Vielseitiger Hans Platzgumer
Schreien am Nordpol
Der 1969 in Innsbruck geborene Musiker, Produzent und DJ Hans Platzgumer hat rund 50 Alben veröffentlicht. Auch unter die Schriftsteller ist er gegangen. Sein Text "Elefantenfuß" beschäftigt sich mit dem Reaktorunfall vor 23 Jahren in Tschernobyl.
8. April 2017, 21:58
Keine Bewegung mehr. Eine starre Unterlage sein für ein gefrorenes Land. Danach hatte er sich gesehnt.
Diese drei Sätze liest man in Hans Platzgumers Roman "Weiß". Drei Sätze von vielen in einem Buch übers Aussteigen. Aber da will keiner Schafhirte werden oder Sonnenuntergänge betrachten. Da will sich einer buchstäblich auflösen im arktischen Eis.
Sebastian Fehr heißt der seltsame Mann in der Krise. Kein Alter Ego von Hans Platzgumer, wie der Autor und Musiker betont. "Ich bezeichne mich eigentlich als so eine Art Glückskind", betont er, "und ich hab auch das Glück, dass meine Sachen immer irgendwohin führen, wo es auch für mich passt".
Leben in einer Parallelwelt
Von Lochau aus gesehen ist die Arktis weit entfernt. Der Bodensee tut so, als ob er ein Meer wäre, er suggeriert Weite in jeder Hinsicht. Vielleicht hält man es hier länger aus als anderswo, wenn man es eigentlich nirgendwo aushält. Hans Platzgumer hat mit 17 Jahren Innsbruck verlassen, um fortan Musiker zu sein. Er hat in Wien gelebt, in Berlin, in New York, in Los Angeles, in Hamburg und in München. Seit sechs Jahren lebt er mit seiner Familie im sauberen und beschaulichen Lochau bei Bregenz.
Als Künstler könne er allerdings nur in einer Parallelwelt dazu existieren. In seiner Musik, in seinen Texten. "Ich weiß aber auch ganz genau, dass es für mich keinen perfekten Platz auf der Welt gibt. Nach dem such ich auch gar nicht mehr."
Das stimmt nicht ganz. Denn eine Sehnsucht hat Hans Platzgumer mit Sebastian Fehr gemeinsam: "Ich sehnte mich nach Eis und nach der in ihm gefrorenen Stille", heißt es am Schluss seines autobiografischen Romans "Expedition. Die Reise eines Undergroundmusikers in 540 Kilobyte". Im Jahr 2005, mit gerade einmal 36 Jahren, hat er diese Rückschau auf die multiple Künstlerpersönlichkeit Hans Platzgumer vorgelegt, der man in den vergangenen 20 Jahren auch unter dem Namen Funk Taxi begegnen konnte, oder Das Damoklesschwert oder Nylon oder Hans Erich Platzgumer oder Platzlinger oder KÖB oder Böhm oder HP Zinker oder Seperator oder Cube & Sphere oder nachtstrom vs platzgumer oder Shinto oder Queen of Japan oder Artful & Garfunkel oder Hans Maria Schwarz oder hp.stonji oder Convertible oder E:GUM.
Vom Nordpol, schreibt Platzgumer, erhoffe er sich eine Pause von seinem aufgeregten Treiben, einen Fixpunkt inmitten all dieser Personen und Pseudonyme, die nicht immer etwas mit ihm zu tun hätten: "Ich möchte die wattierte Weite des hohen Nordens hören, meine Musik in ihren stummen Schneefall kleiden. Ihre unendliche Leere soll mich umschließen."
Alter Ego Sebastian Fehr
Nach zwei Jahrzehnten im musikalischen Underground als Punk-, Rock-, Pop-, Elektronikmusiker und DJ hat er sich ein literarisches Gegenbild geschaffen: Sebastian Fehr, Jahrgang 69, so wie Platzgumer, Produktionsassistent beim Rundfunk in Frankfurt am Main, richtungslos, antriebslos. Ein Verächter der eigenen Existenz. Etwas extrem, gewiss, und vom Temperament her das glatte Gegenteil des quirligen Musikers und Autors. Aber es geht nicht um das Spiegelbild. Es geht um tief sitzende Sehnsüchte. Und um die Frage, wie man die lästigen Dinge des Alltags los wird, um ganz zu sich zu kommen.
