Gender-Medizin - Teil 1

Frauen und Männer sind nicht gleich

Die Gender-Medizin ist ein junges Forschungsgebiet. Erstmals bietet sie die Möglichkeit, die wichtigen Unterschiede zwischen Frauen und Männern zu erkennen und daraus eine adäquate Behandlung für beide Geschlechter zu entwickeln.

Werden Antibiotika in der gleichen Dosierung Männern und Frauen an der gleichen Stelle am Gesäßmuskel injiziert, so weisen Frauen danach nur 40 Prozent des Wirkstoffgehaltes im Blut auf. Können Sie sich vorstellen warum? Das ist nur eine der Fragen, die die Gender-Medizin stellt. Gender-Medizin erforscht Unterschiede zwischen Frauen und Männern, um beiden Geschlechtern im Krankheitsfall die optimale Therapie zu kommen lassen zu können.

Pionierin Legato

Gender-Medizin ist ein junges Forschungsgebiet. Erst Mitte der 1980er Jahre brachte die amerikanische Kardiologin Marianne Legato diesen Wissenschaftszweig mit ihrem Buch "Evas Rippe" ins Rollen. Bis zu diesem Zeitpunkt galten Frauen als "kleine Männer". So wurden etwa Medikamentenstudien fast ausschließlich an Männern durchgeführt und die Dosierung für Frauen einfach - ihrer Größe und ihrem Gewicht entsprechend - angepasst.

Frauen und Männer "funktionieren" aber unterschiedlich: Sie erkranken anders, reagieren anders auf Therapien und sie sprechen anders über ihre Erkrankungen.

Anders hinschauen

Die Ursache für die schwächere Wirkung von Antibiotika bei Frauen lag einzig daran, dass diese am Gesäßmuskel über größere Fettpolster verfügen. Will man die gleiche Antibiotikawirkung wie bei Männern erzielen, muss anders gestochen werden.

Das Antibiotikabeispiel stammt noch aus der "Steinzeit" der Gender-Medizin, Mitte der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts. Was aber bedeutet Gender-Medizin? Gender-Medizin befasst sich mit Gesundheit und Krankheit unter Berücksichtigung der biologischen, sozialen, physischen und psychischen Unterschiede zwischen Mann und Frau.

Gender-Medizin berücksichtigt also nicht nur das biologische Geschlecht, Frau oder Mann sondern auch das soziale Geschlecht. Das sind die Umweltbedingungen unter denen Frauen und Männer aufwachsen und leben.

Ganz verschieden

Abseits der anatomischen Unterschiede ist mittlerweile klar, dass Frauen und Männer unterschiedlicher sind, als lange Zeit gedacht: Das beginnt bei den Symptomen, die Frauen und Männer bei bestimmten Erkrankungen zeigen, führt über die unterschiedliche Verträglichkeit von Medikamenten bis hin zur Häufigkeit, mit der bestimmte Erkrankungen bei Frauen und Männern auftreten.

Der Contergan-Skandal sorgte für den Ausschluss von gebärfähigen Frauen aus Medikamentenstudien. Das hatte teils fatale Folgen: So können etwa bestimmte Medikamente gegen Herzrhythmusstörungen bei Frauen einen tödlichen Herzstillstand hervorrufen, während diese Arzneimittel bei Männern durchaus gut wirksam sind.

Schutzfaktor Östrogen

Auch in der Diagnostik von Erkrankungen geraten Frauen immer noch all zu leicht ins Hintertreffen. Das derzeit prominenteste Beispiel dazu ist der Herzinfarkt. Männer berichten bei einem akuten Herzinfarkt von Schmerzen im linken Arm, von einem Vernichtungsschmerz in der Brust. Frauen dagegen klagen über Rücken- oder Magenprobleme, über Übelkeit und Schwindel. Frauen erleiden, das ist mittlerweile klar, übrigens genauso häufig einen Herzinfarkt wie Männer. Sie erkranken nur später: Sie haben bis zur Menopause nämlich einen wirksamen Gefäßschutz - ihre Hormone. Das Östrogen schützt die Blutgefäße vor Ablagerungen und hält sie elastisch.

Abseits aller Klischees ist schon die unterschiedliche Hormonsituation ein wichtiger Faktor dafür, wie Frauen und Männer erkranken, wie sie bestimmte Symptome erleben. Eine ganze Reihe anderer Faktoren wird von der Gender-Medizin ebenfalls in die Überlegungen zu Krankheit und Gesundheit bei Männern und Frauen miteinbezogen. Denn auch die Sozialisation von Ärztinnen und Ärzten spielt eine maßgebliche Rolle in der Krankheitswahrnehmung, der Diagnose und der Behandlung von Erkrankungen von Männern und Frauen.

Männer und kein Ende

Zum einen werden alle angehenden Ärztinnen und Ärzte immer noch hauptsächlich von männlichen Lehrenden unterrichtet. Der Anteil an Professorinnen an den österreichischen Medizinunis liegt seit Jahren bei nur sechs Prozent. Zum anderen hält der Gedanke der Gender-Medizin nur langsam Einzug in die Medizinunis - vorerst gilt weiterhin fast ausschließlich: Der Mann ist das Modell, an dem Krankheit und Gesundheit gelehrt werden.

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Hör-Tipp
Radiodkoktor-Gesundheitsmagazin, Montag, 7. Juli 2008, 14:05 Uhr