Bill Bufords Tagebuch eines Ausstiegs

Hitze

Für den Fußball hat der Ex-Verleger und Publizist Bill Buford schon einmal den Job aufgegeben. Das Ergbenis war ein Buch: "Geil auf Gewalt". Jetzt, im Alter von 50 Jahren, hat er noch einmal von vorne begonnen und das Wort mit dem Kochlöffel getauscht.

"Es war ein langes, hartes, mein Selbstvertrauen erschütterndes, von Grund auf erniedrigendes Erlebnis", weiht der Autor seine Leser gleich auf den ersten Seiten ein. Denn Kochen, so wie Buford es lernte, bei Sterneköchen in Amerika und Italien ist kein Zuckerschlecken. Wobei Buford wahrscheinlich auch nur in seltenen Augenblicken der Typ dafür ist, fürs Zuckerschlecken. Was er suchte, war Leidenschaft, Perfektion, Neuland. Und das mit 50.

Radikaler Abschied
Seine in jahrzehntelanger Arbeit aufgebaute Karriere als einer der führenden Literaturermöglicher, erst in England beim Granta-Magazin, dann in Amerika beim New Yorker, schmiss er hin und startete neu bei Null. Wahrscheinlich war da mindestens die Aussicht auf einen Buchvertrag im Hintergrund und der New Yorker hieß ihn als Food-Reporter willkommen, aber trotzdem: Buford ging das Risiko ein und änderte sein Leben fundamental.

Der Grill war die Hölle
An konkreten Alltäglichkeiten verdeutlicht hieß das: in engen, heißen, gekachelten Räumen 14 Stunden lang stehen und säckeweise Karotten würfeln, 160 Lammzungen hintereinanderweg häuten, am offenen Feuer unzählige Fische grillen, Steaks, Entenbrüste - im Akkord, und alles unter Beobachtung eifersüchtiger Kollegen. "Der Grill war die Hölle.", fasst Buford zusammen. Aber wir ahnen es da bereits: Buford verabscheut die Hölle nicht gänzlich. Hitze oder die Hetze - wirklich schlimm war für Amateur Buford das Gefühl, vor den Anderen zu versagen:

Die Küche fördert Gefühle wie bei Waffenkameraden - die Stunden, der Druck, die Notwendigkeit, zusammenzuarbeiten - , und diese gezielte öffentliche Schelte, dieser Spektakel "Schaut ihn euch an, er hat Scheiße gebaut" war allen unangenehm: irgendwie traf es mitten ins Herz dessen, was es bedeutete, ein Mitglied zu sein.

Und am Anfang war Buford kein Mitglied. Im Gegenteil, er wurde er geschubst, verlacht, gemieden, angepöbelt. Er war die "kitchen-bitch". Eine weltweit renommierte Autorität in Sachen Literatur - in den schwitzigen Küchen irgendwelcher New Yorker Edelrestaurants galt er nichts. Die Schilderungen seiner Demütigungen und der anschließenden Selbstzerfleischungen füllen ein Drittel des Buches. Herzerweichend zu lesen, amüsant und sympathisch.

Aber Buford ist ein Kämpfer. Es war von vornherein abzusehen, dass er nicht lange der Looser in der Küche blieb. Mit Biss, Charme und schier unerschöpflichem Ehrgeiz erarbeitete er sich seinen Platz als Postenkoch bei Mario Batali, erste Adresse für fine dining in New York. Heute sagt er rückblickend: "Ich fand heraus, dass es mir Spaß macht. Denn: Man kann zwar lesen, wie man ein Tier zerlegt. Aber hinterher wird man immer noch keine Ahnung davon haben. Solche Bücher sind nutzlos. Man lernt diese Dinge, die man mit den Händen macht, indem man Leuten zusieht, wie sie sie mit den Händen machen. Und dann imitiert man ihre Bewegungen. Das ist eine sehr physische, handwerklich befriedigende Tätigkeit. Ich mag den ganzen Wort-kram immer noch. Und meine Freunde sind immer noch hauptsächlich Schriftsteller. Und ich könnte auch nicht leben ohne zu schreiben, aber es war für mich eine Befreiung zu lernen, wie man etwas mit den Händen macht. Speziell Essen mit meinen Händen zu machen. Und am Ende ist da der Gedanke: Was ich hier mache, das geht in jemanden hinein. Er wird es zu sich nehmen, kauen, schlucken.

