Eine Welt, die uns fremd ist
Das dunkle Schiff
Dieser Roman setzt auf die Kraft der Erzählung. Sherko Fatah erzählt von einer Welt, die uns fremd ist und immer fremd bleiben muss. Fatah bringt die Voraussetzungen mit, uns Charaktere zu erklären, von denen wir nicht einmal zu träumen wagen.
8. April 2017, 21:58
Schon öfter konfrontierte uns Fatah mit düsteren, schweigsamen Menschen, die so wenig von sich selbst verraten, dass sie eine ideale Angriffsfläche für die Fantasie abgeben. Man denke nur an den Schmuggler aus Sherko Fatahs Debüt "Im Grenzland", der seine Ware zielsicher durch vermintes Gelände transportiert. Jetzt wird es noch ernster.
Land ohne Hoffnung
Kerim könnte ein Bursche mit Zukunft sein, wäre er nicht dazu verdammt, im Irak zu leben. Von Anfang an ist das ein Buch über einen Ort ohne Hoffnung. Mehrer Kriege überziehen das Land, Saddam Hussein wird entmachtet und hingerichtet, auf Frieden hofft keiner mehr.
Die Szenen in einer nördlichen irakischen Provinz gehören zum Eindrücklichsten, was in diesem Buch zu finden ist. Ein geknechtetes Volk versucht, Normalität zu leben, und doch ist das Leben nichts wert. Ein falscher Satz, eine Unachtsamkeit, eine Denunziation, das war's dann schon eigentlich. Als Kerim als Bub einmal einem Gefangenentransport aus Neugier zu nahe kommt, steht das Leben seines Vaters auf dem Spiel. Weil Kerim aber eine falsche Adresse angibt, verschwindet ein Freund der Familie in den Verliesen des Regimes. Das wird so nüchtern erzählt, als sei es selbstverständlich, dass das Los des Menschen Leid und Pein seien. Auf diesem Hintergrund bekommt Kerim Profil als einer, der lernt, sich mit Anpassung durchs Leben zu mogeln.
Phänomen Gotteskrieger
Aber Sherko Fatah, als Sohn eines irakischen Vaters und einer deutschen Mutter 1964 in Berlin geboren und im östlichen Teil Deutschlands aufgewachsen, will mehr. Im Westen stehen wir fassungslos vor dem Phänomen der Gotteskrieger. Kerim, der Unglücksrabe, gerät unter diese Killer von Allahs Gnaden. Und damit nimmt der Roman eine Entwicklung zum Problemfall. Er orientiert sich an europäischen Erzähltraditionen, gehorcht der Vernunft eines Autors, der deutsche Verhältnisse kennt. Aber was geht in den Köpfen der Selbstmordattentäter vor, was geschieht in den Moscheen, in denen zum heiligen Krieg aufgerufen wird, wie muss ich mir Menschen vorstellen, die sich von ihren herkömmlichen Vorstellungen verabschieden, weil sie sich einer höheren Bestimmung verpflichtet fühlen?
Mit Einfühlung allein kommen wir nicht weiter, die Ästhetik des Beschreibens reicht nicht aus. Einen Roman, in den theoretisch Erörterungen einfließen dürfen oder in dem Dialoge stattfinden, in denen die Konflikte einer Gesellschaft im Widerstreit durchgespielt werden, versagt uns Sherko Fatah auch. Deshalb bleibt der Eindruck, als sei dem Roman auf halber Strecke die Luft ausgegangen.
Dieser Verlust an Energie vollzieht sich in mehreren Etappen. Kerim wird verschleppt. Zuerst sind die Kämpfer nur interessiert an seinem Auto, dann muss er mitmachen mit den Terroristen im Gebirge. So, wie es aussieht, wird Kerim um den Tod als Sebstmordattentäter nicht umhin kommen. Er flieht, steuert Deutschland an, erhält Asyl und gerät schon wieder in Kreise von Fanatikern.
