Ein innovatives Modell

Wertschöpfungsmodell aus Musik im Radio

Bei einer eine parlamentarische Enquete zur Musik in Österreich Anfang Juni wurde der Wunsch nach einem höheren Anteil heimischen Musikschaffens in Österreichs Radiosendern formuliert. Wie machen es andere Länder?

Anfang Juni fand in Wien eine parlamentarische Enquete zur Musik in Österreich statt. Musikfunktionäre und -funktionärinnen und Musikschaffende füllten die Ränge des Parlaments, am Platz der NR-Präsidentin saßen abwechselnd die Kultursprecher und -sprecherinnen der Parteien, lernten mit der Mechanik umzugehen und bestimmten Redezeit, Abfolge der Redner und Rednerinnen, klingelten, wenn eine zu lang sprach, lehnten ab, wenn Unmöglichkeiten vorgebracht wurden.

Anträge können bei einer Enquete nicht gestellt werden, aber Wünsche sehr wohl formuliert. So kündigten die Grünen ein Musikförderungsgesetz an. Und es so wurde der Wunsch nach einem höheren Anteil heimischen Musikschaffens in Österreichs Radiosendern formuliert.

Einberufung einer Arbeitsgruppe

Eines der Ergebnisse auf dem Weg zur Erfüllung dieses Wunsches war die Einberufung einer Arbeitsgruppe, einberufen vom Hörfunkdirektor des ORF, die nun gebildet wurde.

Wie machen es andere Länder, gibt es europäische Modelle, die uns in Österreich Vorbild sein könnten? Klaus Ager, Komponist und Präsident des Österreichischern Komponisten- und Komponistinnenbundes und Dieter Kaufmann, Komponist und Präsident der Austromechana erklärten das Schweizer Modell der Wertschöpfung aus Musik im Radio.

16 Prozent österreichisches Schaffen

Die Ausgangsposition ist der geringe Anteil gegenwärtiger Musik österreichischer Musikschaffender, der - die Berechnungen sind unterschiedlich - bei etwa 16 Prozent liegt.

Frankreich sendet 45 Prozent heimisches geschütztes Repertoire, United Kingdom und Finnland haben ebenfalls eine 50-Prozent-Quote jenes Repertoires, das in diesen Ländern verwertende, noch lebende beziehungsweise nicht länger als 70 Jahre verstorben Musikschaffende geschaffen haben. Österreich ist in dieser Statistik der Europäischen Länder Letzter, die Schweiz Vorletzte.

Die Schweizer Charta

Es geht nicht um Fußball und trotzdem sind wir Letzte. Für die Schweiz ergab das Handlungsbedarf. 2004 legten sich die Mitglieder der Schweizer Arbeitsgruppe freiwillig eine Vereinbarung auf, die Schweizer Charta war geboren.

Klaus Ager erklärt das Schweizer Modell zur Hebung des Anteils Nationalen Musikschaffens in den nationalen Radiosendern als feiwillige Vereinbarung aller Beteiligten, die zwar nicht als gesetzliche Quote festgelegt ist, aber vom Schweizer Bundesrat vorgeschlagen wurde.

Wertschöpfungsmodell

Die Schweiz ging aber noch weiter. Sie entwickelte ein Verwertungsmodell, ein Wertschöpfungsmodell, das sich wesentlich von österreichischen Modellen unterscheidet.

Worum geht’s, was ist das für ein Modell, das die Schweiz entwickelt hat? Dieter Kaufmann führt die Grundforderung der Musikschaffenden aus, erklärt, wie derzeit Musikverwertung, also Wertschöpfung aus Musik gehandhabt wird.

Musikverwertungsgesellschaften
Der ORF zahlt eine Pauschalsumme an die Musikverwertungsgesellschaften AKM und Austromechana. Wie dieses Geld an die Musikschaffenden beziehungsweise deren Erben oder Erbinnen verteilt wird, ist eine Frage der Musikverwertungsgesellschaften.

"Und jetzt gibt es in den verschiedenen Ländern nicht Quoten, sondern Multiplikatoren, die den Wert, also die Verwertung eines Musikstückes, festlegen", so Kaufmann. "Ein Orchesterwerk ist mehr wert als eine Solosonate, ernste Musik hat den höchsten Faktor, Unterhaltungsmusik einen viel geringeren.

Diskussionen um Bewertungskategorien
Sie werden bemerkt haben, dass die aufgezählten Kategorien keineswegs die Musik, die gegenwärtig oder in der jüngsten Vergangenheit geschaffen wird, abdecken. Elektronische Kompositionen, Soundkompositionen, Klangskulpturen sind Themen von Diskussionen in jenen Kommissionen, die diese Bewertungskategorien erstellen.

Das ist höhere Verwertungslehre: Da sitzen also in Kommissionen der Musikverwertungsgesellschaften Komponierende, die Noten verteilen, also Faktoren, die als Grundlage der Bewertung dienen. Je höher der Faktor, desto mehr Geld, desto mehr Tantiemen können die Musikschaffenden mit ihrer Musik verdienen.

Einstufungskommission bestimmt Gewinn
Sie müssen sich diese Kategorien nicht merken, aber was Ihnen sicher auffällt: Die Mitglieder dieser Einstufungskommissionen haben Schlüsselpositionen inne, in denen sie gelegentlich auch aus Vorliebe oder gar Vorurteilen die Höhe von Gewinn oder Verlust für ihre Kollegen und Kolleginnen beeinflussen können.

"Und deshalb bin ich ein Verfechter des Schweizer Modells", sagt Dieter Kaufmann. "Das Schweizer Modell verzichtet auf die Einstufung. Bei der Erstsendung eines Stückes, egal welcher Kategorie, wird ein Vielfaches, etwa zehn Mal so viel bezahlt. Mit jeder Wiederholung sinkt dieser Preis, das heißt ein Hit, der sehr oft gesendet wird, verdient auch in dieser Einstufungsform viel mehr als ein Stück, das nur ein Mal gesendet wird."

Quelle neuer Ungerechtigkeit?
Aber ist das nicht wieder die Quelle neuer Ungerechtigkeit? "Die Ungerechtigkeit ist weniger gravierend", sagt Kaufmann, "ich war selbst lange in der Einstufungskommission."

Die Schweizer Charta hat als Vereinbarung zwischen Musikwertungsgesellschaften und Rundfunkanstalten zu einer Steigerung des gesendeten Anteils Schweizer Musik geführt. Dieter Kaufmann und Klaus Ager sind zuversichtlich, dass sich die Sinnhaftigkeit des Modells in Europa durchsetzen wird.

Hör-Tipp
Apropos Musik, Sonntag, 6. Juli 2008, 15:06 Uhr

Mehr dazu in oe1.ORF.at

Link
Charta der Schweizer Musik