Mit Haut und Haaren
Bill Buford ist einer, für den Leben und Schreiben etwas opernhaft Dramatisches haben. Die große Geste, die (fast) tödliche Leidenschaft, Qual und Lust liegen eng beieinander. Er ist einer der seltenen Reporter, der sich eines Themas mit Haut und Haaren annimmt, dem kaum ein Einsatz zu hoch ist, wenn er erst einmal Blut geleckt hat. Er hat Neugier und die Bereitschaft, sich ein Thema - und das muss hier so stehen - sich ein Thema komplett einzuverleiben.

Also bot er sich an als Küchensklave: zuerst ein Jahr lang in der Hochleistungsküche Mario Batalis in New York, dann sozusagen zum Grundstudium bei dem Metzger Dario in der Toscana und bei Pastaköchin Betta in Poretta.

Bill Buford war Ende der achtziger Jahre schon einmal aus dem Literaturbetrieb ausgestiegen und hatte ein Jahr unter englischen Hooligans gelebt. Damals hatte er das Buch "Geil auf Gewalt" geschrieben. Darin schildert er, wie er Gewalt in der Masse erlebte: als Kick. Und wie er vom Fußballbegeisterten zum Fantier mutierte. Gefragt, welche Verbindung zwischen seinen beiden Büchern über Hooligans und übers Kochen bestehe, antwortet Buford: "Sie meinen, außer dass sie von Männern handeln, die sich auf engstem Raum extrem schlecht benehmen. Und die sich so organisieren, dass Andere nicht dazukommen dürfen, außer sie werden Mitglied, was bedeutet, einem Initiationsritus unterzogen zu werden, der sehr sehr weh tut. Nein sonst gibt es keine Gemeinsamkeiten. Beide Adrenalin-Junkies. Aber sonst, keine Gemeinsamkeiten."

Ein Mann der Konkurrenz
Bill Buford ist ein Mann, der den Wettstreit mit anderen Männern sucht, begeistert vom Typ He-Man - schreibt ein gewisser Tim Adams, der in den achtziger Jahren unter Bufords tyrannischer Führung beim britischen Literaturmagazin Granta lernte.

In dem gleichen Observer-Artikel prognostiziert Adams dem mit fünf Jahren durch Scheidung vaterlos gewordenen Buford, dass er sicher demnächst mit einem weiteren Buch-Beweis seiner Überlegenheit hervortreten werde. Dieses Mal würde er dann den Vater, einen ehemaligen Raketeningenieur, direkt angehen, wahrscheinlich mit der Biographie: Eine kurze Geschichte der kalifornischen Weltraumindustrie und der Beitrag meines Vaters zu ihrem Niedergang. Aber da täuscht Adams sich. Buford hat noch nicht genug vom Essen.

Neues Praktikum wartet
Als nächstes will er die französische Küche aufrollen, wieder beginnend mit einem Küchenpraktikum bei einem Franzosen in Amerika, dem Washingtoner Sternekoch Michel Richard.

Richard muss wegen anschließender Buchveröffentlichungen keine Angst haben, Bufords Küchenthriller "Hitze" zeigt, er weiß die Balance zu halten, zwischen dem, was - aus seiner nicht nur aberwitzig umfangreichen, sondern auch teilweise sehr skandalträchtigen Materialsammlung - er veröffentlichen und was er zum Schutz seiner Informanten und Freunde lieber für sich behielt. Bill Buford: "Fakt ist, dass ich eine ganze Menge Material nicht für mein Buch benutzt habe. Trotzdem bin ich ganz schön weit gegangen. Bis an die Grenzen. An einigen Stellen vielleicht sogar ein wenig darüber hinaus. Aber ich habe nicht alles geschrieben. In diesen städtischen, kleinen, angesagten Restaurant in Amerika arbeiten die Köche unter einem unbeschreiblichen Druck. Einige hassen das. Andere tolerieren das für eine gewisse Zeit. Und einige lieben es. Sie blühen da erst richtig auf. Man kann beobachten, wie sie sich warm laufen, bevor die Gäste kommen. Wie sie langsam Gas geben und dann schießt das Adrenalin ein. Und bleibt für Stunden. Sie sind Adrenalin-Junkies. Nicht alle Sterneköche sind so, aber fast alle sind durch eine solche Phase gegangen. Und einige mögen es, denen geht’s am besten, wenn es richtig aufregend wird."

