"Freiheit von allem Gewesenen"
Hans Werner Henzes neueste Oper
"Phaedra" nach der Berliner Uraufführung in Wien und Florenz, "L'Upupa" nächste Saison an der Dresdner Semperoper, "Die Bassariden" derzeit an der Bayerischen Staatsoper: überall Interesse an den Opern des heuer 82-jährigen Hans Werner Henze.
8. April 2017, 21:58
Ausschnitt aus "Phaedra"
Welcher andere Komponist käme auf die Idee, 2004 an eine Geschichte anzuknüpfen, die es bei Paisello, Mayr, Pizzetti schon x-Mal auf der Opernbühne gegeben hat? 2004 beginnt Hans Werner Henze mit der Arbeit an "Phaedra". Im Kopf hört er die Musik bereits: "Das Ende der Oper wird ein polyphones Frühlingslied, traumverloren, traumgewiss. Da soll Freiheit von allem Gewesenen sein. Klarheit. Und Gewissheit."
Nach der Uraufführung an der Berliner Staatsoper Unter den Linden im September 2007 wurde in den "Phaedra"-Kritiken gern in Abrede gestellt, dass diese Musik den Typus "Alterswerk" erfüllt: Mild und resignativ klingt die Partitur tatsächlich nicht, aber filigraner als früher bei Henze.
Eine "Konzert-Oper"
Von Anfang an sollte "Phaedra" eine "Konzert-Oper" werden, eine Oper für ein Konzertpodium und für ein Kammerorchester, das ensemble modern. Weniger als 20 Spieler werden benötigt, manche davon an mehreren Instrumenten, ähnlich wie früher in Henzes "El Cimarrón", nur jetzt ohne ideologischen Druck.
"Kretisch, maritim, urzeitig" sollte die "Phaedra"-Musik klingen. Aus dem zur Premiere im Wagenbach-Verlag veröffentlichten "Phaedra"-Werkbuch, Henze wörtlich: "Deswegen haben wir jetzt für das Schlagwerk ein Instrumentarium zusammengestellt von chinesisch-japanischen und ähnlichen exotischen Instrumenten, auch, um meinen Klangvorstellungen aus der Tradition meines eigenen Schreibens so viel wie möglich wegzunehmen, in anderen Worten: um Routine zu vermeiden. Bisher habe ich in meinen Theaterarbeiten immer das volle Streichorchester eingesetzt, hier nun aber gibt es nur ein Trio (Geige, Cello und Bratsche) und einen Kontrabass. Zweifaches Holz und zweifaches Blech kommen hinzu. Lauter Solisten-Virtuosen sind gefragt! Waldhörnerklang aus der deutschen Romantik, Wagnertuben, heller Trompetenschall aus der Renaissance, dem Barock entstiegene Oboen, das Bassetthorn, das Kontrafagott und auf ihren Spitzentönen insistierende Flöten, vor allem die Ottavini, die Piccoloflöten. Bedrohliche und zärtliche Akkorde aus dem weiten und tiefen Kaiserreich der asiatischen Gongs. Extreme Klangzusammensetzungen, Reibungen, schrill und schmerzhaft."
Recitar cantando
2007, das Uraufführungsjahr der "Phaedra", war nach offizieller Lesart das 400. Jahr in der Geschichte der Oper, wenn Claudio Monteverdis "L'Orfeo" in Mantua deren Anfang bildet. Sind die Soli des Tenors Hippolyt in "Phaedra" nicht genau Monteverdis "recitar cantando", ein Singen, das das Sprechen nicht verlernt hat?
Henze: "Das thematisch Ausschlaggebende kommt immerzu aus den Gesangsstimmen, und diese sind entstanden aus der deutschen Sprache meines sehr geschätzten Christian Lehnert", dem Autor des "Phaedra"-Librettos. "Der Gesangsstil ist opernhaft, wobei der Ausgangspunkt sich technisch planlos und spielerisch an die Vokalmusik zwischen Monteverdi und Rossini anlehnt."
Zwischen Phaedra und der mann-weiblichen Artemis
Phaedra, Mezzosopran, ist die Titelfigur der Oper, Hippolyt, Tenor, die Hauptfigur, Phaedras Stiefsohn, ein keuscher, sich dem Eros verweigernder Naturbursche und Artemis-Anhänger. In ihn verliebt sich Phaedra recht sterblich, wird zurückgewiesen und verleumdet ihn darauf als ihren Vergewaltiger. Worauf Meeresgott Neptun Hippolyt in Stücke reißen lässt. Soweit die griechische Überlieferung der Geschichte.
Henze und Lehnert bauen aber auch die von Ovid und Seneca tradierte römische Fortsetzung in die Oper ein, der zufolge Göttin Artemis Hippolyt in ihrem Heiligtum am See von Nemi nahe Rom als Waldgott unter dem Namen Viribus weiterexistieren lässt - von Henzes Landsitz in Marino sind es nur wenige Fahrminuten zu diesem Nemi-See.
Die Personenkonstellation in Henzes "Phaedra" ist somit übersichtlich: Um Hippolyt bemüht sich nicht nur Phaedra, sondern auch die Göttin Aphrodite, ein tirilierender Sopran. Die Artemis, in deren Banden Hippolyt aber bleibt, ist Countertenor, wahrscheinlich mit Hintergedanken - ein die männliche "Frauenstimme" gibt der Bindung zwischen den beiden eine zusätzliche Farbe.
Berliner Uraufführung ohne Magdalena Kozena
Für Hippolyt und Artemis hat Henze bei der Uraufführung seine Traumbesetzung zur Verfügung gehabt, John Mark Ainsley und Axel Köhler, die beide schon bei der Salzburger Festspielpremiere der Vorgänger-Oper, "L'Upupa", mitwirkten. Die ausdrücklich für Star-Mezzosopranistin Magdalena Kozena geschriebene Phaedra wurde in Berlin von Maria Riccarda Wesseling verkörpert. In genau dieser Besetzung kommt "Phaedra" am 31. Mai und 1. Juni 2008 für ein Kurz-Gastspiel auch zu den Wiener Festwochen ins Theater an der Wien, in der Inszenierung des scheidenden Lindenopern-Intendanten Peter Mussbach, dirigiert von Michael Boder.
Ob auch Hans Werner Henze selbst die Mühe einer Wien-Reise auf sich nehmen wird? 2005 ist er durch eine lebensbedrohende gesundheitliche Krise gegangen, die Arbeit an "Phaedra" brachte ihn ins Leben zurück, dann starb im Frühjahr 2007 sein Lebensgefährte durch über 40 Jahre, Fausto Moroni. "Meine Musik, wann und wo immer sie das Vokabular der Lobgesänge in Anspruch nimmt, tönt, als gelte sie ihm", so Henze, "als spräche sie von ihm und als danke sie unserem Schöpfer, dass er im Herbst 1964 in Rom in der Via Borgognona die Begegnung zwischen Hans und Fausto arrangiert hat."
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Hör-Tipp
Zeit-Ton, Dienstag, 27. Mai 2008, 23:05 Uhr
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Wiener Festwochen