Das Wort "Loser" hört Platzgumer in diesem Zusammenhang gar nicht gern: "Sebastian Fehr ist eher jemand, der bewusst nicht konform gehen will mit seiner Gesellschaft, der aber gleichzeitig doch das hat, was wir alle haben, nämlich Antriebsschwäche und auch eine gewisse Feigheit."
Aufbruch zum Franz-Joseph-Land
Sebastian Fehr lebt Platzgumers Nordpolfantasien aus. Da zeigt sich die Macht des Schriftstellers, der seiner Figur alles zumuten kann. "Irgendwann beginnt er all das, was ihn umgibt, so sehr zu hassen, dass er ausbrechen muss", sagt Platzgumer, "und das ist eine Sache, die ich auch sehr gut kenne. Wenn mich irgendwas richtig packt und richtig überzeugt, irgendeine Idee, das kann jetzt auch Schwachsinn sein, der nur für mich Gültigkeit hat, dann will ich das durchziehen."
Er lässt Sebastian Fehr zum Franz-Joseph-Land aufbrechen, "verlassen von Mensch, Tier und Gott".
Auch der Innsbrucker Polizistensohn Johann Platzgummer (so der korrekte Name und die richtige Schreibweise) hat früh sein Franz-Joseph-Land gesucht. Mit 17 Jahren, Ende der 1970er Jahre hielt er nicht im nördlichen Eismeer Ausschau, sondern im flirrenden Alles-und-noch-viel-mehr der Rockmusik: "Als Punk war das einzige Bild, dem ich immer entsprechen wollte, genau keinem Bild zu entsprechen. Damals war mein Motto bei der ersten Platte 'Tod der CD': mit gutem Feeling hingeschissen."
Der Geräusche-Alchemist
Virtuose wollte er keiner werden, sondern ein Klangkünstler, ein Soundwissenschaftler, ein Geräusche-Alchemist. Zuerst von Wien, dann von Berlin aus spielte Platzgumer in den späten 1980er Jahren in verschiedenen Formationen, erprobte Stile, Posen und technische Möglichkeiten, fiel auf die Nase, stand wieder auf. "So flog ich 1989 nach New York, ohne Mittel und Kontakte, jedoch mit einer klaren Vision und gemeinsam mit meinem alten Innsbrucker Freund Andi Pümpel. Gemeinsam gründeten wir HP Zinker."
Die Band tourte Anfang der 1990er Jahre durch Clubs in den USA, England, Frankreich, den Niederlanden. HP Zinker ist Underground - und dort ist es verschwitzt, eng und schmutzig. "Man wird halt auch wohin getrieben, wenn man den Schritt hinaus wagt, genau wie mein Sebastian Fehr", sagt Platzgumer, "und dann landet man auch, wo man es nie vermutet und auch eigentlich nie vor hat".
Reise in mehrere Richtungen
Nach der Auflösung der Band und der Rückkehr nach Europa Mitte der 1990er Jahre wurde Hans Platzgumer zur eigentlichen multiplen Künstlerpersönlichkeit, der von nun an gar nichts mehr eindeutig zuzuschreiben ist, kein Stil, kein Instrument, kein Genre. Vor ihm liegt das Land flach und weiß da. Voller seltsamer Klänge, die er allesamt einzufangen versucht.
"Sobald man etwas geschafft hat und es nicht mehr besser machen kann und sich ständig nur mehr wiederholt und dann zu stagnieren beginnt, dann hört man eigentlich auf, ein Künstler zu sein."
Die Expedition, schrieb er einmal, habe inzwischen nicht mehr ein einziges Ziel vor Augen, sondern sei eine Reise in mehrere Richtungen, eine Sammlung von Teilzielen geworden. Zu einer flexiblen Suche nach Umwandlung und Erneuerung des bislang Erreichten, zu einer akribischen Erforschung immer neuer Mittel, Einflüsse und Stilformen.
"Ein Künstler", so Platzgumer, "der nicht mehr aus seinem Kunstdrang heraus entscheidet, sondern Kunst sieht als würde er irgendwelche Sachen verkaufen, der kann nicht glücklich werden, auch wenn er noch so viel Erfolg damit hat. Da weiß ich ganz genau, dass ich da nicht hin will."