Was ist wahre Ambientmusik?

Raumklang Klangraum

Der Musik ist ihr Kunstcharakter nicht so leicht auszutreiben. Das musste Erik Satie erfahren, als er Galeriebesucher dazu animierte, doch bitte weiterzureden und sich von der Musik nicht stören zu lassen. Ein Konzept, das man später Ambient nannte.

Er könne Musik nicht leiden, die Grimassen schneide, merkte der französische Komponist Erik Satie einmal an und polemisierte damit unter anderem gegen deutsche Kollegen seit Richard Wagner. Expressives Übertreiben empfand Satie als unwürdiges Grimassieren, seine eigene Vision von Musik war eine bemerkenswerte Mischung aus Mystizismus, Noblesse, Ironie und Jahrmarkt.

In ihrer radikalsten Ausprägung sollte Musik schlussendlich ihren Charakter als Kunst tatsächlich einbüßen: "Wir nun wollen eine Musik einführen, die die 'nützlichen' Bedürfnisse befriedigt", schreibt Satie, "Die Kunst gehört nicht zu diesen Bedürfnissen. Die 'Musique d'ameublement' erzeugt Schwingungen; sie hat kein weiteres Ziel; sie erfüllt die gleiche Rolle wie das Licht, die Wärme - & der Komfort in jeder Form."

Bitte weghören!

Als Satie das Konzept in einer Pariser Galerie anwenden wollte, es war der 8. März 1920, misslang dies ironischerweise, gerade weil der Musik der Kunstcharakter nicht so leicht auszutreiben ist. Saties Freund und Komponistenkollege Darius Milhaud jedenfalls erzählte, Satie habe händeringend die Galeriebesucher dazu animiert, doch bitte weiterzureden, sich von der Musik nicht stören zu lassen, diese aber hätten es vorgezogen, der Musik zuzuhören.

Jahrzehnte und viele Kunstströmungen später griff der englische Exzentriker, Künstler und Musiker Brian Eno die Idee wieder auf. Inzwischen hatte John Cage die Musik erfolgreich von allem möglichen befreit, die Ausgangslage war günstiger. Wieder ging es darum, den perfekten Hintergrund zu gestalten, interessant genug, um etwaiges Zuhören zumindest für eine Weile herausfordernd sein zu lassen, aber zugleich unaufdringlich genug, um nicht zu stören, wenn man von Kunst gerade nichts wissen will, beziehungsweise nicht mehr als von angenehmen Licht, Wärme und Komfort.

Ambient ohne Verwaschungen

Schon mit dezent diskreten Alben wie "Discreet Music" von 1975 war das Konzept eigentlich formuliert, Freunde wie Gavin Bryars kooperierten, und 1987 war auch das Wort gefunden, als "Ambient 1: Music for Airports" erschien.

An diese Anfänge erinnert die erste Zeit-Ton-Sendung einer donnerstäglichen Spezialreihe im Juli, die sich dann aber nicht den vielfältigen Verwaschungen dieses Konzepts während der darauffolgenden Jahrzehnte hingibt, sondern drei ausgewählte weitere Positionen vorstellt.

Ausstellungs- und Konferenzprojekt in Berlin

Anfang Juli findet in Berlin unter dem Titel "Getunte Stadt - Zwischen Klang- und Raumspekulation" ein fünftägiges Ausstellungs- und Konferenzprojekt statt, das nach einer Neubewertung architektonischer Räume aus der Perspektive des Akustischen fragt.

Mittlerweile lebt über die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten und immer mehr Städte wachsen zu "megaurbanen Landschaften" zusammen, so Detlev Ipsen, Professor für Stadt- und Regionalsoziologie an der Universität Kassel, in seinem Vortrag anlässlich eines eintägigen Symposiums im Rahmen des diesjährigen Berliner Club Transmediale, mit dem die Veranstalterinnen und Veranstalter von "Getunte Stadt" auf ihr Projekt aufmerksam gemacht und einen ersten theoretischen Rahmen abgesteckt haben.

Müllwagen und Beethoven
Ein gut durchdachtes städtisches Klangdesign, so Gernot Böhme, Direktor des Darmstädter Instituts für Praxis der Philosophie, an den Vortrag von Detlef Ipsen anschließend, wird damit immer wichtiger. Böhme präsentierte zur Veranschaulichung ein kurzes Video, das er in Taipeh von einem Müllwagen gemacht hatte, der - um sich Gehör zu verschaffen - "Für Elise" sang.

Dies sei ein Schlüsselerlebnis gewesen, jedes Mal, wenn er nun Beethovens "Für Elise" hören würde, müsse er an die Müllabfuhr in Taipeh denken, dieses Beispiel würde also zeigen, wie schnell sich der Klang der Stadt in unser Gedächtnis einzubrennen vermag. Heute, so Carsten Stabenow, einer der Initiatoren des Projektes "Getunte" Stadt, ist die Architektur unserer Städte bereits reichlich mit Medienfassaden versorgt, die glücklicherweise noch alle stumm sind, das wird sich aber vermutlich ändern.

Durchdringung von Raum und Produktion
Auf der Suche nach einem alternativen Ambient-Begriff stützten sich die Audioaktivistinnen und Audioaktivisten von der Gruppe Ultra-red Mitte der 1990er Jahre, also zu jener Zeit, als Ambient gerade dabei war die Chill Out Rooms der diversen Techno Clubs zu erobern, auf Henri Lefebres Idee der gegenseitigen Durchdringung von Raum und Produktion.

Ultra-red verstehen Klang als eine "Technologie des Raumes". Ein Fieldrecording dient als Kristallisationspunkt. Einem gesellschaftlichen Problem wird durch Klang Gestalt verliehen, um es so greifbar zu machen, damit es in einem nächsten Schritt diskutiert und womöglich gelöst werden kann. Wenn zwei Objekte zusammenkommen, und dem sei hinzugefügt, insbesondere auch wenn zwei Subjekte zusammenkommen, dann produziert dieses Zusammentreffen Klangwellen, steht in dem Text "Entering A Public Space" von Ultra-red zu lesen. Das sei wahre Ambientmusik.

Hör-Tipps
Zeit-Ton, Donnerstag, 3. Juli, Donnerstag, 10. Juli, Donnerstag, 17. Juli und Donnerstag, 24. Juli 2008, 23:05 Uhr

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