Guarnaccias vierzehnter Fall

Vita Nuova

Magdalen Nabb ist 1975 nach Florenz gezogen. Seit Anfang der 1980er Jahre erschienen ihre Florenz- und Toskana-Krimis mit dem Carabinieri-Ermittler Maresciallo Guarnaccia als Helden. Sein vierzehnter Fall wird leider auch sein letzter sein.

Es war eine knappe Meldung im August letzten Jahres in den Kulturressorts der heimischen Medien: Die englische Kriminalschriftstellerin Magdalen Nabb ist im Alter von 60 Jahren an einem Hirnschlag in Florenz gestorben. Punkt. Wo mehr Platz blieb, wurde noch darauf hingewiesen, dass sie auch Kinderbücher geschrieben hatte, und dass sie ihrer Wahlheimat Florenz eine ganze Serie von Kriminalromanen gewidmet hatte.

Tatsächlich ist Magdalen Nabb, die 1975 nach Florenz gezogen ist, um sich dort zuerst im Kunsthandwerk, im Töpfern, fortzubilden, und die dann, Anfang der 1980er Jahre, ihre ersten Florenz- und Toskana-Krimis mit dem Carabinieri-Ermittler Maresciallo Guarnaccia als Helden geschrieben hat, zeitlebens im Schatten einer zweiten Krimi-Autorin mit italienischer Wahlheimat gestanden: der ungleich prominenteren US-Amerikanerin Donna Leon, die ihren Commissario Brunetti auf telegene Art durch die Kanäle Venedigs schaukeln lässt.

Ein Fremder in der Stadt der Medici

Das kriminalliterarische Match Venedig gegen Florenz, Leon gegen Nabb, mag jeder für sich selbst entscheiden. Selbstverständlich sind die - wie es so schön heißt - pittoresken Schauplätze, die beiden Kulturmetropolen, in diesen Krimis zumindest ebenso bedeutend, wie der Plot, der berühmte Handlungsfaden. Und da gibt es eben die Venezia-Amici und die Toskana-Fraktion.

Sieht man sich die Sache, also die Bücher und das schriftstellerische Handwerk, genauer an, wäre letztlich doch Magdalen Nabb der Vorrang einzuräumen. Das beginnt schon beim Helden, bei diesem etwas schwerfälligen, widerborstigen und aufsässigen Maresciallo Guarnaccia, ein Süditaliener, also ein Fremder in der Stadt der Medici, der immer wieder an der großbürgerlichen Etikette gröblichst anstreift, und der die nicht nur gelegentlich korrupt-kriminellen Kreise der florentinischen Bourgeoisie empfindlich stört - sehr zum Missfallen seiner Vorgesetzten, die das Bürgertum ja nicht nur zu schützen haben, sondern diesem in graduell-finanziellen Abstufungen ja selbst angehören.

Mord, Totschlag und Wahnsinn

Nicht anders sieht es auch in Guarnaccias 14. und leider letztem Fall aus. "Vita Nuova", so heißt der Krimi, der Menschenhandel, Zwangsprostitution und Kindesmissbrauch zum Thema hat, und in dem Mord, Totschlag und Wahnsinn den sinistren Ton angeben. Wie immer haben die "feinen Herren" ihre Finger und andere Glieder mit im Spiel; am Ende löst sich zwar alles auf, trotzdem bleibt auf der letzten Buchseite noch eine Leiche zurück.

Guarnaccias "14. Fall" reiht sich vom Spannungselement nahtlos in die vorangegangenen Ermittlungen ein. Und es ist gar nicht so einfach, aus dem kriminalliterarischen Oeuvre der Magdalen Nabb eine Favoritenliste zu zimmern oder eine Einstiegshilfe für neue Leser und Leserinnen zu erstellen. Vielleicht sollte man mit Guarnaccias "5. Fall" beginnen, "Tod in Florenz", oder ganz von vorne mit "Tod eines Engländers".

Wer sich allerdings für "real crime" in fiktivem Gewande interessiert, dem sei der zehnte Fall empfohlen: "Das Ungeheuer von Florenz". Da liefert Nabb ihre ebenso spannende wie aufschlussreiche Interpretation der bestialischen Mordserie an Liebespärchen in und um Florenz in den 1970er und 80er Jahren ab. Als "Monster von Florenz" ist der reale Täter, ein toskanischer Bauer, in die Kriminalgeschichte eingegangen, lückenlos aufgeklärt sollen die Verbrechen bis heute nicht sein.

Das letzte Verbrechen gelöst

Zurück zu Guarnaccia. Die Figur des sizilianischen Carabinieri-Offiziers reiht sich nicht nur würdig in eine Ahnengalerie von offiziellen Detektiven (im Gegensatz zu den britischen und vor allem amerikanischen "private eyes") ein, sie hat auch einen Nachfahren gefunden. Bei den Ahnen denkt man an den vergleichbar solitären und gelegentlich sonderbaren Wachtmeister Studer des Schweizers Friedrich Glauser, aber auch an Maigret. Tatsächlich hat es zwischen Magdalen Nabb und Georges Simenon, dem Maigret-Autor, eine jahrelange Brieffreundschaft gegeben, und der 1989 verstorbene Belgier Simenon hat auch ein Vorwort für einen der Florenz-Krimis geschrieben. "Sie", Magdalen Nabb, heißt es darin, "gehört mit Abstand zu den originellsten Kriminalschriftstellern".

Und der Nachfahre des Maresciallo Guarnaccia? Der ermittelt in Triest. Veit Heinichen, ein deutscher Krimiautor mit Wohnsitz in Triest, hat seinen Commissario Laurenti ebenfalls aus Süditalien in den Norden versetzt, wo dieser - dem Maresciallo in Florenz nicht unähnlich - in Kriminalfällen ermittelt, die wenn schon nicht real vorhanden, so doch höchst authentisch wirken.

Eine hochkarätige "Zwei-Mann-Gesellschaft zur Bekämpfung der Kriminalität": Laurenti und Guarnaccia. Schade nur, dass Letzterer keine Fälle mehr lösen wird, nachdem seine Erfinderin - wie gesagt - im vergangenen Jahr gestorben ist.

Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr

Buch-Tipp
Magdalen Nabb, "Vita Nuova. Guarnaccias vierzehnter Fall", aus dem Englischen übersetzt von Ulla Kösters, Diogenes Verlag