Was nervt
Dieses Buch nervt an den Stellen, die vor Eitelkeit, Selbstbeweihräucherung und Angeberei förmlich schillern. Meist sind es Episoden mit Klatsch und Tratsch aus führenden New Yorker Restaurants, inklusive des Lebenswegs von Spitzengastronom Mario Batali, den Buford in hellen Momenten einen "testosterongesteuerten Aufschneider" nennt. Wir lernen Batalis Saufgewohnheiten kennen, seine Anmachtouren, die Schwankungen, denen sein Geschäftsleben unterworfen war und seine TV-Karriere als "Molto Mario". En detail, wie das bei Buford üblich ist. Alles, so scheints, um uns zu beweisen: Der Autor ist mitten drin und dabei. Er darf mitspielen, die großen Jungs lassen ihn. Das jedoch hätten wir ihm auch ohne die ermüdende Kette von Insider-Anekdoten geglaubt. Aber Buford kann auch anders.

Was gefällt
Dieses Buch ist nahrhaft, in jeder Hinsicht. Es bildet, unterhält und regt den Appetit an. Umgeben von Geschichten über handgemachte Pasta, karamelisierte Polenta, und zarten Pepposo Notturno, entsteigt der Leser seinem Sessel wie in Trance und geht erst mal einen Hefeteig anrühren. Animiert durch Bill Bufords Küchenabenteuer kauft er anderntags auch extra zart gemaserte Steaks und brät die langsam und erstmals ... in Butter. Bufords Buch "Hitze" hat an die 400 Seiten. Die Lektüre muss unbedingt immer wieder durch praktische Erprobung des eben Gelesenen ergänzt und veredelt werden. Warum nicht zum Beispiel mit "Pepposo Notturno", einer langsam gegarten Rinderhaxe.

Außer dem Rindfleisch hat das Gericht vier Zutaten - Pfeffer, Knoblauch, Salz und eine Flasche Chianti. Alles in einen Topf geben, in den 100 ° heißen Backofen stellen bevor man zu Bett geht, und wieder herausnehmen, wenn man aufsteht.

Hitze ist ein Buch übers Lernen, "die wundersame Pädagogik gnadenloser Wiederholung", wie Buford schreibt und ein Buch über den Verlust. Den Verlust so elementarer menschlicher Gebräuche wie des Kochens.

Der Maestro wird sterben. Dario wird sterben. Ich werde sterben. Die Erinnerung wird sterben. Von Hand gemachtes Essen ist ein Akt des Trotzes und widerspricht allem, was unsere Modernität ausmacht. Finden Sie es, essen Sie es; es wird bald verschwinden. Es hat Jahrtausende überdauert. Jetzt ist es flüchtig wie eine Jahreszeit.

"Es war ein langes, hartes, mein Selbstvertrauen erschütterndes, von Grund auf erniedrigendes Erlebnis", weiht der Autor seine Leser gleich auf den ersten Seiten ein. Denn Kochen, so wie Buford es lernte, bei Sterneköchen in Amerika und Italien ist kein Zuckerschlecken. Wobei Buford wahrscheinlich auch nur in seltenen Augenblicken der Typ dafür ist, fürs Zuckerschlecken. Was er suchte, war Leidenschaft, Perfektion, Neuland. Und das mit 50.

Radikaler Abschied
Seine in jahrzehntelanger Arbeit aufgebaute Karriere als einer der führenden Literaturermöglicher, erst in England beim Granta-Magazin, dann in Amerika beim New Yorker, schmiss er hin und startete neu bei Null. Wahrscheinlich war da mindestens die Aussicht auf einen Buchvertrag im Hintergrund und der New Yorker hieß ihn als Food-Reporter willkommen, aber trotzdem: Buford ging das Risiko ein und änderte sein Leben fundamental.

Der Grill war die Hölle
An konkreten Alltäglichkeiten verdeutlicht hieß das: in engen, heißen, gekachelten Räumen 14 Stunden lang stehen und säckeweise Karotten würfeln, 160 Lammzungen hintereinanderweg häuten, am offenen Feuer unzählige Fische grillen, Steaks, Entenbrüste - im Akkord, und alles unter Beobachtung eifersüchtiger Kollegen. "Der Grill war die Hölle.", fasst Buford zusammen. Aber wir ahnen es da bereits: Buford verabscheut die Hölle nicht gänzlich. Hitze oder die Hetze - wirklich schlimm war für Amateur Buford das Gefühl, vor den Anderen zu versagen:

Die Küche fördert Gefühle wie bei Waffenkameraden - die Stunden, der Druck, die Notwendigkeit, zusammenzuarbeiten - , und diese gezielte öffentliche Schelte, dieser Spektakel "Schaut ihn euch an, er hat Scheiße gebaut" war allen unangenehm: irgendwie traf es mitten ins Herz dessen, was es bedeutete, ein Mitglied zu sein.