Männer und Frauen
Fatah malt sich knallbunt aus, was diesem tumben Tor widerfährt. Die Flucht, ein Abenteuer, Deutschland, ein Experimentierfeld für einen aufgeweckten Jugendlichen. Es dauert nicht lange, bis Kerim eine junge Frau an seiner Seite hat. Jetzt ist die Erotik im Raum, die einem verklemmten, erfahrungsarmen Burschen so nottut. Wenn man sich die Szenen aus dem unerotischen Irak vergegenwärtigt, wo der brave Kerim ein Mädchen aus der Nachbarschaft so keusch anhimmelt, entspricht das allen Vorstellungen, die wir sowieso insgeheim schon hegten, aber nicht auszusprechen wagten.
Überhaupt Frauen. Sie bekommen bei Sherko Fatah eine undankbare Rolle zugeschoben. Sie sind Aufputz, manchmal schrill und aufdringlich, manchmal rührend bescheiden, eine Identität bekommen sie nicht. Weil das Buch in das Herz der Männergesellschaft vordringen will, nimmt er zuerst einmal die Männer ernst. Und die verhalten sich so, als wollten sie unbedingt das dumpfe, ahnungslose Gegenstück zu den doch recht sensiblen Frauen abgeben.
Ein Fall für Sigmund Freud
Der Roman scheitert an seinem eigenen Anspruch. Es gelingt ihm nicht, die Gotteskrieger-Mentalität in die Sprache des Westens zu übersetzen. Glaube ich dem Autor, sind Gotteskrieger vertrottelte Gestalten. Sie fallen auf Stehsätze der folgenden Art herein: "Und denke an die Frauen", sagt ein Lehrer. "Jeder im Westen sagt dir, sie müssten die gleichen Rechte haben, sie müssten frei sein, aber niemand ist wirklich frei. Alles, was sie erreichen wollen, ist, dass Männer und Frauen gegeneinander stehen, anstatt füreinander da zu sein."
Kerim gerät darüber tatsächlich ins Grübeln und sehnt sich nach, wie es heißt "einer Reinheit des Glaubens, die eine Reinheit des Lebens wäre." Wie geht solch eine Wandlung vor sich? Wir wissen es nicht, wir erfahren es nicht. Fatah zieht sich zurück und lässt den Roman das treiben, was Romane ohnehin am liebsten machen: Sie lügen uns das Blaue vom Himmel. Nur wollen wir dem Autor, der zu einem der besten seiner Generation gehört, diesmal nicht so recht glauben.
Einmal bemerkt man etwas vom Versuch, das Fremde zu bestimmen. In der Eingangsszene sieht man einen jugendlichen Kerim, der mit sich und der Welt in Einklang steht. Alles passt an diesem Tag, an dem Frauen in bunten Gewändern das erste Mal im Jahr wieder Kräuter sammeln. Ein Hubschrauber erscheint, sammelt die Frauen ein, verschwindet wieder, und plötzlich naht er erneut. Gleich darauf stürzen die Frauen aus ihm. Später, viel später, erinnert der Vater seinen Sohn an diese Szene. Damals trug er ihm auf, über diese Beobachtung nie zu sprechen, denn nur so gelänge es, das Ereignis allmählich als Traum und nicht als Tatsache zu werten. Das ist keine Methode, die im Land von Sigmund Freud eine Chance hätte. Hier käme man nur über Reden und Aufarbeiten des Erlebten weiter. Verdrängen bedeutete ein traumatisiertes Leben auf alle Zeit. In solchen Augenblicken zeigt Sherko Fatah, dass er das Zeug dazu hat, das fremde Verhalten im Erzählten aufgehen zu lassen.
Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr
Buch-Tipp
Sherko Fatah, "Das dunkle Schiff", Verlag Jung und Jung
Link
Jung und Jung - Das dunkle Schiff