Der palästinensisch-israelische Konflikt
Ein schönes Attentat
Wie in seinem Computerspiel "Peacemaker" versucht Assaf Gavron auch in seinem Roman, über die Akteure und ihre Lebenswirklichkeit den Kern des fatal festgefahrenen israelisch-palästinensischen Konflikts greifbar zu machen. Und das gelingt ihm auch.
8. April 2017, 21:58
"Peacemaker" heißt ein Computerspiel, an dem Assaf Gavron als Autor entscheidend beteiligt war. "Peacemaker" simuliert die Situation in Nahost. Die Akteure versetzen sich in eine der beiden Konfliktparteien, kämpfen gegen politische, militärische und finanzielle Widerstände und sind dann am Ziel, wenn die Interessen beider Seiten ausbalanciert sind: Das Spiel gewinnt, wer Frieden schafft. "Peacemaker" ist ein "Informationsinstrument", sagt Assaf Gavron, und "möglicherweise der bisher ambitionierteste Versuch, ein Gesamtbild des israelisch-palästinensischen Konflikts zu erstellen."
Situation in Nahost aus konträren Blickwinkeln
Nicht "Peacemaker", sondern "Ein schönes Attentat" heißt Assaf Gavrons jüngster Roman, das Thema aber ist dasselbe: die Situation in Nahost, beleuchtet aus konträren Blickwinkeln. Mit Eitan Einoch, einem Tel Aviver Intellektuellen, und Fahmi, einem jungen palästinensischen Terroristen, den beiden "Helden" seines Romans, gibt Gavron den beiden Parteien Namen und Gesichter.
Eitan Einoch, genannt "Krokodil", arbeitet in einer Zeitmanagement-Firma in Tel Aviv. Mit dem Sammeltaxi fährt er zur Arbeit. Eine alte Frau hält einen der Fahrgäste, einen dunklen Typ mit Wollmütze, für verdächtig, ein junger Mann mit Ziegenbärtchen und Palm Pilot ist ebenfalls irritiert. Eitan hält alle für paranoid. Kaum aus dem Taxi gestiegen, fliegt es in die Luft. Auf dem Ast eines Olivenbaums findet Eitan den Palm Pilot des bei dem Anschlag umgekommenen jungen Mannes. Später wird er seinen Namen erfahren: Giora.
Medienstar "Krokodil"
Kurze Zeit nach dem Attentat in Tel Aviv ist Eitan mit dem Auto in der Wüste bei Scha'ar Hagai unterwegs, als er, hinter einem Linienbus fahrend, in einen Kugelhagel gerät. Sein Beifahrer und die Businsassen sterben. Eitan aber hat gerade den zweiten Anschlag überlebt. Es wird nicht der letzte sein. Um sich mit der Freundin von Giora zu treffen und ihr den Palm Pilot des Ermordeten zu überbringen, verabredet er sich mit ihr in einem Café.
Gerade als Eitan und die Frau die Plätze tauschen, ertönt ein Knall. Es ist der dritte Anschlag innerhalb von einer Woche, den Eitan überlebt. Er erhält psychologische Betreung, er bekommt Unterstützung von Spezialisten, er wird zum Fernsehstar. Ein Fernsehmoderator "sagte, jemand wache über mich, ich sei ausgewählt worden zu zeigen, dass wir ihrer Herr würden, ich sei ein Symbol." Aus Eitan Einoch wird "das Krokodil der Anschläge, der Held gegen den Terror".
Hin- und hergerissen
Assaf Gavrons Roman handelt nicht nur von einem schier unverwundbaren Helden, einer Attentats-Paranoia und den Medienreaktionen auf die Anschlagsserie, einer Mischung aus Hysterie, Zynismus und patriotischem Getöne, er handelt auch von der Gegenseite. Gavron hat nicht einen, er hat zwei Ich-Erzähler. Dem "Krokodil" steht der junge Fahmi gegenüber, Spross einer palästinensischen Flüchtlingsfamilie, hin- und hergerissen zwischen dem moderaten, um Versöhnung bemühten Vater und dem stolzen, unnachgiebigen, radikalen Bruder. Dieser, Bilal, ist Mitglied einer Terrororganisation, eines Arms der Hamas, und rekrutiert Selbstmordattentäter.
"Sie verstehen nur Blut. Sie spielen ein Spiel", sagt Bilal über die Israelis. "Ich bin kein Mörder. Ich stoppe nur den, der mich tötet. Ich befolge Gottes Willen." Fahmi kann sich Bilals Einfluss nicht entziehen. Er wird verwickelt in jene Anschläge, die Eitan überlebt.
Keine Schwarz-Weiß-Zeichnung
Die Stärke von Assaf Gavrons subtilem und packendem Roman liegt in seiner von ständigen Perspektivwechseln geprägten und immer wieder verschiedene Zeitebenen konfrontierenden Struktur, die Spannung garantiert, liegt aber auch in seiner psychologischen Genauigkeit. Gavron erliegt nie Schwarz-Weiß-Zeichnungen oder Klischees. Er zeigt nicht Typen, sondern Individuen - ob Eitan oder Fahmi, in beide kann man sich hineinversetzen. Eitan ist keiner, der nach Vergeltung schreit, nicht Hass, der Wunsch nach Aufklärung ist seine Triebfeder. Auch Fahmi ist kein Abziehbild des radikalisierten Palästinensers, kein leidenschaftlicher Gotteskrieger oder politischer Amokläufer. Der stille, nachdenkliche, ein bisschen verloren wirkende Junge ist eher ein Terrorist wider Willen.
"Das Buch der Woche" ist eine Aktion von Ö1 und Die Presse.
Hör-Tipps
Kulturjournal, Freitag, 11. Juli 2008, 16:30 Uhr
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr
Buch-Tipp
Assaf Gavron, "Ein schönes Attentat", aus dem Hebräischen übersetzt von Barbara Linner, Luchterhand Verlag