100 Jahre nach der Meteoritenexplosion
Kosmisches Rätsel
Am 30. Juni 1908 morgens fand in Sibirien eine Explosion statt, die Tausend Mal stärker war als die Atombombe von Hiroshima. Ein gewaltiger Feuerball blitzte über dem Himmel in der Taiga in der Nähe des Flusses Steinige Tunguska auf.
8. April 2017, 21:58
Am 30. Juni 1908 zwischen sieben und acht Uhr morgens fand in Sibirien eine Explosion statt, die tausend Mal stärker war als die Atombombe von Hiroshima. Die Druck- und Hitzewelle riss rund 60 Millionen Bäume auf einer Fläche von 2000 Quadratkilometern nieder. Im Umkreis von 60 Kilometern sollen sich die Leute die Kleider vom Leib gerissen haben, weil es extrem heiß wurde und sie Angst hatten, sie würden zu brennen beginnen.
"Rekonstruktionen haben gezeigt, dass ein großer Steinmeteorit mit einem Durchmesser von 50 bis 70 Metern mit sehr hoher Geschwindigkeit in die Erdatmosphäre eingetreten ist und diese Erscheinung hervorgerufen hat", sagt der Meteoriten-Experte Christian Köberl von der Universität Wien.
Weit spürbare Folgen
Die Explosion hatte in Tausenden Kilometern Entfernung deutliche Folgen. In England zum Beispiel wird von zwei "weißen Nächten" berichtet: Es war so hell, dass man mitten in der Nacht Zeitung lesen konnte. "Heute vermutet man, dass das der meteoritische Staub war, der in der Hochatmosphäre verteilt wurde", so Köberl.
Das Ereignis hat Seltenheitswert. Alle paar hundert Jahre finden solche Explosionen von Meteoriten dieser Größe beim Eintritt in die Atmosphäre statt. Diese extraterrestrischen Körper kommen aus dem Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter. Hätte dieser Meteorit die Erde ein paar Stunden später getroffen, hätte er St. Petersburg dem Erdboden gleich gemacht.
Glück im Unglück
"Das Tunguska-Gebiet ist entlegen, unwegsam, mückenverseucht, im Sommer zu heiß und im Winter zu kalt. Es wundert daher kaum, dass die Gegend ausgesprochen dünn besiedelt ist. Einerseits ein glücklicher Umstand, denn so hielt sich der angerichtete Personenschaden in Grenzen: Jemand brach sich den Arm, es gab einige blaue Flecken, und ein alter Mann starb vor Schreck. Ein günstigeres Verhältnis von Ausmaß der Katastrophe zu Anzahl der Verletzten wird man lange suchen müssen. Andererseits wüssten wir heute sehr viel mehr über das sogenannte Tunguska-Ereignis, wenn die Augenzeugenberichte nicht zum Teil erst Jahrzehnte später aufgenommen worden wären", schreibt Kathrin Passig in ihrem "Lexikon des Unwissens".
Erst Anfang der 1980er Jahre erschien eine umfangreiche Sammlung von Augenzeugenberichten. Zu verdanken sind diese Zeugnisse vor allem dem Geophysiker Leonid Alexejewitsch Kulik, der dreizehn Jahre nach dem Ereignis zufällig auf einem alten Kalenderblatt eine Eintragung fand.
Späte Nachforschungen
Kulik suchte nach dem Gelände, auf dem der Meteor niedergegangen war. Er schrieb in sein Tagebuch: "Ich kann das Ungeheure dieser Erscheinung noch immer nicht fassen …" Kuliks Tagebuchauszüge werden in einem Science-fiction-Roman von Stanislaw Lem zitiert und zeigen, dass Fiktion und Realität bei diesem Fall sehr eng zusammen liegen. Der polnische Autor spekulierte in seinem Roman "Die Astronauten" aus dem Jahr 1951, dass der Meteor ein Raumschiff war, das zu Erkundungszwecken von der Venus kam und die Erde vernichten wollte.
Möglich sind solche Spekulationen vor allem auch, weil bis heute kein einziger Splitter des Meteoriten gefunden wurde. Erst im Vorjahr verkündete ein italienischer Physiker lautstark, endlich den Meteoritenkrater in Sibirien entdeckt zu haben. "Das ist reine Spekulation", sagt der international führende Meteoritenforscher Christian Köberl. "Dafür gibt es keine Beweise und unsere Berechnungen sprechen dagegen."
Unzählige Theorien
Fragwürdige bis abstruse Theorien gibt es zahlreiche. Astrophysiker sprechen von einem Kometen, also einem Eiskörper, der explodiert ist. Eine dritte Theorie behauptet, die Explosion könnte von Methan ausgelöst worden sein, das durch Risse aus der Erde ausströmte.
Oder war es ein gewaltiger Kugelblitz? Ein Antimaterieklumpen? Oder gar ein schwarzes Loch, das die Erde durchquert hat? Die Spekulationen nehmen kein Ende, auch wenn die Fakten für den kosmischen Einschlag sprechen. "Wir können alle Effekte erklären, Luftdruckanomalien, Erdbeben, die weltweit gemessen wurden, es passt alles zusammen", so Köberl. Es war ein Meteorit. Was wir aber nie wissen werden, sind die exakten Details."
Hör-Tipp
Dimensionen, Montag, 30. Juni 2008, 19:05 Uhr