19 Texte von Mircea Cartarescu

Warum wir die Frauen lieben

Auch wenn die Liebesgeschichten dieses Bandes neben der imperialen Monumentalität seiner "Orbitor"-Trilogie zu duftigen, kleinen Nebenwerken verblassen, Mircea Cartarescu beweist mit jeder Zeile dieser Geschichten, dass er ein großartiger Schriftsteller ist.

19 Texte versammelt der Band "Warum wir die Frauen lieben". Die meisten dieser Geschichten - sie sind zwischen zweieinhalb und sechzehn Seiten lang - hat Cartarescu bereits in der rumänischen Ausgabe der Frauenzeitschrift "Elle" publiziert, bevor er sie zu einem Buch zusammengefasst hat.

Mit bittersüßer Melancholie schildert der Bukarester Autor etwa in der Erzählung "Der Papierteufel" - einem kleinen Meisterwerk - die emotionalen Irrungen und Wirrungen eines pubertären Liebesverrats. "Es ist eine alte Geschichte, doch bleibt sie immer neu; und wem sie just passieret, dem bricht das Herz entzwei", möchte man nach der Lektüre dieser Geschichte mit Heinrich Heine sagen, und ähnlich, wenn auch fast noch schöner, sagt es Mircea Cartarescu in seinem Text.

Der jugendliche Liebesversager

Einige der Erzählungen scheinen Mircea Cartarescu selbst zum Helden zu haben. Die amüsante und doch auch wieder traurige Geschichte "Nabokov in Brasov" zum Beispiel. In diesem Text blickt Cartarescu auf seine Anfänge als jugendlicher Liebesversager zurück.

Ich war Philologiestudent, ein Graphomane, ausgeflippt, Dichter bis in die Zahnspitzen (zumindest in meiner Vorstellung), und trotzdem blass, klein, tot vor Schwäche, so dass der einzige Teil der Menschheit, der mich interessierte, die Mädchen, durch mich hindurchschaute wie durch Fensterglas. Ich lebte in grauenhafter Einsamkeit.

Im Frühjahr 79, beim Eminescu-Kolloquium in Cluj, trifft Ich-Erzähler Cartarescu erstmals ein weibliches Wesen, das ihm zumindest ein paar vage Sympathiebekundungen zukommen lässt.

Sie hatte Englisch und Rumänisch studiert, war hässlich, schlampig, und wenn sie ging, schien sie bei jedem Schritt über die eigenen Füße zu stolpern.

Irina heißt die um vier Jahre ältere Kommilitonin, und obwohl sie ihm – außer als halbkongeniale Partnerin nächtlicher Diskussions-Exzesse - keineswegs attraktiv erscheint, verliert der sexuell unerfahrene Ich-Erzähler seine Unschuld an die Unschöne. Umso größer ist seine Verblüffung, als ihm Irina wenig später gesteht, der Geheimdienst Securitate habe sie als Mitarbeiterin angeworben.

Warum war es mir - wie in einem schlechten Witz - gegeben, bei einer Securistin Mann zu werden?

Zart und surrealistisch

Mircea Cartarescu beherrscht eine breite Palette von Tonarten, von selbstironisch-naiv bis intellektuell hochelaboriert. Dass er seinen Borges, seinen Nabokov, seinen Ezra Pound gelesen hat, merkt man auf jeder Seite. Zugleich funktionieren Cartarescus Geschichten auch auf einer schlichteren erzählerischen Ebene - kraft ihres Humors und ihres poetischen Zaubers vor allem.

Da wäre etwa "Petrutza" zu nennen, eine kleine, keusche Liebesgeschichte aus dem Volksschüler-Milieu. In der vierten Klasse wurden die Kinder auch in Ceaucescus Rumänien gegen Tuberkulose geimpft.

Bei mir gab es einen roten Fleck, so groß wie eine Untertasse auf dem schmächtigen Unterarm, und die Haut über den blassen Venen war beinahe durchsichtig. "He, du Tebecist", sagte Puica, "ich bleibe nicht länger bei dir in der Bank." Die Kinder umringten mich und skandierten "Schwind-süchtig! Schwind-süchtig!"

In der Klasse des Ich-Erzählers gibt es ein Mädchen namens Petrutza, ihre Eltern scheinen noch ärmer zu sein als die der anderen Kinder. Im Zeichenunterricht, während draußen vorm Fenster dichtes Schneetreiben herrscht, kommt es zu einer zärtlichen Interaktion zwischen den beiden.

Und in der Stille der Klasse legte Petrutza zart ihre Hand auf den großen, roten Fleck, leichter als die Berührung einer Schneeflocke gewesen wäre, und dann begann mein Fleck langsam blasser zu werden, seine Konturen verwischten sich, und die Farbe verschwand in wenigen Minuten unter der Haut.

"Schreiben ist eine psychedelische Erfahrung"

Eine zart surreale Wendung, die die Geschichte da nimmt. Aber für Cartarescu ist die sogenannte Realität ohnehin nur ein "Sonderfall des Irrealen": "Das Schreiben ist für mich eine Droge, eine psychedelische Erfahrung. Ich schreibe deshalb so gern, weil ich dabei eigenartige Dinge sehe. Die Wirklichkeit erscheint mir verformt und seltsam. Deshalb schreibe ich immer mit der Hand. Das ist langsam. Die Erscheinungen und Gestalten haben Zeit, sich zum Text zu formen. 'Texistenz', so nenne ich das - eine Wortzusammensetzung aus 'Text' und 'Existenz'."

Auch wenn die Geschichten im letzten Drittel des Bandes etwas schwächer werden: Die zauberhaften Love-Storys, die Mircea Cartarescu da mit leichter Hand erzählt, vergisst man so schnell nicht. Gerade ihre fast schon sommerliche Leichtigkeit - und ihre erfrischende Kürze - machen diese Geschichten zur perfekten Lektüre für Schwimmbad und Strand.

"Das Buch der Woche" ist eine Aktion von Ö1 und Die Presse.

Hör-Tipps
Kulturjournal, Freitag, 6. Juni 2008, 16:30 Uhr

Ex libris, Sonntag, 8. Juni 2008, 18:15 Uhr

Mehr dazu in oe1.ORF.at

Buch-Tipp
Mircea Cartarescu, "Warum wir die Frauen lieben", aus dem Rumänischen übersetzt von Ernest Wichner, Suhrkamp-Verlag

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Suhrkamp Verlag