Medikamente aus Tieren und Pflanzen

Gene Pharmig

Krebsmedikamente aus Hühnereiern, Antigerinnungsmittel aus Ziegenmilch, Antibiotika aus Reis: Die pharmazeutische Industrie entdeckt die Landwirtschaft. Mit Hilfe von transgenen Nutztieren und -pflanzen sollen Medikamente künftig erzeugt werden.

Auf Fotos sehen die neuseeländischen Zwergziegen recht zufrieden aus. Sie unterscheiden sich auch im Äußeren nicht von ihren Artgenossen. Doch diese eine Herde im US-Staat Massachusetts ist etwas Besonderes: Die Tiere tragen ein menschliches Gen in sich. Dieses ist dafür verantwortlich, dass sie in ihrer Milch das Anti-Thrombose-Mittel Atryn erzeugen. Und das macht die Zwergziegen zu kleinen Berühmtheiten, denn Atryn ist das erste zugelassene Medikament, das in gentechnisch veränderten Tieren erzeugt worden ist.

Am Beginn einer neuen Entwicklung

Im Versuchsstadium befindet sich derzeit eine Reihe von Produkten aus solchen sogenannten transgenen Tieren, aber auch aus transgenen Pflanzen. Da gibt es etwa Hühner, die in ihren Eiern ein Antikrebsmittel produzieren. In der Kaninchenmilch befindet sich Eiweiß zur Behandlung einer Erbkrankheit, die mit schmerzhaften Schwellungen einhergeht. Bei Pflanzen ist es Tabak, der ein Antikaries-Mittel liefert. Und in Maiskörnern wird ein Enzym zur Unterstützung der Fettverdauung produziert.

Selbst wenn, wegen langwieriger Zulassungsverfahren, außer Atryn noch lange nichts davon in der Apotheke zu haben ist, eines steht fest: Die Arzneimittelerzeugung steht vor einer Revolution. Bleibt nur die Frage: Wie nennt sich diese Revolution eigentlich? Einmal hört man Biopharming, dann wieder Genepharming. Zoopharming wird auf Tiere angewandt, bei Phytopharming spricht man von Pflanzen.

Margret Engelhard von der europäischen Akademie zur Erforschung von Folgen wissenschaftlich-technischer Entwicklungen in Bad Neuenahr-Ahrweiler entwirrt den begrifflichen Wildwuchs. "Wir sagen pharming dazu, weil es ganz gut charakterisiert, dass es eine Mischung aus Landwirtschaft und Arzneimittelentwicklung ist, also farming und pharmaceuticals. Pharming ist eine Anwendung der Biotechnologie, bei der man transgene Tiere und Pflanzen als Fabriken benutzt, um Medikamente herzustellen."

Zuerst das Tier, dann das Medikament

Die rege Biopharming-Forschungstätigkeit in Europa sowie in den USA erklärt sich aus zwei Motiven: Große Eiweißstoffe lassen sich nicht synthetisch erzeugen. Ihre Produktion in transgenen Tieren und Pflanzen birgt daher die Hoffnung, viele derzeit unheilbare Krankheiten zu kurieren oder zumindest lindern zu können. Und: Biopharming könnte die Entwicklung und Herstellung von Arzneimitteln deutlich billiger machen.

Doch um ein Medikament oder einen Eiweißstoff aus einem transgenen Tier zu gewinnen, muss erst einmal das transgene Tier selbst hergestellt werden. Eckhard Wolf, Professor für Tierzucht und Biotechnologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, erklärt wie: "Das erste Verfahren, mit dem transgene Nutztiere hergestellt wurden, ist die so genannte pronukleäre Mikroinjektion. Da injiziert man das Stück DNA, das man übertragen möchte, einfach in einen der beiden Vorkerne der befruchteten Eizelle. Also in einem ganz frühen Embryonalstadium. Auf diese Weise wurden eine ganze Reihe von transgenen Nutztieren erzeugt, allerdings ist das Verfahren relativ ineffizient und daher sehr teuer."

