Neue Solo-CDs
Duell der Tenöre
Neuigkeiten aus der Tenor-Spitzenliga: Rolando Villazon und Piotr Beczala - zwei Temperamente, eine ähnliche Rollenauswahl. Beide haben neue Solo-CDs aufgenommen, beide kommen für Gounod-Opern nach Österreich: Villazon nach Salzburg, Beczala nach Wien.
8. April 2017, 21:58
Piotr Beczala in "Hoffmanns Erzählungen"
Zwei wie Nacht und Tag? Der erste Blick auf die neuesten Solo-CDs von Rolando Villazon und Piotr Beczala erweckt diesen Eindruck: Hier der romantische Held Villazon, von Emotionen gebeutelt, am Cover von "Cielo e mar" mit Blick über den wild bewegten Ozean, dort der "boy next door" Beczala, der den Betrachter mit dem Gruß "Salut!" frontal freundlich anlächelt.
So verschieden die Stimmen von Villazon und Beczala klingen, so unterschiedlich ihr Auftreten, ihre künstlerische Herkunft und ihr Temperament tatsächlich sind: Im Opernalltag sind sie Konkurrenten, mit jeder Menge Gemeinsamkeiten bei den gesungenen Rollen.
Polnischer Tenor mit Wunderlich-Timbre
Vor Jahren an der Deutschen Oper Berlin, als Christian Thielemann dort noch Chefdirigent war: die jährliche "Aids-Gala", mit buntem Programm. "Dein ist mein ganzes Herz" aus Franz Lehars "Giuditta" - wie leicht wird das, hingedroschen, zum Schmachtfetzen. Thielemann, ganz "Kapellmeister", lässt die Geigen erotisch tändeln, die Bässe pulsieren, die Bläser glucksen, und Piotr Beczala legt darüber seine Kantilene, als hätte Fritz Wunderlich einen raffinierten Tag erwischt.
Nach dem strahlenden Spitzenton endloser Jubel: So und nicht anders muss Operette klingen! Mit der von Wunderlich wurde Beczalas Stimme vor allem am Anfang seiner Laufbahn immer wieder verglichen, Wunderlich-Platten verdankt er seine ersten bleibenden Opern-Hörerlebnisse, noch daheim in Polen. Seit rund zehn Jahren ist Piotr Beczala im Visier derer, die stets "den" neuen Tenor suchen: Er machte am Linzer Landestheater als Belmonte in der "Entführung aus dem Serail" Furore und wechselte dann an die Züricher Oper, zu Franz Welser Möst.
Gerade aus Zürich, seinem Stammhaus seither, gibt es jede Menge Aufnahmen von ihm, vor allem auf DVD: Beczalas Don Ottavio im "Don Giovanni", sein Tamino in der "Zauberflöte" sind in Züricher Aufführungen ebenso dokumentiert wie sein Herzog oder der Alfredo in "La Traviata".
Stimmklang als "Suchtstoff"
Diesen Jänner debütierte Piotr Beczala in Berlin an der Lindenoper als Riccardo in Verdis "Maskenball", in einer Partie, die nicht nur einen aus dem Lyrischen kommenden Tenor fordert. Nach der Premiere gab es in den Kritiken Sätze zu lesen wie: "Sein Timbre ist Suchtstoff." Oder: "Keine typische Manier, kein aufgeschwollenes Schluchzen, kein Aussitzen von Hochtönen, kein über die Maßen donnerndes Forte. Beczalas Tenor klingt immer, als wären warm blitzende Edelsteine eingesetzt."
Kommenden Herbst wird Piotr Beczala an der Wiener Staatsoper im Mittelpunkt einer Neuproduktion von Charles Gounods "Faust" stehen; die zentrale Arie der Oper hat Beczalas erstem Solo-Recital beim CD-Label Orfeo den Titel gegeben: "Salut!"
Rolando Villazon mit neuem Repertoire
Theoretisch könnte Piotr Beczala jedes Mal einspringen, wenn Rolando Villazon Auftritte als Nemorino ("L'elisir d'amore"), Werther, Des Grieux ("Manon"), Rodolfo ("La Boheme") absagt - diese und andere Rollen haben beide Tenöre im Repertoire. Aber die Absage-Phase bei Villazon ist zur Freude seiner Fans ja vorbei. Sie war ein Lehrstück, wie schnell die Mischung aus einem extrovertierten Naturell und dem immer mehr fordernden Medienbetrieb von heute einen Sänger an den Rand des totalen Burnout bringen kann.
Noch vor dem Fast-Zusammenbruch, im März 2007, ist in Mailand Rolando Villazons "Cielo e mar"-CD entstanden, die ihren Titel von einer Arie aus Ponchiellis "La gioconda" bezieht. Von Cileas "Adriana Lecouvreur" bis Verdis "Maskenball", von Donizettis "Poliuto" bis zu "Simon Boccanegra" sind ausschließlich Werke vertreten, die einstweilen noch nicht zum Bühnenrepertoire von Villazon gehören, aus denen aber italienische Tenöre seit Carusos Zeiten ihre Vorzeige-Nummern beziehen - große Konkurrenz für Rolando Villazon, der hier, mit seinem nach wie vor an den jungen Placido Domingo erinnernden Stimmklang, auf den Spuren von Beniamino Gigli, Giuseppe di Stefano und Franco Corelli unterwegs ist.
Spannung vor Londoner Verdi-Premiere
Wie Rolando Villazon wirklich beisammen ist, wird sich bald zeigen: Am 6. Juni 2008 hat in London am Opernhaus Covent Garden Verdis "Don Carlo" Premiere, mit ihm in der Titelrolle. Wird er sich so rückhaltlos verausgaben wie vor der Zwangspause? Hat sich die Stimme doch verändert?
Im Sommer zieht es Villazon wieder nach Österreich: Bei den Salzburger Festspielen steht für ihn Gounods "Roméo et Juliette" am Programm, und davor gibt es in Wien mit Anna Netrebko, die Salzburg wegen ihrer "Baby-Pause" absagen musste, noch einen "Event" vor Fernseh-Millionenpublikum: das EM-Abschlusskonzert in Schloss Schönbrunn, gemeinsam mit Villazons Mentor Placido Domingo.
Mehr zu Jonas Kaufmann in oe1.ORF.at
Hör-Tipp
Apropos Oper, Donnerstag, 5. Juni 2008, 15:06 Uhr
CD-Tipps
Piotr Beczala, "Salut!", Orfeo
Rolando Villazon, "Cielo e mar", Deutsche Grammophon
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