Kein "Shit" mehr?

Die "Feral Tribune" gibt auf

Eines der wichtigsten und umstrittensten Medien in Süd-Osteuropa, die "Feral Tribune" aus Kroatien, kündigte ihre letzte Nummer an. Nicht das schon seit langem vorhersehbare Ende, sondern die Art und Weise des Abschieds gibt zu denken.

Ganz schlicht beendet einer der wichtigsten medialen Spieler aus Süd-Osteuropa, die "Feral Tribune" aus Split in Kroatien, seine Tätigkeit: "Nach mehr als fünfzehn Jahren regelmäßiger Auflagen haben halten Sie jetzt die letzte Nummer unserer Wochenzeitung in Händen."

Die "Feral Tribune" sollte, gemessen an Medienpreisen, Ehrungen und internationalen Anerkennungen, eine der hoch angesehenen Erscheinungen der Weltmedien sein. Zwischen 1992 und 1998 hat "Feral", wie man sie mit Kosenamen nannte, unter anderem, den Preis "für das beste politisch-satirische Blatt der Welt" bekommen, die "Goldene Feder für die Freiheit der Presse" von der "World Association of Newspapers", den "Internationalen Preis für die Freiheit der Presse" von der International Press Directory und, und, und…

Shit of the week

Unter diesem Titel sammelten in der Rubrik "Greatest Shits" die Redakteure von "Feral" alle Angeber der jeweiligen Woche. Kein Mensch, unabhängig welche Position er ausgeübt hat, wurde vor der Aufnahme in diese Liste verschont. Unter den wachsamen Augen und Ohren der "Feral"-Redakteure konnte niemand unbeachtet bleiben. Selbst der damalige Präsident Tudjman war ein regelmäßiger Gast dieser Rubrik. Für seine Aussage "Ich werde in der Geschichte neben Franco als der Retter der westlichen Zivilisation gelten" im Jahr 1998 wurde er sogar mit dem Ehrenpreis "Shit of the year" bdedacht.

Das Blatt selbst "Wochenzeitung der kroatischen Anarchisten, Protestanten und Häretikern" sein. Trotzdem erscheint die Wochenzeitung jedem Samstag – bis zu dieser Woche.

Die kritische Zeit
"Feral" hat seine Blütezeit in der ersten Hälfte der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts erlebt. In den schwierigen Zeiten des Krieges - große Teile des Landes waren okkupiert - fällt es immer sehr schwer, falsche Züge der eigenen Seite zu analysieren und auf die eigenen Fehler hinzuweisen. Dass in vielen Fällen Journalisten von "Feral" mit ihren Andeutungen im Recht waren, zeigen heute jedem Bürger in Kroatien bekannte Skandale, die von Zeit zu Zeit das tägliche Leben der Kroaten erschüttern. Die meisten von diesen jetzigen Entdeckungen waren schon in ihrer Entstehungszeit von Journalisten von "Feral" bearbeitet und veröffentlich worden.

Das hatte seinen Preis. Die Journalisten wurden attackiert und mit allen möglichen, in damaliger Zeit sogar lebensbedrohlichen Etiketten, wie zum Beispiel "Jugo-Nostalgiker", was in dieser Zeit Vaterlandsverräter bedeutete, versehen. Tabakläden und Zeitungskiosken weigerten sich die "Feral"-Exemplare zu verkaufen und die Reklame von wirtschaftlichen Firmen fiel komplett aus. Wegen "seelischen Schmerzen" der Betroffenen wurden Prozesse um millionenhohe Summen geführt, von denen einige für die Zeitung verloren gingen.

Warum jetzt?
Es stellt sich die Frage, warum "Feral" gerade aufgeben musste? Gibt es keine "Shits" mehr, oder ist in der Zeit des Friedens alles transparent geworden und damit ist die Funktion des kritischen Korrektivs entbehrlich geworden? Viele Medienanalytiker sehen einen allgemeinen Prozess der Kommerzialisierung der Medienszene in den sogenannten reformkommunistischen Staaten. Dieser Prozess lehnt, ihrer Meinung nach, die Zuwendung der Bürger von den wirklichen Problemen des Landes in die Welt der Events und des Konsums ab.

Sehr oft sieht man die Schuldigen bei den internationalen Medienkonzernen, die die wichtigsten Zeitungen und Zeitschriften aufgekauft haben. Dabei vergisst man eine sehr einfache Frage: Warum sollten die renommierten Medienverleger, wie Styria oder WAZ, die im Raum von Süd-Osteuropa tätig sind und die in ihren "Mutterländern" keinen schlechten Ruf haben, für den "Verfall" der Medienqualität im "gekauften" Medienraum Schuld tragen?

Der stille Abgang
Eine ausführlichere Analyse könnte vielleicht die treffenden Antworten näher bringen. Was aber völlig überrascht, ist die Art und Weise wie das Ende der "Feral Tribune" von der Öffentlichkeit aufgenommen wurde. In Kroatien zerbricht sich darüber kaum jemand den Kopf. Die anderen Medien haben diese Ende entweder übergangen oder im besten Fall einer kurzen Meldung für würdig befunden.

Es fehlten die Petitionen oder sogar Demonstrationen der Unterstützung. Die "Feral Tribune" ist einfach in aller Stille verschwunden. Die Aktivisten und Medienanalytiker der internationalen Szene, die der "Feral Tribune" so viel Lobgezollt hatten, haben jetzt deren Verschwinden überhaupt nicht bemerkt.

Gerade dieser stille Abgang gibt zu denken. Wenn eine Zeitung aus irgendwelchen Gründen aufhört, sollte das an sich nicht dramatisch sein. Dramatisch könnte es aber werden, wenn niemand mehr bemerkt, dass jemand, über den viel, gut und schlecht, gesprochen haben, nicht mehr unter uns ist. Es ist kaum zu glauben, dass für die Rubrik "Shit of the week" das Material ausgefallen ist.

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