Trends und Typen
Das Stadion
Es ist ein Ort massenhafter Konzentration von Aufmerksamkeit und Leidenschaft. Was einst Austragungsstätte für Wettkämpfe war, wird heute mehr und mehr Hightech-Zentrale, die weltweit über TV-Satelliten und das Internet aktiv ist - und massig Geld generiert.
8. April 2017, 21:58
Wenn der Sport, wie Architekt Rod Sheard behauptet, die neue globale Währung ist, dann sind die neuen Stadien und Arenen die Börsen, an denen die Ware Sport gehandelt wird.
Kein anderer Gebäude-Typus konzentriert größere mediale Aufmerksamkeit auf sich als das Stadion. Was früher Austragungsstätte für Wettkämpfe war, wird heute mehr und mehr Hightech-Zentrale, die weltweit über TV-Satelliten und das Internet aktiv ist - und massig Geld generiert.
Neue Trends
Der Australier Sheard zeichnet als einer der Köpfe von HOK Sports Architects, den weltführenden Stadionbauern, unter anderem für das neue Londoner Wembley Stadium (gemeinsam mit Norman Foster) verantwortlich. Sein Credo für die Zukunft: Die neue Stadiengeneration rückt von der Peripherie wieder in die Zentren der Städte. Stadien werden dank markanter Architektur zu Identifikationsorten im urbanen Einheitsbrei und können darniederliegende oder noch zu entwickelnde Stadtviertel aufmöbeln. Stadien, so sagt Sheard, könnten funktionierende Nachbarschafts-Bauwerke sein. Soziale Knotenpunkte, an sieben Tagen die Woche benutzbar: als Wohn- oder Freizeitort.
Sheard: "Sie können Stadien auch in ein bereits existierendes Verkehrsnetz einbinden. Früher kostete der Bau unglaubliche Summen Geld. Nicht die Gebäude selbst, aber das Rundherum: Bahnhöfe, Geleisanlagen und Straßen. Das muss nicht sein." Planen die HOK-Architekten ein Stadion, bezögen sie solche Überlegungen mit ein, erklärt er. Also die Frage, welche städtischen Infrastrukturen genutzt werden können.
Das Stadion der Zukunft ist ein multifunktionaler Hotel-, Shopping-, Gourmet- und Veranstaltungskomplex, sein wichtigstes Betriebsmittel bleiben aber der Sport und die Millionen Fans und Zuschauer. Mit der Allianz Arena in München hat man bereits erste Schritte in diese Richtung unternommen.
Wann ist jetzt?
Live, das bedeutet heute, vor dem Fernseher zu sitzen. Vor nicht langer Zeit noch hieß es, direkt dabei gewesen zu sein. Die Welt der Stadien und des Sports verändert sich rasant, und die nackten Betonarenen - wie das Maracana (1950) in Rio des Janeiro - sind Vergangenheit. Sie gehören, so Rod Sheard, der ersten, archaischen Generation von Stadien an. Einer Vergangenheit, in der schon mal bis zu 130.000 Menschen in eine Arena passten. Sheard: "Heute, ein Vierteljahrhundert später, steuern wir bereits auf die fünfte Stadien-Generation zu."
Rod Sheard ist einer der Kapitäne von HOK Sports Architects - ein Büro, das den Stadionbau wie Hochleistungssport betreibt, mit Zentralen in Kansas, London, Brisbane. 350 Mitarbeiter werken weltweit und das seit 28 Jahren. Bis dato haben die HOK-Architekten und Ingenieure rund 800 Projekte realisiert. Aktuell sind es an die 50 – weltweit. Darunter das neue Melbourne Cricket Ground-Stadion, das 100.000 Sitzplätze fasst und mehrere Stadien im boomenden China.
Sheard gilt als Spürnase für neue Trends in Sachen Sportstadien, und um Investoren, Clubs und Stadtregierungen die Sinnhaftigkeit des Archetyps Stadion verständlich zu machen. Der Sport so sagt er, "ist die neue globale Währung. Sieg bringt Gewinn, und kein anderer Gebäudetypus konzentriert mehr Aufmerksamkeit auf sich als das Stadion." Schon das Bauwerk ist ein Spektakel, ein Landmark oder Wahrzeichen, aber es muss auch funktionieren.
Fünf Stadien des Stadions
Die erste Stadiengeneration etablierte sich ab Ende des 19. Jahrhunderts und war nichts anderes als die große Auffangschüssel für möglichst viele Zuschauer. Das Fernsehen war noch nicht erfunden, der Sport finanzierte sich über den Ticketverkauf.
