Fräuleinmacher

Das deutsche Sinnwunder

Im Sommer werde ich immer paranoid. Das mag am schlechten Wetter liegen. Aus gegebenen Anlass - Sophie von Kessel, ein neues "deutsches Fräuleinwunder", betritt als Buhlschaft die Stadt Salzburg - sollte ich den Arzt aufsuchen, dass es nur so Sinn macht.

Gerade eben habe ich eine Fliege zerbissen. Sie war in meinem Kaffee geschwommen. Jetzt liegt ein Buch auf der Tasse. Eine zweite Fliege umkreist mich jetzt. Sie setzt sich auf meine Schulter. Ihre Freundin habe ich auf den Boden gespuckt. Es ist Mittwoch, elf Uhr, und ich muss mich entscheiden: Bin ich ein Sprachfaschist, oder ist mir alles egal? Ich mag die Formulierung, etwas "macht Sinn", nicht. Und ich komme mit dem Bedeutungswandel des "deutschen Fräuleinwunders" nicht zurecht. Ich will kein Faschist sein. Mir ist auch nicht alles egal. Ich muss zum Arzt gehen. Ich glaube, dass hinter der Verwandlung des "deutschen Fräuleinwunders" eine Vertuschung steckt.

Das Internet bietet keine brauchbare Antwort. Wikipedia murmelt ein paar Nebensächlichkeiten in seinen juvenilen Bart. Google ist ein Heuhaufen, und um ehrlich zu sein, das Heu ist Stroh. Der Unterschied zwischen Heu und Stroh ist der: Das eine essen die Pferde, das andere machen sie nass. Ein Pferdeklo wird mich nicht widerlegen. Also wird der Kampf weiter gehen. Morgen. Morgen wird der Mensch wieder erreichbar sein, dem zuzutrauen ist, dass er mir die Wahrheit sagt über das "deutsche Fräuleinwunder". Denn die Wahrheit kann nicht Heidi Klum heißen oder Claudia Schiffer. Judith Hermann kann zwar schreiben, Juli Zeh vielleicht auch - aber die beiden als deutsche Fräuleinwunder der Literatur zu bezeichnen, ist hauptsächlich kokett. Sophie von Kessel?

"Das deutsche Fräuleinwunder" hat einen radikalen Bedeutungswandel hinter sich, und ich bin nicht sicher, ob die ostentative Fehlinterpretation des Begriffs nur auf die Schlampigen unter uns zurückgeht. Wikipedia: "Deutsches Fräuleinwunder ist ein Begriff, der in den 1950er Jahren in den USA geprägt wurde. Er stand ein Jahrzehnt lang für junge, attraktive, moderne, selbstbewusste und begehrenswerte deutsche Frauen der 50er Jahre." Warum gerade in den USA über junge, attraktive deutsche Frauen gesprochen wurde? Warum es denn überhaupt auffällig war, dass da in Deutschland der Nachkriegszeit "begehrenswerte" Damen heranwuchsen? Was konnte geschehen sein, dass dann, ein Jugendalter nach Ende des Zweiten Weltkriegs, übermäßig viel Attraktivität den deutschen Partnermarkt beherrschte?

Der Begriff "deutsches Fräuleinwunder" scheint ein Phänomen zu bezeichnen, das zuerst nicht existierte (Wikipedia: "Auslöser war das Berliner Mannequin Susanne Erichsen. Aus Spaß beteiligte sich die 24-Jährige 1950 an der ersten Miss-Germany-Wahl der Bundesrepublik in Baden-Baden - und gewann"), dann banalisiert wurde (Wikipedia: "Sie beeindruckte die US-Amerikaner und wurde in Amerika als das deutsche Fräuleinwunder bezeichnet") und schließlich durch die Neubesetzungen der letzten Jahre endgültig ad absurdum getrieben wurde.

Mittwoch, elf Uhr dreißig, eine trauernde Fliege umkreist mich, der Kaffee ist kalt. Ich glaube, dass Schiffer, Klum und Kessel Nutznießerinnen einer Vertuschung sind. Ich glaube, dass man sich mit der Frage beschäftigen sollte, in welchem Zusammenhang die Attraktivität so auffällig vieler junger deutscher Frauen in den Nachkriegsjahren mit dem Umstand zu sehen ist, dass die Alliierten da waren. Ich geh' jetzt zum Arzt.

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