so: "Politiker, das sind die Menschen mit den schmalen Lippen. Weil man so viel wegstecken und runterschlucken muss."
Schriftsteller bei der Arbeit
Peter Handke, Sarah Kirsch, Reiner Kunze, Hermann Lenz, Elfriede Jelinek, Martin Walser, Hilde Domin, Ernst Jandl, Friederike Mayröcker, Johannes Mario Simmel, Christa Wolf, Ernst Jünger. Die Liste ließe sich noch länger fortsetzen. 1998 veröffentlichte Herlinde Koelbl einen faszinierenden Bildband, der wie eine große Entdeckungsreise anmutet.
Im Band "Im Schreiben zu Haus. Wie Schriftsteller zu Werke gehen" lernt man viele namhafte Autorinnen und Autoren in Wort und Bild noch einmal neu und anders kennen, als man sie durch ihre Bücher zu kennen glaubt. Man sieht ihre Schreiborte, den Schreibtisch, die Hände, die Handschrift, korrigierte Manuskripte, man ist zu Gast in ihren Arbeitszimmern, der Ort, an dem Literatur entsteht, wird plötzlich sichtbar und greifbar.
"Fröhliche Schwermut ist eine Stimmung, in der man gut schreiben kann", sagt die Lyrikerin Sarah Kirsch. "Die Eingebung kommt durch Arbeit", notiert Peter Härtling. "Mir fällt etwas ein, weil mir etwas fehlt", bekennt Martin Walser. Wieder sind Fotografien und Gespräche in einem Band versammelt, wieder nimmt Herlinde Koelbl den Dialog mit einem Gegenüber auf, mit der Kamera und mit den Worten.
Unverstellter Blick
Neue Projekte sind längst in Arbeit, Projekte, über die Herlinde Koelbl noch nicht sprechen will. "Ich will nicht beeinflusst werden, in bestimmte Richtungen geschickt werden, ich will da ganz allein bei meinem Blick auf ein Thema bleiben", sagt sie im Gespräch. Diesen eigenen unverstellten Blick auf ein Thema zu finden, das braucht Zeit und Geduld. Und so ist Herlinde Koelbl - unbeirrt und konsequent - längst schon wieder am Recherchieren, am Lesen, am Vorbereiten. Bis neue Fotoarbeiten entstehen.
Hör-Tipp
Menschenbilder, Sonntag, 25. Mai 2008, 14:05 Uhr
Mehr dazu in oe1.ORF.at
Buch-Tipps
Herlinde Koelbl, "Jüdische Portraits. Photographien und Interviews", S. Fischer Verlag
Herlinde Koelbl, "Haare", Hatje Cantz Verlag
Herlinde Koelbl, "Spuren der Macht", Knesebeck Verlag
Herlinde Koelbl, "Starke Frauen", Knesebeck Verlag
Herlinde Koelbl, "Männer", Bucher Verlag
Veranstaltungs-Tipp
Ausstellung Herlinde Koelbl, "Im Schreiben zu Haus. Wie Schriftsteller zu Werke gehen", bis 28. Juni 2008, Hauptbücherei am Gürtel, Urban-Loritz-Platz 3, 1070 Wien
Link
Büchereien der Stadt Wien