Die Wiederentdeckung des Robinson Jeffers

Die Zeit, die da kommt

Der 1962 verstorbene Robinson Jeffers zählt zu Unrecht noch immer zu den großen Unbekannten der amerikanischen Lyrik. Für den deutschsprachigen Raum trägt dafür ein schnelles Urteil von Gottfried Benn Verantwortung, das nun spät, aber doch revidiert werden soll.

Die Natur ist, so lernen wir von dem amerikanischen Lyriker Robinson Jeffers - eine Tragödin. "Die Küste ruft", heißt es in einer seiner großen Verserzählungen "Apologie für böse Träume", sie ruft "nach dem tragischen Geschehen wie alle schönen Stätten".

Ein Leben auf Granit
Robinson Jeffers kam 1887 in Pittsburgh, Pennsylvania zur Welt und starb 1962 in Carmel, Kalifornien. Er ist zu Unrecht noch immer der große Unbekannte der amerikanischen Lyrik. Obwohl er seit 1925 mit Dramen und über 21 Gedichtbänden hervorgetreten ist, die teilweise in Amerika enorme Verkaufszahlen erreichten, ist er selbst dort nur Wenigen bekannt. Das liegt vor allem an seiner exzessiven poetischen, aber auch in seiner Biographie verankerten Radikalität und der Kritik an seinem Land, die man ihm nicht nur seitens der Politik, sondern auch seitens seiner Kollegen übelnahm und schwerlich wieder verzeihen wollte. "Es ist besser auf Granit gebettet zu sein/ als auf Illusionen", heißt es einmal bei ihm und dieser Satz könnte als Motto für sein Leben und Werk gelten.

Glückliche Paarung
Die Essayistin, Übersetzerin und Publizistin Eva Hesse hat den vorliegenden Band zusammengestellt, übersetzt und mit einem für den heutigen Leser bemerkenswerten und unverzichtbaren Essay versehen. Außer Eva Hesse, deren Spezialgebiet die amerikanische Lyrik des 20. Jahrhunderts ist, hat sich in den letzten Jahren noch der Lyriker und Übersetzer Jürgen Brocan mit dem Werk von Jefferson beschäftigt; nun ist ihm aber Eva Hesse mit einer repräsentativen und sensibeln, manchmal überhitzten, manchmal angenehm kühn übersetzen Gedichtauswahl zuvorgekommen.

Glücklicherweise hat der Hanser Verlag sich zur Veröffentlichung dieses Buches entschieden und somit endlich auch den lästigen alten Bann gebrochen, den Gottfried Benn ungerechterweise über den Dichter gelegt hatte. Ausgerechnet Jeffers, der keiner Mode, sondern immer nur seinem inneren Gewissen gefolgt war, fiel Benn zum Opfer. Im Übrigen war Jeffers nicht nur für seine Unbestechlichkeit als Schreibender bekannt, sondern ebenso für sein gleichermaßen unkorrumpierbares Sensorium angesichts der latenten und offensichtlichen Bedrohungen des Lebens - wie etwa die von ihm pionierhaft erkannte, noch immer aktuelle Naturzerstörung, den Fortschrittsglauben oder etwa die Technikanbetung.

Benns Verdikt
Dass Jeffers als einziger großer amerikanischer Dichter des Zwanzigsten Jahrhunderts, wie es im Essay heißt, sehr lange Zeit hierzulande unübersetzt und unbekannt blieb, lag gewiss an jenem Brief, den Gottfried Benn einem deutschen Verleger schrieb und in dem er sagt: "Lieber Herr N., ich habe diese Jeffers-Sache angesehen. Mein erster Eindruck ist kein positiver. Zu moralisierend, zu politisch-pazifistisch, zu pastoral… es steht ein langweiliger Mensch hinter dem Ganzen."

Heute kann man nur über einen solchen Ausspruch und über Benns Arroganz staunen, denn selten hat sich jemand wie hier Benn derart von seinen eigenen Animositäten verleiten und somit auch täuschen lassen, in dem er dieses gnadenloses Verdikt aussprach. Dass ihm hinzu die pazifistische Idee in Jeffers’ Werk nicht sympathisch war, hätte im Nachkriegsdeutschland aufhorchen lassen müssen, zumal Benn bekanntermaßen in den Jahren 1933 und 1934 Partei für die Nationalsozialisten ergriffen hatte. Ein Zufall ist es sicher nicht, dass sein Verdammungsurteil in jener BRD erhört wurde. Dabei wäre Jeffers, der in seiner Dichtung ein unbestechlicher Zeitzeuge war, gerade damals sogar so etwas wie ein Vorzeigedemokrat gewesen.

