Strategien für ein menschenfreundlicheres System

Hat der Neoliberalismus ausgedient?

Das derzeit vorherrschende Wirtschaftsmodell, der Neoliberalismus, trat an mit dem Versprechen, Wohlstand für alle Bürger zu bringen, nun ist dieses System im Wandel. Zu besorgniserregend sind die Umweltschäden und die sozialen Probleme.

Der Neoliberalismus ist in der Krise, so der Wirtschaftswissenschaftler Sven Giegold, von Attac Deutschland. Attac setzt sich seit elf Jahren für eine demokratische und sozial gerechte Gestaltung der globalen Wirtschaft einsetzt. Wurden die Thesen von Attac anfangs belächelt, so zählen viele davon heute zum Common Sense.

Attac trat damals mit dem Ziel an, eine Finanztransaktionssteuer durchzusetzen, also einer Steuer auf Finanzprodukte der internationalen Finanzmärkte. So sollte übertriebene Spekulation, die die Realwirtschaft gefährdet, eingebremst werden. Mittlerweile wurde diese Art der Besteuerung sogar von Österreichs rot-schwarzer Bundesregierung eingefordert.

Fünf Krisenzeichen

Sven Giegold sieht den Neoliberalismus heute in einer fünffachen Krise: Eine Energie- und Klimakrise aufgrund des industriell verursachten Treibhauseffekts, eine Nahrungsmittelkrise aufgrund der weltweit explodierenden Preise, eine Finanzkrise aufgrund der exzessiven Spekulation, die destabilisierend auf die Weltwirtschaft wirkt, eine soziale Krise aufgrund der immer weiter aufgehenden Schere zwischen arm und reich, sowie eine Krise der Demokratie, weil den einzelnen Bürger und auch den national agierenden Politiker immer stärker das Gefühl befällt, jenen Entwicklungen, die nicht den Mehrheitsinteressen der Bevölkerung dienen, sondern bloß dem Profitstreben schmaler Wirtschaftseliten, machtlos ausgeliefert zu sein.

Attacs Alternativen
Im Bereich Energie und Klima wären strenge Emissionswerte und ein rascher Umstieg auf erneuerbare Energien ein gangbarer Lösungsansatz. Doch derzeit ist eine Renaissance der Atomkraft zu beobachten. "Atomenergie funktioniert nur durch massive Subentionen, das Unfallrisiko ist nicht versichert, das zahlen die Bürgerinnen und Bürger", so Sven Giegold. "Außerdem ist Uran knapp und verteuert sich schnell, aber es ist ein gutes Geschäft für große Unternehmen." Erneuerbare Energien hingegen werden dezentral produziert. Die Bürger und Gemeinden bauen sich ihre Solaranlagen alleine, das untergräbt das Geschäftsmodell von Großunternehmen.

Im Bereich der Nahrungsmittel heißt der Lösungsansatz Ernährungssouveränität: Internationale Bauernallianzen wie Via Campesina setzen sich seit den 1980er Jahren für eine kleinräumige, ökologisch orientierte Landwirtschaft ein, wo die Produktionsmittel wie Samen und Land in den Händen der Landwirte verbleiben. Diese Anliegen können nur durch internationale Allianzen und Lobbying gestärkt werden.

Die Länder des Südens, die im Zuge der Handelsliberalisierungen ihre Märkte für Lebensmittel aus dem Norden öffnen mussten, sollten die Möglichkeit erhalten, Schutzzölle einzuführen. Denn derzeit kosten in Westafrika Hühnerteile, die von Industrieländern importiert werden, weniger, als die Hühner afrikanischer Bauern, Nestlé Milchpulver ist billiger, als frische Milch von afrikanischen Kühen. Daher müssen afrikanische Landwirte ihre Produktion aufgeben und ziehen in die Städte, wo sie das Heer der Arbeitslosen vergrößern. Oder sie werden zu sogenannten "Wirtschaftsflüchtlingen" in Europa. "Zuerst nehmen wir den Menschen systematisch alles weg, und wenn sie dann dorthin gehen, wohin ihr Reichtum geflossen ist, beschimpfen wir sie als Illegale und Kriminelle", meint Klaus Werner Lobo, Buchautor und freier Journalist.

Mehr zum Mitbegründer von Attac-Österreich, Christian Felber, in oe1.ORF.at
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Hör-Tipp
Journal Panorama, Montag, 21. Juli 2008, 18:20 Uhr