Und am Anfang war Buford kein Mitglied. Im Gegenteil, er wurde er geschubst, verlacht, gemieden, angepöbelt. Er war die "kitchen-bitch". Eine weltweit renommierte Autorität in Sachen Literatur - in den schwitzigen Küchen irgendwelcher New Yorker Edelrestaurants galt er nichts. Die Schilderungen seiner Demütigungen und der anschließenden Selbstzerfleischungen füllen ein Drittel des Buches. Herzerweichend zu lesen, amüsant und sympathisch.

Aber Buford ist ein Kämpfer. Es war von vornherein abzusehen, dass er nicht lange der Looser in der Küche blieb. Mit Biss, Charme und schier unerschöpflichem Ehrgeiz erarbeitete er sich seinen Platz als Postenkoch bei Mario Batali, erste Adresse für fine dining in New York. Heute sagt er rückblickend: "Ich fand heraus, dass es mir Spaß macht. Denn: Man kann zwar lesen, wie man ein Tier zerlegt. Aber hinterher wird man immer noch keine Ahnung davon haben. Solche Bücher sind nutzlos. Man lernt diese Dinge, die man mit den Händen macht, indem man Leuten zusieht, wie sie sie mit den Händen machen. Und dann imitiert man ihre Bewegungen. Das ist eine sehr physische, handwerklich befriedigende Tätigkeit. Ich mag den ganzen Wort-kram immer noch. Und meine Freunde sind immer noch hauptsächlich Schriftsteller. Und ich könnte auch nicht leben ohne zu schreiben, aber es war für mich eine Befreiung zu lernen, wie man etwas mit den Händen macht. Speziell Essen mit meinen Händen zu machen. Und am Ende ist da der Gedanke: Was ich hier mache, das geht in jemanden hinein. Er wird es zu sich nehmen, kauen, schlucken.

Mit Haut und Haaren
Bill Buford ist einer, für den Leben und Schreiben etwas opernhaft Dramatisches haben. Die große Geste, die (fast) tödliche Leidenschaft, Qual und Lust liegen eng beieinander. Er ist einer der seltenen Reporter, der sich eines Themas mit Haut und Haaren annimmt, dem kaum ein Einsatz zu hoch ist, wenn er erst einmal Blut geleckt hat. Er hat Neugier und die Bereitschaft, sich ein Thema - und das muss hier so stehen - sich ein Thema komplett einzuverleiben.

Also bot er sich an als Küchensklave: zuerst ein Jahr lang in der Hochleistungsküche Mario Batalis in New York, dann sozusagen zum Grundstudium bei dem Metzger Dario in der Toscana und bei Pastaköchin Betta in Poretta.

Bill Buford war Ende der achtziger Jahre schon einmal aus dem Literaturbetrieb ausgestiegen und hatte ein Jahr unter englischen Hooligans gelebt. Damals hatte er das Buch "Geil auf Gewalt" geschrieben. Darin schildert er, wie er Gewalt in der Masse erlebte: als Kick. Und wie er vom Fußballbegeisterten zum Fantier mutierte. Gefragt, welche Verbindung zwischen seinen beiden Büchern über Hooligans und übers Kochen bestehe, antwortet Buford: "Sie meinen, außer dass sie von Männern handeln, die sich auf engstem Raum extrem schlecht benehmen. Und die sich so organisieren, dass Andere nicht dazukommen dürfen, außer sie werden Mitglied, was bedeutet, einem Initiationsritus unterzogen zu werden, der sehr sehr weh tut. Nein sonst gibt es keine Gemeinsamkeiten. Beide Adrenalin-Junkies. Aber sonst, keine Gemeinsamkeiten."

Ein Mann der Konkurrenz
Bill Buford ist ein Mann, der den Wettstreit mit anderen Männern sucht, begeistert vom Typ He-Man - schreibt ein gewisser Tim Adams, der in den achtziger Jahren unter Bufords tyrannischer Führung beim britischen Literaturmagazin Granta lernte.

In dem gleichen Observer-Artikel prognostiziert Adams dem mit fünf Jahren durch Scheidung vaterlos gewordenen Buford, dass er sicher demnächst mit einem weiteren Buch-Beweis seiner Überlegenheit hervortreten werde. Dieses Mal würde er dann den Vater, einen ehemaligen Raketeningenieur, direkt angehen, wahrscheinlich mit der Biographie: Eine kurze Geschichte der kalifornischen Weltraumindustrie und der Beitrag meines Vaters zu ihrem Niedergang. Aber da täuscht Adams sich. Buford hat noch nicht genug vom Essen.

