Weil es gut tut

Mein Körper ist ein Schlachtfeld

Der Körper wird verziert, geschnitten, gerahmt, gemeißelt, geformt. Nicht weil es weh tut, sondern weil es gut tut. Die Gefühle davor: Stau. Währenddessen: Es ist nicht wie Sex, aber es ist zu spüren wie Sex. Danach: Entspannung, Scham.

Auf meinen Oberarmen, auf meinen Oberschenkeln sind Schnitte, die zu Narben geworden sind. Striche sind es, sauber untereinander, gänzlich musterlos, die ich nicht mehr wegmachen kann, die ich hingeschrieben habe vor drei, vier Jahren. Der Gedanke daran war schon viel früher da. Das erste Mal mit 14, als ich dieses Pizzamesser zum Rollen betrachtet habe. Dann kam die Matura, dann ein Jahr als Au-Pair-Mädchen in Paris.

In den Weihnachtsferien zu Hause, bevor ich wieder zurückgefahren bin, habe ich mich das erste Mal mit einer Rasierklinge in den Unterarm geschnitten und ein Tuch darüber gebunden. Später einmal hat mich die Mutter danach gefragt und ich konnte nur sagen, das Tuch sei ein Accessoire. Dann kam wieder Paris, dann wurden die Schnitte häufiger, dann kam das Studium und das Ganze hörte nicht mehr auf.

Dann kam das "Immer weniger Essen wollen", dann kam das "Noch immer weniger Essen wollen" und die Schnitte wurden mehr, wanderten den Arm hinauf und die Oberschenkel runter und dann kam das "Nicht mehr Können" und dann die psychologische StudentInnenberatung mit dem Rat "längerfristige Therapie".

Darüber sprechen

Das längerfristig wurde zum lange, die vierjährige Psychoanalyse ein Gang in die Hölle und wieder zurück und dann oder währenddessen kam das "Wieder Essen wollen" und das "Weniger Schneiden müssen" und das Sprechen darüber: Mit Freundinnen, die nicht erstaunt waren, die einmal angesprochen, mir ihre Arme zeigten. Dann kam der Wunsch, ein Stück daraus zu machen, die Interviews, die Gespräche über das Warum, das Was, das Wie, das Wann nachzuzeichnen, wie mit einer Rasierklinge.

Dann kam die Idee, einen Text zu schreiben, in dem eine Person mit ihrem Körper spricht, wie ich es oft getan habe, als Entschuldigung, dass ich ihm weh tue, als Bitte mich nicht im Stich zu lassen. Dann kam die Beschäftigung mit dem, was man "selbstverletzendes Verhalten" nennt. Ein Tiroler Psychiater erklärte mir, es sei primär keine Erkrankung, sondern ein sehr unspezifisches Symptom, bei dem es um eine Impulshemmungsstörung gehe. Man sei nicht in der Lage, Impulse ausreichend zu kontrollieren.

Man finde dieses Verhalten in sehr vielen psychiatrischen Erkrankungen wie die Abhängigkeitserkrankung, die Essstörung, die Persönlichkeitsstörung oder in affektiven Störungen. Was er mir wissenschaftlich erklärte, kannte ich: das Gefühl des Staus, des inneren Drucks, die Entlastung danach.

Zurückholen ins Leben

Die Freundinnen erzählten mir dasselbe, sprachen über den Beginn des Schneidens in den Körper - "eher über den Umweg, dass ich mir gedacht habe, wie es wäre, wenn ich mir die Pulsadern aufschneide", die Gefühle davor - "Stau" -, währenddessen - "Es ist nicht wie Sex, aber es ist so spüren wie Sex"-, danach - "Entspannung, Scham" -, die Vorbereitung - "Desinfektionsmittel, Tupfer" -, die Auswahl der Schnittstellen, das Verdecken derselben, die Gründe - "ein zuckender Körper, der beruhigt werden muss, ein starrer Körper, der ins Leben zurückgeholt werden muss" -, die Klarheit im Kopf, das Zurückholen ins Leben.

Dann wurde das Stück fertig, nach einem Jahr und dann kam das Wissen, dass es immer nur ein "Sprechen darüber" sein kann, nie das Blut selbst, das die Hand runter läuft.

Service

Ulrich Sachsse, "Selbstverletzendes Verhalten: Psychodynamik - Psychotherapie. Das Trauma, die Dissoziation und ihre Behandlung", Verlag Vandenhoeck & Ruprecht

Ulrich Rohmann, Ulrich Elbing, "Selbstverletzendes Verhalten: Überlegungen, Fragen und Antworten", Verlag Modernes Lernen

Steven Levenkron, "Der Schmerz sitzt tiefer: Selbstverletzung verstehen und überwinden", Kösel Verlag

Brigitte Blobel, "Rote Linien: Ritzen bis aufs Blut", Arena Verlag

Kristin Teuber, "Ich blute, also bin ich: Selbstverletzung der Haut von Mädchen und jungen Frauen", Centaurus Verlag

Rote Tränen