Uzodinma Iwealas Romandebüt

Du sollst Bestie sein!

Wie aus einem Kind ein marodierender Rebell wird, ein mordender Krieger, ein Rädchen im Terrorapparat, das erzählt Uzodinma Iweala in seinem vielgelobten Roman "Du sollst Bestie sein!", der im Original vor drei Jahren erschien.

Egal, was ist, immer müssen wir kämpfen. Die ganze Zeit fressen die Kugeln alles auf, Blätter, Bäume, Erde, Menschen fressen die auf, die machen Löcher in Menschen und Blut kommt überall raus, überall im Busch ist Blut. (...) Manchmal will ich laut losheulen, hier heult aber keiner. Und wenn ich wein, dann gucken die anderen, weil Soldat heult nicht.

Das sagt Agu. Agu ist ein Kind. Und: Agu ist ein Soldat. Ein Kindersoldat in Afrika. Der Krieg hat aus dem Schuljungen eine Killermaschine gemacht. "Ich kill sie alle", beteuert Agu, "Mütter, Väter, Großmütter, Großväter, Soldaten. Ist alles dasselbe. Ist egal, wer das ist. Hauptsache, er stirbt."

Aus ganz normaler Familie

Iwealas "Held" ist ein ganz normaler Junge. Kein Kind aus einer "Problemfamilie", kein Kerl mit großem Aggressionspotenzial. Agus Vater war Lehrer, seine Mutter las ihm aus der Bibel vor, der Bub war ein guter Schüler, er liebte die Bücher, er ging in die Kirche. Doch plötzlich war sie vorbei, die behütete Kindheit. Die Regierung verschwand, die Schule fiel aus, der Vater war ohne Arbeit. Soldaten kamen ins Dorf.

Während die Mutter mit der Schwester mit einem UN-Transport weggeschafft wurde, wollte der Vater die Stellung halten - und wurde erschossen. Agu rannte weg - und wurde bald gefasst, zwangsrekrutiert in einer Kinderarmee, wo er schnell das Handwerk des Tötens lernte. In welchen Krieg Agu verwickelt wurde und wann, wie alt der Junge ist und in welchem Land er lebt - Iweala lässt es offen.

Man kann bei dieser Geschichte an Zaire denken, an Uganda oder Liberia, aber im Grunde komme es auf Ort und Zeit der Handlung gar nicht an, sagt Iweala. Er wollte eine allgemeingültige Geschichte erzählen, darüber, was Umstände aus Menschen machen.

Verlorene Kindheit
"Du sollst Bestie sein!" ist die Geschichte eines Kindes, das seine Kindheit verlor, seine Familie und seine Unschuld, erzählt von ihm selbst. Agu, der Rebell wider Willen, schildert, wie er zum ersten Mal einen "Feind" massakriert - "Das ist genau wie Ziege töten", erklärt sein Kommandant -, wie er diesem die Stirn zermatscht und dabei eine Erektion erlebt. Er erzählt, wie er an einer Vergewaltigung mitwirkt - nachdem er zuvor sich vergewisserte, dass die Frau nicht seine Mutter ist - und anschließend das Opfer mit der Machete zerhackt. Wie er von seinem Kommandanten sexuell missbraucht wird. Wie er, der nicht einmal eine Uniform besitzt, ziellos mit seiner Truppe herumstreift, wie sie sich mit der Droge "gun juice" betäuben, wie sie hungern und schwitzen und leiden, sich von Eidechsen ernähren, von Ratten und Insekten, von Moskitos gequält und vom Regen durchweicht. Und immer wieder spricht er vom Kämpfen, vom Killen, vom Krieg. "Ich bin nicht böser Junge. Ich bin nicht böser Junge", sagt Agu. "Ich bin Soldat, und Soldat darf das, töten."

