Was tun, wenn ein geliebter Mensch verfällt?

Wenn Kranke eine Therapie verweigern

Sie wollen helfen, können aber nicht, denn rechtlich sind den Angehörigen von Menschen, die eine Therapie verweigern, die Hände gebunden - bis der Erkrankte sich selbst oder andere akut gefährdet. Dann ist eine Zwangseinweisung möglich.

Sie müssen zusehen, wie ein geliebter Mensch verfällt, so wie Evelin, 25 Jahre alt, die Tochter einer alkohol- und tablettensüchtigen, depressiven Mutter. Seit Jahren weigert sich ihre Mutter, einen Entzug in einer psychiatrischen Anstalt zu machen und seit Monaten verschlimmert sich ihr Zustand - sie ist magersüchtig, vermutet die Tochter.

Die Batterie ist leer.
Die Angehörigen werden von der Krankheit mitbetroffen. Sie sind wütend, traurig und verzweifelt und können nicht begreifen, wieso der Kranke keine Hilfe annehmen möchte, auf all das gute Zureden, die täglichen, zermürbenden Motivationsgespräche nicht reagiert. Sie haben Angst, Fehler zu machen und Angst, zu wenig zu tun. Beziehungen zerbrechen, weil sich Eltern wechselseitig die Schuld für die Drogensucht ihres Kindes zuweisen.

Auch finanziell sind die Angehörigen gefährdet. Ines, zum Beispiel, die Mutter eines psychisch kranken Sohnes. Ihr Sohn war durch seine Krankheit - paranoide Schizophrenie - arbeits- und unterstandslos geworden und kam nach einem schweren Unfall ins Krankenhaus. Als er nach zehn Tagen aus dem künstlichen Tiefschlaf erwachte, erhielten die Eltern eine Rechnung von über 8.000 Euro für Behandlungskosten.

Was kann man tun?
Zuerst, sagt der Psychiater und Neurologe Stefan Rudasch, gilt es, herauszufinden, wieso der Kranke eine Therapie verweigert, um dann gezielt diese Bedenken auszuräumen. Er empfiehlt den betroffenen Angehörigen, fachkundigen Rat bei Fachärzten wie Psychiatern oder - zum Beispiel im Falle eines magersüchtigen Angehörigen: einem Fachmann für Anorexie - einzuholen und eine Selbsthilfegruppe für Angehörige psychisch Erkrankter zu besuchen.

Angehörigenselbsthilfegruppen
Den größeren Teil der Hilfe für Angehörige, macht die Selbsthilfe aus, nicht der fachärztliche Rat, sagt Stefan Rudasch. Bei Treffen und Seminaren können sich die Betroffenen über bewährte und nicht bewährte Verhaltensweisen austauschen, Trauer und Wut teilen und finden hier Trost und die Kraft, täglich aufs Neue den Kranken zu einer Therapie zu überreden.

Ohne oder gegen den Willen
Irgendwann geht nichts mehr, meint Evelin, nämlich dann, wenn sie es nicht mehr verantworten kann, dass ihre alkoholkranke und vermutlich magersüchtige Mutter weiterhin apathisch, betrunken und schwach wie ein Kind auf der Couch hockt. Dann kommt die harte Tour, sagt sie, das heißt: sie wird zum Telefon greifen, 133 wählen und die Polizei wird ihre Mutter zum Amtsarzt oder zum Arzt im öffentlichen Dienst bringen, der sie untersucht.

Selbstgefährdung
Wenn psychisch kranke Menschen sich selbst oder andere akut gefährden, können sie auch ohne oder gegen ihren Willen in einer psychiatrischen Krankenanstalt behandelt werden. Die Zwangseinweisung ist im sogenannten Unterbringungsgesetz geregelt, das Kontrollen und mehrere Gerichtsverhandlungen vorsieht.

Fremdgefährdung
Größte Verzweiflung hat Ines dazu veranlasst, mehrmals eine Zwangseinweisung ihres psychisch kranken Sohnes zu "versuchen": Ihr Kind attackierte sie, brach drei Mal die Wohnungstür ein, verfolgte sie und flüchtete jedes Mal, bevor die Polizei ihn anhalten konnte.

Kein Allheilmittel
Die Erzählungen von Mitgliedern von Angehörigenselbsthilfegruppen, die einen Betroffenen zwangseingewiesen haben, sind zweigeteilt: Manche sagen, der Kranke hat ihnen diese Entscheidung und diesen Vertrauensbruch nie verziehen. Andere sagen, der Kranke war dankbar - im Nachhinein.

Der Psychiater und Neurologe Stefan Rudasch empfiehlt, nicht zu viel Hoffnung in eine Zwangstherapie zu setzen: "Süchtige lassen sich nicht zwangstherapieren, zumindest nicht mit Erfolg. Wer entschlossen ist, sich das Leben zu nehmen, wird sich von einer Zwangseinweisung nicht davon abhalten lassen."

Täglich aufs Neue
Er rät den Angehörigen, gemeinsam mit Fachärzten eine Situation zu schaffen, die es dem Kranken ermöglicht, sich freiwillig zu einem Entzug oder einer Therapie zu entschließen. Nur, wenn der Kranke wirklich gesund werden wolle, könne er das auch werden. Für Evelin ist das kein Trost und auch kein Rat. Nichts scheint ihr im Moment unwahrscheinlicher, als dass ihre Mutter sich zu einer Behandlung entschließt. Bald sind ihre Kräfte am Ende.

Hör-Tipp
Moment, Dienstag, 8. Juli 2008, 17:09 Uhr

Mehr dazu in oe1.ORF.at