Wie viel Doping verträgt die Gesellschaft?

No Limit

Am 8. August 2008 beginnen die Olympischen Sommerspiele in Peking. Wie viele der neuen Olympiasieger werden gedopt sein? Befinden wir uns bereits in die Ära des Gendopings? Die deutsche Ex-Athletin Ines Geipel nähert sich in ihrem Buch diesen Fragen.

Bücher, die sich in Jahren sportlicher Großereignisse mit Doping beschäftigen, sind alles andere als selten. Ines Geipel ist aber wie kaum eine andere berufen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Heute ist Ines Geipel Schriftstellerin und Germanistin an der Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch" in Berlin.

In den 1980er Jahren war sie Weltklasse-Leichtathletin der DDR. Wie viele andere war sie damals dem organisierten Staatsdoping des Arbeiter- und Bauernstaats ausgesetzt. Trainer gaben ihr bunte Pillen zum Schlucken, ohne Aufklärung, dass es sich dabei um Steroide und andere Dopingmittel handelt. Erfolgreich war das Ganze. Der Weltrekord für Vereinsteams im 4 mal 100 Meter-Sprint, an dem Geipel beteiligt war, ist bis heute gültig. Über die DDR schreibt sie in ihrem Buch:

Es war die pure Politgier, eine Art ideologischer Größenwahn. Narzisstischer Missbrauch in deutschester Manier. Die unter Drogen versetzten Athleten mochten ahnen, doch sie durften nicht wissen. Eine freiwillige Zustimmung hat es nie gegeben, so wenig wie konkrete Aufklärung über Nach- und Nebenwirkungen.

Kein alleiniges Problem des Spitzensports

Über zehn Jahre nach dem Mauerfall war Ines Geipel Nebenklägerin im größten DDR-Staatsdopingprozess in Berlin. Seit damals veröffentlicht sie nicht nur literarische Texte, sondern beschäftigt sich immer wieder auch mit Doping, und zwar nicht nur im Sport. Im Gegensatz zu vielen anderen Dopingexperten sieht sie das Problem nicht bloß als eines des Spitzensports. Dementsprechend ist auch ihr Buch aufgebaut.

Es beginnt mit drei Fallschilderungen: ein knapp 40-jähriger Computerfachmann, der in seiner Freizeit Bodybuilding macht und dazu Unmengen an Anabolika zu sich nimmt; eine 23-jährige Studentin, die sich für ihre Seminararbeiten besser konzentrieren kann, wenn sie Antidepressiva schluckt; und eine bizarre Geschichte aus der Welt der Börsenmakler, in der Neuro-Cocktails dabei helfen, in Sekundenschnelle die richtige, sprich: Gewinn machende Entscheidung zu treffen. Allen drei gemeinsam ist der Versuch, die natürlichen Eigenschaften des Menschen zu verbessern. Menschenoptimierung nennt das Ines Geipel. Und zwar nicht nur im Sport, sondern in der Mitte der Gesellschaft.

Wie auch immer man diese Entgrenzung benennen möchte – der Körper hat nichts zu lachen, wenn er nicht unentwegt bewegt werden kann. Immerzu soll er für irgendetwas herhalten, immerzu muss er verfügbar, formbar, flexibel sein. Er wird nicht gemocht, wenn er mal tapsig, faul, dick, müde, gefräßig oder gar krank sein will. In Forschung, Wirtschaft, Politik, Technik, auf den Finanzmärkten, in den Medien, im Sport – überall scheint momentan dasselbe Spiel zu laufen.

Gendoping derzeit noch nicht nachweisbar

Überall dasselbe Spiel, aber im Sport lässt es sich dank unermüdlicher Doping-Bekämpfer noch immer am besten verfolgen. So widmet sich Ines Geipel nach einem kurzen Abriss der Geschichte des Dopings mit den Steroiden der 1980er Jahre und dem Blutdoping der 1990er Jahre dem Ist-Zustand. Und der heißt Gendoping. Dieser nächste Schritt der Körperoptimierung ist bereits Realität, zeigt sich Ines Geipel sicher.

Gendoping werde bereits in großem Stil praktiziert. Für einen schnelleren Aufbau von Muskeln und einen besseren Sauerstofftransport im Blut. Und in allen möglichen Varianten. Von den gentechnisch produzierten Hormonen im Labor, die dann in den Körper geschleust werden, bis zur direkten Genmanipulation im menschlichen Körper. Für letztere gibt es bisher so gut wie keine direkten Beweise: Wenn der Körper durch Genmanipulation selbst jene Stoffe produziert, die seine Leistung verbessern, ist dies nur schwer nachweisbar. Für die Zukunft prophezeit Ines Geipel:

Genetisches Doping wird praktiziert, weil die Gesellschaft es zulässt. Die Fans wollen den 100-Meter-Lauf über sechs Sekunden sehen. Athleten werden in Zukunft ihre Gene behandelt bekommen, wie sie an anderen Tagen zum Zahnarzt gehen oder ihre Knie operieren lassen. Fans jeder Kategorie – aus Politik, Wirtschaft, Medien, Sponsoring, dem autonomen Sport selbst und auch Ärzte – und ihre Stars werden fest zusammenhalten. Man wird sich den Spaß nicht verderben lassen.

Teilweise spekulativ

Das Szenario, das Geipel skizziert, ist Stärke und zugleich Schwäche ihres Buchs. Auf der einen Seite findet sie radikale und drastische Worte für die ungeheuren Potenziale, die im Gendoping liegen, auf der anderen Seite beschleicht einen mitunter der Eindruck, dass die Professorin für Verssprache bei der Aufzählung der verschiedenen Doping-Varianten selbst nicht immer den Überblick hat – trotz Glossars im Anhang. Die Mittel und Methoden hören auf klingende Namen wie VEGF-2, siRNA, r-IGF-1 und Myostatin.

Manches wird erwiesenermaßen schon bei Athleten verwendet, bei vielen Mitteln begibt sich Geipel aber ins Reich der Spekulation. Das muss sie auch, denn historisch sind die Nachweisverfahren dem Doping immer mindestens um zwei Schritte hinterhergehinkt. Im Gendoping sind es vermutlich drei oder vier. Dennoch schmälern die vielen Andeutungen und Prognosen die Leistung von Geipels Buch, dessen Recherche nur zum Teil nachvollziehbar ist. Das betrifft auch die Kapitel über China. Die Spiele in Peking hält sie nicht nur wegen der Menschenrechtssituation für den endgültigen Ausverkauf der Olympischen Idee. Obwohl ab dem 8. August 2008 eine neue Rekordmenge an Dopingtests gemacht werden soll, hat sie auch an der Sportpolitik Chinas massive Zweifel.

Peking 2008 dürfte in mehr als nur einer Hinsicht ein pompöser Ausverkauf werden. Vermutlich wird es während der Spiele keinen positiven Dopingfall eines chinesischen Athleten geben. Vielleicht einen, Prinzip Opferlamm. Es wird Medaillen geben, viel Jubel und ausschließlich blauen Himmel. Man wird wieder diese Sätze hören, wie es war mit dem unerwarteten Formhoch und über das kaum vorstellbare Glück, in Peking Gold gewonnen zu haben. Die Fans werden staunen, klatschen und sich dabei fragen, warum diese Sätze irgendwie nicht mehr wie früher klingen.

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Buch-Tipp
Ines Geipel, "No Limit. Wie viel Doping verträgt die Gesellschaft", Verlag Klett-Cotta

Link
Klett-Cotta - No Limit