Eigenwillige Sprache
Doch nicht nur was erzählt wird, ist entscheidend in Iwealas kleinem Roman, vor allem auch, wie erzählt wird: in verstörten Selbstgesprächen, in kurzen Sätzen, mit eigenwilliger Sprache. Iweala hat eine Art Pidgin-English konstruiert, das Artikel weglässt oder Silben verschluckt und lautmalende Worte wie aus dem Comic-Strip verwendet: kapau, kapomm, katschakk.

Doch was im Original rhythmisch, kompakt und durchaus schlüssig wirkt, wie die authentische Stimme eines afrikanischen Jungen, hört sich in Marcus Ingendaays deutscher Übersetzung nur holprig an: "Ich seh Baum", "Ich hör so Lied", "Ich muss auf Klo". Jugendsprache klingt anders.

Gratwanderung gemeistert
"Du sollst Bestie sein!" ist eine Gratwanderung: Ein Autor, der sich für seinen Debütroman nichts Geringeres vorgenommen hat, als sich in den Kopf eines Kindes zu versetzen. Ein amerikanischer Harvardstudent aus guten Verhältnissen - der Vater Chirurg, die Mutter ehemalige Ministerin in Nigeria und Mitarbeiterin der Weltbank -, der sich in die Niederungen Afrikas begibt und eine fiktive Geschichte über ein an authentischen Fällen reiches Thema erzählt. Doch Iweala meistert diese Gratwanderung souverän. Nicht zuletzt, weil ihm mit Agu eine überzeugende Figur gelang.

Für seinen Roman hat Uzodinma Iweala, der heute 25-Jährige, viel recherchiert, vor allem ein Kindersoldat hat ihn ganz wesentlich inspiriert. Aber er hat auch mit Flüchtlingen gesprochen, mit Leuten, die extreme Gewalt erlitten, hat Interviews mit Kindersoldaten gelesen und Literatur über Kinderpsychologie.

Iwealas "Held" ist keine flache, eindimensionale Figur, kein Reißbrettkonstrukt, kein Gefäß, in das der Autor all sein Wissen über Kindersoldaten kippen wollte. Agu ist eine widersprüchliche Gestalt. Er lebt ganz in der Gegenwart, ohne das Gestern zu vergessen, er ist gründlich desillusioniert, und hat doch berufliche Träume, er ist müde und rastlos zugleich, er berauscht sich am "Killen", und will nicht mehr kämpfen. Er wollte immer ein Gewehr haben, und will es jetzt nur noch los sein. Denn er weiß, ohne dass er das Wort benutzt, dass ihn der Krieg instrumentalisierte.

Jetzt hab ich Gewehr, und das ist immer mit dabei, wo ich auch bin, aber es lässt sich von mir tragen wie der King, und ich bin der Diener, der tun muss, was es sagt.

Der Wunsch nach Glück
Das Buch handelt nicht nur von Kindersoldaten, es handelt von Gewalt. Deshalb geht es uns alle an, sagt Uzodinma Iweala. Auch wir sind fähig, solche Dinge zu tun, weil wir bereit sind, Gewalt zu akzeptieren. "Wir müssten aufstehen und sagen, dass wir ernsthaft über all das nachdenken - und hinschauen müssen."

"Alle, die ich gekannt hab, sind tot", sagt Agu in Uzodinma Iwealas fesselnder und erschreckender Geschichte. Agu wird den Krieg überleben. Am Ende wird er kein Kindersoldat mehr sein. Er wird gutes Essen bekommen, neue Sachen zum Anziehen und ein Zimmer für sich allein. Und, von einer Therapeutin, Papier und Bleistift, um sich alles von der Seele zu schreiben. Doch Agu zweifelt am Sinn eines solchen Rapports. Er hat zu viele schlimme Sachen gesehen und zu viele schlimme Sachen gemacht.

Wenn ich die sag, werd ich zu traurig und sie auch. Ich will nur noch glücklich sein in diesem Leben, wegen allem, was ich schon gesehn hab. Ich will nur noch glücklich sein.

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Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr

Buch-Tipp
Uzodinma Iweala, "Du sollst Bestie sein!", aus dem Englischen übersetzt von Marcus Ingendaay, Ammann Verlag