Als ab den 1950er-Jahren das Fernsehen in den Wohnzimmern Einzug hielt, gab es eigentlich immer weniger, die sich auf die kalten, zugigen Ränge begaben. Die Stadien mussten, wollten sie wieder Zuschauer anlocken, in ein Mindestmaß an Komfort investieren. Die zweite Generation zeichnete sich also durch vorher unbekannte Features wie gute Toilettenanlagen, Würstelstände und Bierbuden aus. Das erste dieser Art war das 1972 erbaute, netzüberspannte Olympiastadion in München.
Dann aber tauchte mit Disneyland eine neue, familienfreundliche Massenunternehmung auf, von der sich die Stadienbauer mit einiger Zeitverzögerung einiges abschauen konnten. Das Stadion schlug in den 1980er-, 90er-Jahren seinen Weg in Richtung Themenpark ein, wo nicht nur dem Sportevent gehuldigt, sondern Familienausflug veranstaltet werden konnte. Erforderlich dafür: bequeme Sitze, Überdachungen, Beleuchtung, Restaurants, Shops - und erhöhte Sicherheit.
Heute ist das Stadion zu einer Lupe geworden, die das Geschehen im modernen Hexenkessel einfängt und via TV-Satellit und Internet ohne Zeitverzögerung rund um den Globus auf Knopfdruck wieder ausspuckt. Das Stadion der vierten Generation ist ein hoch technologisiertes, enormes Fernseh- und Medienstudio, ein multifunktionales Gebäude mit Lounges, Restaurants, Veranstaltungshallen, VIP-Zonen. Ein 365 Tage pro Jahr bespieltes Sportkraftwerk, mit dem mächtig Geld produziert wird. Die Allianz Arena in München von Herzog & de Meuron ist der derzeitige Prototyp dafür.
Das Stadion der Zukunft jedoch, so Rod Sheard, wird die Arena wieder zurück in die Städte, zu den Menschen bringen. Live wird - auch - wieder vor Ort sein: "Das ist das Schlüsselkriterium. Sie müssen das Stadion im Idealfall bequem zu Fuß erreichen können. Wenn sie es nach ihrer Einkaufstour innerhalb von 10 bis 15 Minuten zu Fuß erreichen können, dann liegt es perfekt in der Stadt. Sonst funktioniert das nicht." Und: "Die Konkurrenz des Fernsehers muss aufgehoben werden."
Nehmen Sie Platz im Hightech-Stuhl
Der Trend geht also immer mehr dahin, Stadien zu verkabeln, um an jeden Sitz ein Signal senden zu können. Der Stadionsitz der Zukunft wird ein Hightech-Tool der Sonderklasse sein, mit TV-Schirm wie im Flugzeug, um Wiederholungen sehen und auch Wertungen abgeben zu können, via TED zu werten, zu shoppen - interaktiv. Die Steuerung am besten über LCD-Touch-Screens, auf denen dann Spielerporträts oder Regelwerk-Erklärungen erscheinen.
Unterschiedliche Kameraperspektiven des Live-Spiels, Höhepunkte und Wiederholungen werden angezeigt, historische und aktuelle Spielstatistiken, Fernseh- und Radio-Programme erreichbar sein - des Kommentars wegen. "Es wäre sogar denkbar", so Architekt Sheard, allen Spielern und selbst dem Ball Kamera-Sensoren zu verpassen, so dass die Zuschauer im Stadion die Perspektive für eine bestimmte Szene wählen können.
Die Stadien werden zudem zu den großen Landmarks, den Wahrzeichen der Städte werden. Den längsten Schritt dorthin hat man eben mit dem neuen Wembley-Stadion in London getan. Das fasst 90.000 Besucher und ist, wie der brasilianische Fußball-Heilige Pelé meinte, "die Kirche des Fußballs".
Rod Sheard: "Die tollsten Gebäude der Geschichte haben immer den herrschenden Zeitgeist reflektiert. Heute heißt dieser Zeitgeist Sport". Und das Stadion als Austragungsort desselben stünde gegenwärtig vor der vielleicht größten Metamorphose in seiner Geschichte.
Hör-Tipps
Diagonal, Samstag, 21. Juni 2008, 17:05 Uhr
Mehr dazu in oe1.ORF.at
Patina, Sonntag, 22. Juni 2008, 9:05 Uhr
Mehr dazu in oe1.ORF.at
matrix, Sonntag, 29. Juni, 22:30 Uhr
Mehr dazu in oe1.ORF.at