Beobachtungen dreier Schutzengel
Fremde Signale
Drei tote Teenager aus verschiedenen Epochen bewachen das Leben einer Frau des 20. Jahrhunderts. Was leicht zu einer sentimentalen Ghoststory à la Hollywood geraten hätte können, wird bei Katharina Faber zu einem interessanten Gedankenexperiment.
8. April 2017, 21:58
Manchmal empfinde ich mich selbst wie früher, als ich noch lebte, und träume zu den Wolken hinauf. Ich verfolge den Zug ihrer wechselnden Formen. (...) Wie ein lebender Mensch schaue ich ihnen zu, wie damals. (...) Ich kann nicht erklären, was ich jetzt bin. Ich passe auf Attali auf, das ist alles.
Drei tote Teenager aus verschiedenen Epochen und Ländern bewachen das Leben einer Frau des 20. Jahrhunderts. Klingt wie eine Gespenstergeschichte - ist es auch: Aber was für eine! Katharina Faber erzählt in ihrem Roman "Fremde Signale" die Lebensgeschichte einer Schriftstellerin, die im Wirtschaftswunder-Deutschland beginnt und bis in die Gegenwart reicht. Besser gesagt: Sie lässt diese Geschichte erzählen - und zwar von den drei Schutzengeln besagter Künstlerin.
Kommentierte Gegenwart
Die Schutzengel hatten einst auch ein - wenn auch kurzes - Leben und passen nun auf die verwöhnte, in betuchter Familie aufwachsende Katharina auf. Ihre sehr unterschiedlichen Stimmen schildern Alltagsereignisse und kommentieren das Zeitgeschehen.
Einer von ihnen ist Michail Sledin, ein Kind der Stalin-Zeit, das 17-jährig im Zweiten Weltkrieg erschossen wurde. Er ist nervös und wachsam, sieht aber in seiner Aufgabe, ein kleines Mädchen zu bewachen, keine Schwierigkeit.
Wir sind zu dritt, ein kleines Kollektiv. Es wird keine großen Probleme geben, alles ist da: Friede, Schönheit, Wasser, Heizungen, Essen, so viel man will, Häuser aus Stein und schnelle Wagen für eine Evakuierung.
Drei Geister aus drei Jahrhunderten
Ein weiterer Schutzengel ist Linette Grandchance, ein Bauernmädchen aus dem vorrevolutionären Frankreich, geprägt von täglicher erschöpfender Arbeit, von Armut und Rechtlosigkeit. Sie starb mit 16 an einer Gehirnhautentzündung bevor sie verheiratet werden konnte.
Boris Tomba, Sohn amerikanischer Kommunisten, die in New York eine Trattoria betreiben, ist der dritte Bewacher Katharinas. Er wurde 1938 geboren und galt als hochbegabt. Der dickliche, egozentrische Knabe erlebte nicht viel mehr als seine Krebserkrankung, der er 13-jährig erlag.
Interessantes Gedankenexperiment
Was leicht zu einer sentimentalen Ghoststory à la Hollywood geraten hätte können, wird bei Katharina Faber zu einem interessanten Gedankenexperiment, das es beispielsweise erlaubt, ein Bauernmädchen aus dem 18. Jahrhundert die Fernsehbilder des Vietnamkrieges kommentieren zu lassen.
Ich kann aber jetzt abends auf dem Bildschirm des Fernsehgeräts zurück in mein Jahrhundert schauen, wenn die Armen ihren Auftritt haben. Sie nennen das Nachrichten. (...) Der Atem stockt mir, wenn ich sehe, wie sie mit riesigen Maschinen die Bauern auf den Reisfeldern jagen, wie die Soldaten aus diesem Jahrhundert gegen Bauern aus meiner Zeit kämpfen.
Schicksal der Angehörigen
Die drei Geister werden immer wieder von ihren Erinnerungen heimgesucht. Zudem beobachten zwei von ihnen das weitere Schicksal ihrer noch lebenden Angehörigen, nehmen also an einer Zukunft teil, die sie nicht mehr erlebt hätten. So begibt sich der Leser auf eine vielschichtige wie intime Zeitreise durch Europa und die USA, durch Sozial-, Pop- und Alltagsgeschichte - "von unten" erzählt.
Die drei Geister tauschen sich untereinander aus und entwickeln sich weiter. Je mehr sich die Handlung der Gegenwart nähert, umso vertrauter werden ihre Einschätzungen. Wie jene von Boris Tomba zur Umgestaltung der elterlichen Trattoria.
Unter der Woche ist es ein kühler Eissalon für junge Reiche, (...) die Sabayon de Melanzane essen wollen, bevor die Steinbuttmousseline mit Pfirsichessenz auf blauen Algennestern und die Roulade aus in Portwein getränkten Steinpilzen auf den Tisch kommt. So etwas könnten meine alten Eltern nicht essen, geschweige denn verdauen. Es würde in ihren Mägen zu einer Art Gartenlandschaft versteinern.
Rückblenden und Details
Dass der Leser in diesem komplexen Gewebe aus einer Vielzahl von Figuren, Perspektiven und Zeitebenen den Faden nicht verliert, verdankt sich Fabers Kunst, mit kleinen Hinweisen elegant Bezüge zu den richtigen Figuren beziehungsweise der richtigen Zeit herzustellen. Sie bedient sich dabei der Mittel des Films und des Fernsehens. Schnelle Schnitte, kleine abgeschlossene Geschichten - in wenigen Strichen entworfen -, Rückblenden und Details, die sofort die nötigen Assoziationen herstellen, sorgen dafür, die Orientierung in diesem Roman nie zu verlieren. Die Charaktere der drei Teenager-Geister sind fein gezeichnet, ihr naiver Zugang zum Geschehen führt zu berührenden und oft komischen Momenten.
Wir sind hier im Kapitalismus. Aber es geht ihnen immer besser, sie bauen viele neue Häuser und überall füllen sie riesige Kühlschränke mit Wurst und Fleisch und Früchten. Deutschland gibt es nicht richtig. Es gehört den Amerikanern und uns. Der Kanzler heißt Adenauer. Sie sagen, er sei kein Nazi. Die Nazis sitzen immer noch in den Gerichten und in den Schulen und alle sind mit einem Richard Wagner befreundet.
Plastische Gespenster
Dennoch begeht Katharina Faber nicht den Fehler, ausschließlich von einer naiven Perspektive aus zu erzählen. Ebenso wenig verfällt sie der Versuchung, die Sprache der drei Figuren ihrer Zeit gemäß zu gestalten, was manieriert wirken könnte. Ihre drei Gespenster treten dem Leser plastischer entgegen, als deren Schützling Katharina - die nur scheinbare Hauptfigur, die wohl nicht zufällig den Vornamen der Autorin trägt.
Als am Ende des Romans Katharina nach einem unverletzt überstandenen Unfall beginnt, ein Buch über ihre drei Schutzengel zu schreiben, wird klar, warum sie selbst bisher eher blass geblieben war. Sie ist eben nur die Schriftstellerin. Linette, Michail und Boris hingegen sind Literatur.
"Das Buch der Woche" ist eine Aktion von Ö1 und Die Presse.
Hör-Tipps
Kulturjournal, Freitag, 25. Juli 2008, 16:30 Uhr
Ex libris, Sonntag, 27. Juli 2008, 18:15 Uhr
Mehr dazu in oe1.ORF.at
Buch-Tipp
Katharina Faber, "Fremde Signale", Bilgerverlag
Link
Bilgerverlag - Katharina Faber