Doron Rabinovici über einen strittigen Begriff
Der ewige Widerstand
Aufbegehren und Rebellion haben immer Konjunktur, behauptet der Wiener Autor und Historiker Doron Rabinovici. In seinem neuen Buch beschäftigt er sich mit den verschiedenen Formen des Widerstands von der Antike bis in unsere Tage.
8. April 2017, 21:58
"Seit 1945 bedeutet Widerstand eine Tugend, so wie vielleicht Gehorsam in früheren Zeiten. Und jeder will Teil dieses Widerstands sein." Das Aufbegehren hat Konjunktur, behauptet der Wiener Autor und Historiker Doron Rabinovici.
Widerstand leisten - was bedeutet das heutzutage, in einem demokratischen Umfeld? Darf man für die ganz alltäglichen Formen des Protests, der Rebellion, dasselbe Wort benützen wie für den Widerstand im Nationalsozialismus, der zumeist mit dem Leben bezahlt werden musste? Und warum bezeichnen sich Terroristen auch als Widerstandskämpfer? Mit diesen Fragen beschäftigt sich Rabinovici in seinem neuen, bei Styria erschienenen Buch mit dem Titel "Der ewige Widerstand". Und er kommt zu dem Schluss: Bereits die Wahl der Worte ist Teil des Kampfes.
"Ich erinnere mich an einen Vorfall bei einer Demonstration vor ein paar Jahren. Da hat einer gerufen: 'Du Faschist!' Und der andere hat empört erwidert: 'Ich bin kein Faschist, ich bin Anti-Faschist!' Worauf wiederum der erste meinte: 'Egal was für ein Faschist du bist, Faschist bleibt Faschist!'"
Sokrates und Antigone
Rabinovici ist bei seiner Auseinandersetzung mit den verschiedenen Mythen und Traditionen der Auflehnung schon in der Antike fündig geworden, bei der literarischen Gestalt der Antigone. "Sie ist nicht bereit, sich dem Gesetz zu unterwerfen, also ihren Bruder nicht zu beerdigen. Und was ist es, was sie antreibt? Es ist die Liebe."
Auch Sokrates ist ein früher Kämpfer für die Rechte des Individuums. "Sokrates wird zum Tode verurteilt, aber ihm wird geraten zu fliehen. Und er flieht nicht. Er trinkt den Becher mit dem Gift. Er ist nicht bereit zu kapitulieren. Indem er ein Gesetz befolgt, leistet er in Wirklichkeit Widerstand."
Einspruch daheim am Mittagstisch
Schon auf Grund seiner eigenen Biografie hat Doron Rabinovici, der 1961 in Tel Aviv geboren wurde, einen ganz besonderen Bezug zum Thema. "Widerstand und Protest wurden in unserer Familie gepflegt. Der Einspruch der Kinder am Mittagstisch war gefragt. Die Stimmen der Kinder wichtig zu nehmen, war bei uns, in einer Familie von jüdischen Überlebenden, sehr wichtig. Wir Kinder waren wie kleine Prinzen", in denen bereits früh ein kleiner Rebell steckte.
Doron Rabinovici war drei Jahre alt, als er mit seiner Familie nach Wien übersiedelt ist. Er ging an der Hand seiner Mutter spazieren, konnte noch kaum Deutsch und verdutzte die Passanten, weil er sie auf Hebräisch anschrie: "Chamor! Esel! Ich bin so klein und kann schon sprechen und du bist so groß und verstehst mich nicht!"
Macht und Vermächtnis
Aus den Erzählungen der älteren Familienmitglieder erfuhr Rabinovici schon als Jugendlicher über das Leben im Getto und im KZ und davon, dass für die im Nationalsozialismus Verfolgten der Widerstand immer eng verknüpft war mit der Erinnerung. "Jüdische Kultur aufrecht zu erhalten, als sie verboten war, Archive anzulegen, aufzuschreiben, was geschah, das war alles Teil des Widerstands. Es ging nicht darum zu überleben, sondern darum, anders zu sterben, nicht kampflos hingeschlachtet zu werden. Und Kinder wie ich, wenn es sie denn geben sollte, die sollten davon hören." Denn Widerstand kämpft nicht primär um die Macht, sondern gegen die Macht und um das Vermächtnis. So lautet eine der zentralen Aussagen Rabinovicis, der in Graz vor einigen Monaten auch eine Vortragsreihe zum Thema Widerstand gehalten hat, auf der sein neues Buch basiert.
"Wehret den Anfängen" ist da aus jeder Zeile heraus zu lesen. Oder, wie Erich Kästner einst gemeint hat: "Gegen 1933 konnte nicht 1933 revoltiert werden, sondern hätte schon 1928 revoltiert werden müssen. Die Lawine kann niemand mehr aufhalten, den Schneeball muss man niedertreten."