Neues Praktikum wartet
Als nächstes will er die französische Küche aufrollen, wieder beginnend mit einem Küchenpraktikum bei einem Franzosen in Amerika, dem Washingtoner Sternekoch Michel Richard.

Richard muss wegen anschließender Buchveröffentlichungen keine Angst haben, Bufords Küchenthriller "Hitze" zeigt, er weiß die Balance zu halten, zwischen dem, was - aus seiner nicht nur aberwitzig umfangreichen, sondern auch teilweise sehr skandalträchtigen Materialsammlung - er veröffentlichen und was er zum Schutz seiner Informanten und Freunde lieber für sich behielt. Bill Buford: "Fakt ist, dass ich eine ganze Menge Material nicht für mein Buch benutzt habe. Trotzdem bin ich ganz schön weit gegangen. Bis an die Grenzen. An einigen Stellen vielleicht sogar ein wenig darüber hinaus. Aber ich habe nicht alles geschrieben. In diesen städtischen, kleinen, angesagten Restaurant in Amerika arbeiten die Köche unter einem unbeschreiblichen Druck. Einige hassen das. Andere tolerieren das für eine gewisse Zeit. Und einige lieben es. Sie blühen da erst richtig auf. Man kann beobachten, wie sie sich warm laufen, bevor die Gäste kommen. Wie sie langsam Gas geben und dann schießt das Adrenalin ein. Und bleibt für Stunden. Sie sind Adrenalin-Junkies. Nicht alle Sterneköche sind so, aber fast alle sind durch eine solche Phase gegangen. Und einige mögen es, denen geht’s am besten, wenn es richtig aufregend wird."

Was nervt
Dieses Buch nervt an den Stellen, die vor Eitelkeit, Selbstbeweihräucherung und Angeberei förmlich schillern. Meist sind es Episoden mit Klatsch und Tratsch aus führenden New Yorker Restaurants, inklusive des Lebenswegs von Spitzengastronom Mario Batali, den Buford in hellen Momenten einen "testosterongesteuerten Aufschneider" nennt. Wir lernen Batalis Saufgewohnheiten kennen, seine Anmachtouren, die Schwankungen, denen sein Geschäftsleben unterworfen war und seine TV-Karriere als "Molto Mario". En detail, wie das bei Buford üblich ist. Alles, so scheints, um uns zu beweisen: Der Autor ist mitten drin und dabei. Er darf mitspielen, die großen Jungs lassen ihn. Das jedoch hätten wir ihm auch ohne die ermüdende Kette von Insider-Anekdoten geglaubt. Aber Buford kann auch anders.

Was gefällt
Dieses Buch ist nahrhaft, in jeder Hinsicht. Es bildet, unterhält und regt den Appetit an. Umgeben von Geschichten über handgemachte Pasta, karamelisierte Polenta, und zarten Pepposo Notturno, entsteigt der Leser seinem Sessel wie in Trance und geht erst mal einen Hefeteig anrühren. Animiert durch Bill Bufords Küchenabenteuer kauft er anderntags auch extra zart gemaserte Steaks und brät die langsam und erstmals ... in Butter. Bufords Buch "Hitze" hat an die 400 Seiten. Die Lektüre muss unbedingt immer wieder durch praktische Erprobung des eben Gelesenen ergänzt und veredelt werden. Warum nicht zum Beispiel mit "Pepposo Notturno", einer langsam gegarten Rinderhaxe.

Außer dem Rindfleisch hat das Gericht vier Zutaten - Pfeffer, Knoblauch, Salz und eine Flasche Chianti. Alles in einen Topf geben, in den 100 ° heißen Backofen stellen bevor man zu Bett geht, und wieder herausnehmen, wenn man aufsteht.

Hitze ist ein Buch übers Lernen, "die wundersame Pädagogik gnadenloser Wiederholung", wie Buford schreibt und ein Buch über den Verlust. Den Verlust so elementarer menschlicher Gebräuche wie des Kochens.

Der Maestro wird sterben. Dario wird sterben. Ich werde sterben. Die Erinnerung wird sterben. Von Hand gemachtes Essen ist ein Akt des Trotzes und widerspricht allem, was unsere Modernität ausmacht. Finden Sie es, essen Sie es; es wird bald verschwinden. Es hat Jahrtausende überdauert. Jetzt ist es flüchtig wie eine Jahreszeit.

Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr

Buch-Tipp
Bill Buford, "Hitze. Abenteuer eines Amateurs als Küchensklave, Sous-Chef, Pastamacher und Metzgerlehrling", aus dem Amerikanischen von Dinka Mrkowatschki, Carl Hanser Verlag

Link
Hanser - Hitze