Produktion und Haltung

Man muss mindestens hundert Eizellen auf diese Weise injizieren, um auch nur ein einziges, transgenes Tier zu erschaffen. Eine neuere und mittlerweile bevorzugte Methode ist eine Variante zur Produktion von Dolly: Das Klonschaf entstand, indem der Kern einer Eizelle durch den von einem anderen Tier ersetzt wurde. Doch bei der Produktion eines transgenen Tieres stammt dieser Kern aus einer Zelle, der zuvor im Labor ein menschliches Gen eingeschleusst worden ist. Der Rest läuft nach dem Dolly-Prinzip ab: Die Eizelle mit dem Kern aus der veränderten Zelle wird zum Wachstum angeregt und der Embryo einer Leihmutter eingepflanzt. Doch auch hier mangelt es noch an Effizienz, also auf wieviele Versuche ein gesundes Rind oder Schaf mit den gewünschten Eigenschaften entsteht. Dazu kommt, dass fünf bis 25 Prozent von geklonten Jungtieren entweder tot oder mit Missbildungen zur Welt kommen.

Doch mit dieser aufwendigen Produktion von transgenen Tieren allein ist es nicht getan. Ihre Haltung will wohlüberlegt sein. Zum Einen sollen sie nicht entlaufen und sich, sofern das biologisch möglich ist, mit genetisch unveränderten Nutztieren vergnügen können. Und zum Anderen müssen sie zwar artgerecht gehalten werden, aber so, dass das Produkt, welches sie liefern, nicht gefährdet oder kontaminiert werden kann. Transgene Ziegen oder Kühe müssen also unter garantiert keimfreien Bedingungen gehalten werden, sonst besteht Gefahr, dass mit dem aus der Milch gewonnenen Wirkstoff auch Krankheitserreger verabreicht werden.

Pflanzenpharming

Ähnliche Bedenken gelten übrigens auch für das Pflanzenpharming. Bei den Pflanzen, die Arzneimittel produzieren, muss verhindert werden, dass Gemüse oder Getreide, die man als Nahrung anbaut, durch Samenflug kontaminiert werden.Wenn sich eine Vermischung nicht vermeiden lässt, ist ein Projekt zum Scheitern verurteilt. Dazu zählt etwa der, seit Jahren in populären Medien beschriebene, essbare Impfstoff.

Pflanzenpharming hat, im Gegensatz zum Tierpharming, noch kein einziges zugelassenes Medikament hervorgebracht. Zumindest nicht für die Humanmedizin. Eine amerikanische Firma hat erfolgreich einen Hühnerimpfstoff gegen die sogenannte Newcastle-Krankheit entwickelt. Dieser wird aus transgenen Tabakspflanzen gewonnen.

An Experimenten mangelt es nicht

In den USA wird Pflanzenpharming schon seit den 1990er Jahren sehr emsig und überwiegend im Freilandanbau ausprobiert. Pro Jahr seien jeweils 100 Genehmigungen vom Landwirtschaftsministerium erteilt worden

Noch sind die USA im Pflanzenpharming führend, doch das soll sich schon bald mit dem, seit 2004 bestehenden und mit zwölf Millionen Euro finanzierten, EU-Projekt "Pharma Planta" ändern. Sein Forschungskonsortium besteht aus 39 Partnern, die aus zwölf europäischen Ländern, sowie aus Südafrika stammen.

Das Projekt ist auf fünf Jahre anberaumt. Das Ziel: pharmazeutische Eiweiß-Stoffe gegen HIV zu produzieren und diese für erste klinische Studien bereitzustellen. 2009 beginnen in britischen Labors bereits die ersten vorklinischen Versuche an Kaninchen.

Hör-Tipp
Dimension, Dienstag, 1. Juli 2008, 19:05 Uhr