Potential und Gefahren
Masseninszenierungen
Sport als Massenphänomen - dieses Motiv interessiert nicht nur Theoretiker, sondern auch Künstler und Theatermacher. Nicht immer wurden Sport, Performance, theatrale Inszenierung und Kunst als getrennte Bereiche behandelt.
8. April 2017, 21:58
Pia Janke über die Arbeiterolympiade
Das Motiv "Sport als Massenphänomen" wird im Zuge von internationalen Sportgroßereignissen vom Kulturbetrieb vermehrt aufgegriffen. Kaum eine Kulturinstitution in Wien hat sich anlässlich der Austragung der Fußball-Europameisterschaft Euro 2008 dem Thema verschlossen - und umgekehrt gehört eine begleitende Kulturschiene für Fußball-Fans zum Rahmenprogramm, im Sinne der Erschließung eines neuen Zielpublikums für die Kultur.
Nicht immer wurden Sport, Performance, theatrale Inszenierung und Kunst als getrennte Bereiche behandelt.
Fest und Spiele
In der Zwischenkriegszeit erfreute sich das Festspiel großer Popularität. Die Literaturwissenschafterin Pia Janke hat sich mit der Entstehung und den Ausformungen der österreichischen Festspielkultur zwischen 1918 und 1938 beschäftigt. Diese Veranstaltungen der Zwischenkriegszeit waren offensiv auf Massen- und Öffentlichkeitswirkung aus, so Janke, und hatten einen politisch-ideologischen Hintergrund.
Alle wichtigen politischen Gruppierungen der Zeit inszenierten Massenfestspiele, in denen Sportübungen mit Musik und Theater verwoben wurden. "Sport allein hat es eigentlich gar nicht gegeben", so Janke. "Es ist immer darum gegangen, mit Turnen eine Gemeinschaft zu präsentieren. Sport wurde im Sinne eines Körperkultes eingesetzt, aber auch als paramilitärisches Präsentwerden."
Menschenmassen als Kunst
Sportgroßereignisse haben auch heute repräsentative Funktionen und sind zudem zu bedeutenden wirtschaftlichen Faktoren geworden.
Manche Veranstalter von zeitgenössischen Massenarrangements als Kulturevents bieten den Teilnehmern - außer der einmaligen Erfahrung dabei gewesen zu sein - materielle Anreize. 15 Euro bekam jeder, der sich am 24. Mai 2007 um 14:00 Uhr auf dem Campusgelände der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien einfand und dort rund zwei Stunden verweilte. Das Projekt "Film Ab!" des Architektenduos Nicole Six und Paul Petritsch fand als Kunst-am-Bau-Projekt im Auftrag der Bundesimmobiliengesellschaft statt. Gleich einer filmischen Massenszene, wurde der von Gebäudeteilen umgebene, begrünte Freiraum mit 5.000 Statisten bestückt. Was der inhaltliche Zweck ihres Ausharrens war und welche Botschaft vermittelt werden sollte, blieb vielen der 5.000 bezahlten Kunst-Statisten unklar.
Nackt unter vielen
Im Vorfeld der Euro 8 wurde der amerikanische Photograph Spencer Tunick von der Kunsthalle Wien eingeladen, Mitte Mai das Ernst-Happel-Stadion als Kulisse für seine Bilder zu nutzen. Tunick ist bekannt für seine Arrangements tausender Menschen, deren nackte Körper zu einer Massenskulptur verschmelzen. Das Inszenieren von Menschenmassen setzt voraus, dass das Kollektiv in seiner Gesamtheit behandelt wird.
Die Masse, hat Spencer Tunick erfahren, besitzt eine facettenreiche Persönlichkeit. "Die Masse kann sehr unzugänglich und kalt sein, oder gereizt - das merke ich auch wenn ich von der Entfernung Anweisungen für die Aufstellung gebe. Andererseits, wenn ich mich zwischen den Körpern bewege, spreche ich auch mit einzelnen, ich bedanke mich oder mache Scherze. Wenn ich dann Befehle brülle, halten mich die Leute für verrückt - dabei will ich nur auch in den hinteren Reihen gehört werden."
Hör-Tipp
Radiokolleg - Masseninszenierungen, Donnerstag, 12. Juni 2008, 9:30 Uhr
Links
Elfriede Jelinek-Forschungszentrum
theatercombinat
Kunsthalle Wien - Spencer Tunick
Film ab!
2008 - Österreich am Ball