Sich der Sprache aussetzen
Was Jefferson jedoch ausmacht, ist nicht das, es ist sein Sprachdynamit, sein unmittelbares Verhältnis zum Leben und seine Übersetzung in Sprache. Er ist ein knallharter Erwecker, wie es ihn heutzutage überhaupt nicht mehr gibt - er setzt sich aus und wird von der Sprache ausgesetzt, ein Poet, der sich selbst zum Findelkind macht und durch das Feuergehege seines eigenen Selbst durchschlagen lässt. Dabei legt Jeffers ein dramatisches Zeugnis davon ab, was Dichtung alles vermag, was eine wirkliche Stimme ist und an welchen scheinbar verdorrten Wurzeln sie doch spracherweckerisch wird. Deshalb wird bei ihm auch die Menschheit nicht etwa besungen, sondern mit einem "Mörser" "gemahlen", bis sich alle Orientierungen verlieren und nur noch der Schwindel selbst Orientierung und Ziel ist.

Die Aufgabe von Dichtung sei es, hat Jeffers einmal geschrieben, auf einmal eine ganze Welt einzubegreifen, "die physische und die sinnliche, die intellektuelle, die geistige, die phantastische, alle in einer leidenschaftlichen Verquickung." Dann werde Dichtung zu einem Medium der Entdeckung, während sie zugleich ein Medium des Ausdrucks sei. Anders als es die Wissenschaft mache, die die Dinge zersetzt, versucht Poesie alles zusammenzuführen. "Schöpfung" ist dafür Jeffersons Wort. Das Neue, das eine Schöpfung seit jeher ausgemacht hat, ist das, was dabei entsteht, sich zeigt und verbirgt und von dem auch der Autor selbst erst dann erfährt, wenn es entstanden ist.

Konsequenter Außenseiter
Robinson Jeffers ist konsequent seiner inneren Stimme gefolgt und hat in seiner Dichtung wie in seinem Leben den Ausstieg aus den allzu bekannten Formen gewählt. Das hat ihm weder in seiner Arbeit noch in seinem privaten Dasein eine leichte Position verschafft, aber genau das hat er in aller Konsequenz zu vermeiden gesucht. Das Universum hat er als ein Lebewesen verstanden, in dem der Mensch nur Teil einer "kleinen Musik" ist; nichts weiter als ein fließendes Vehikel, der zu neuen Formen des Bewusstseins unterwegs ist. Ausgerechnet das hat ihm den Ruf des Menschenhassers eingebracht. Seine Idee des "Inhumanismus" ist falsch verstanden worden, richtiger wäre es zu sagen, die Abwehr war zu groß.

Schreiben für eine größere Welt
Hätte man sich auf diesen Blickwinkel eingelassen, so wäre der Gedanke naheliegend gewesen, dass der Mensch keineswegs etwas Besonderes ist. Denn trotz der Rolle des "Humanen", die er sich selbst zugeteilt hat, führt er bis heute noch Kriege und bleibt unbelehrbarer als jede noch so kleine Ameise. Jeffers’ Welt ist eine Welt des Plural. Er selbst hat das einmal auf den Punkt gebracht, als er schrieb, man schreibe nicht in dieser Welt, sondern in einer größeren.

Diese größere Welt hat er mit seiner Sprache betreten, vielleicht nur deshalb, weil er größenwahnsinnig und bescheiden in einem gewesen ist, beides hat ihm gezeigt, dass es nur die Verwandlung gibt, dass die Dinge, genauso wie das von ihm in Carmel eigenhändig erbaute Haus, zwar fortbestehen, aber nur "unter anderem Namen". Jeffers war mutig genug, sich namenlos und nackt zu machen.

Wenigstens jetzt, bald fünfzig Jahre nach seinem Tod, sollte man ihn dafür würdigen, also endlich lesen. "..das einzige Maß/ Für die Traumzeit war der Träumer", schrieb er in seinem Gedicht "Traum nach dem Tod". Seine Traumzeit und der Träumer haben sich in seinen Büchern erhalten. Einen Eindruck davon kann in ersten Schritten dieses sorgfältig zusammengestellte, für Lyrikleser unabdingbare Buch geben.

Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr

Buch-Tipp
Robinson Jeffers, "Die Zeit, die da kommt. Ausgewählte Gedichte", Übersetzt und mit einem Essay von Eva Hesse, Zweisprachige Ausgabe, Hanser Verlag

Link
Hanser Verlag - Die Zeit, die da kommt